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# taz.de -- Philipp Fritz Ausgehen und rumstehen: Aber der Gefilte Fisch ist ri…
Ob David mich denn auch schon eingeladen habe, fragt mein Freund Alex.
„Nein“, antworte ich konsterniert. „Und das, obwohl ich ein großer Freund
religiöser Feste bin!“ Wir sitzen in einem Restaurant in Warschau, Alex
lächelt still und kritzelt irgendwelche Figuren in sein Skizzenbuch. Er hat
die Ruhe eines Mannes, der weiß, dass er im Gewinnerteam spielt. Er nämlich
ist dabei. Ich möchte eigentlich bloß wütend auf mein Handy tippen, rufe
David dann aber an. „Es liegt bestimmt daran, dass meine Mutter katholisch
ist“, sage ich zu David. „Nein“, entgegnet er: „Ich wollte dich gerade
anrufen, und überhaupt hängt die Latte dafür, wer als Jude durchgeht, bei
uns ziemlich niedrig.“
Am Ostersonntag sitze ich also zufrieden im Speisewagen des Zuges von
Warschau nach Berlin. Kaum was los. Lediglich die beiden Gäste neben mir
lassen sich saure Mehlsuppe und ein Schweineschnitzel bringen. Das sei der
Atheisten-Express, haben meine polnischen Freunde noch gewitzelt. Zwar
verbringe ich jenen Tag nicht im Kreis der Familie, dafür aber habe ich die
Gewissheit, an einem verspäteten Pessach-Dinner bei David und Johanna
teilzunehmen und so doch noch meine Portion Festlichkeit abzukriegen.
Am Samstag nehmen zwölf Freunde der beiden, jüdische wie nichtjüdische, an
einem langen Tisch in ihrer Kreuzberger Wohnung Platz. David steht am
Kopfende. Erstmals sehe ich ihn mit der Kippa oder Jarmulke, wie er sagt,
die er von seinem Vater in Prag geschenkt bekommen hat. Bevor gegessen
wird, betont er, dass er das Ganze zum ersten Mal anleite – die Premiere
für ihn. Bisher hätten immer sein Großvater und sein Vater vom ägyptischen
Exil erzählt, als Erstes das Weinglas gehoben, das Ei in Salzwasser gebadet
und die hebräischen Lieder vorgesungen. „Wir feiern den Auszug aus
Ägypten“, schiebt er nach und zwinkert dabei seinem ägyptischen
Arbeitskollegen zu, der auch dabei ist.
David ist sichtlich gerührt, dass so viele Freunde da sind. Immerhin ist es
ein lauer Berliner Abend. Wir könnten alle auch in einem Biergarten sitzen.
Er legt sich deswegen umso mehr ins Zeug, holt bei seinen
Bibel-Ausführungen besonders weit aus. Kein Zweifel, wir glauben nun, er
sei bei den Strapazen in der Wüste selbst dabei gewesen. Nicht nur das, er
will uns die Qualen spüren lassen.
Die Gäste haben Hunger, aber nein, es folgt noch ein Lied und noch eins.
Einige knabbern derweil so viele Mazzen, also jene geschmacklosen, dünnen
und „ungesäuerten“ Brotfladen, dass sie vor dem ersten Gang schon satt
sind. Dann endlich! Als Vorspeise gibt es Gefilte Fisch, durch den
Fleischwolf gedrehten Karpfen, kalt und mit einer Geleehaut überzogen. Ja,
richtig, die gojim verziehen die Gesichter, nicken dann aber höflich dem
Hausherrn zu. Die Juden? Vor allem die aus osteuropäischen Familien kauen
selig und fühlen sich wie bei Muttern. Bei kaltem Glibberfisch also
verläuft die Grenze. Der weitere Abend aber wird in Eintracht verbracht,
spätestens als der Wodka eingeschenkt wird.
Wenig später sitze ich mit der Kulturmanagerin Anna Iskina in der Bar
Gainsbourg in Charlottenburg. Erst kürzlich ist sie von der Schweiz nach
Berlin gezogen. Ihr Jüdischsein ist ihr zwar wichtig, aber von Ritualen
hält sie wenig. „Als Feministin ist Pessach nichts für mich“, sagt sie.
„Alle Religionen sind von Männern für Männer gemacht.“ Sie bestellt Wodka
mit Cranberry-Saft und zündet sich eine Zigarette an. „Gefilte Fisch
allerdings ist richtig gutes Zeug, vor allem mit Rote-Bete-Meerrettich.“
Einen Feiertag braucht Anna nicht, um ihren Fischdealer in der
Nachbarschaft aufzusuchen. Sie sei frei in ihren Entscheidungen, mache sich
ihre Regeln selbst. „Also jeden Tag Karpfen“, sage ich. „So ungefähr“,…
sie. Noch einen Drink – keinen koscheren Wein? Wir zünden uns beide eine
an, schmunzeln und sind eigentlich ganz zufrieden.
17 Apr 2018
## AUTOREN
Philipp Fritz
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