# taz.de -- Übung im Metaphorischen | |
> Anlässlich der Wiedereröffnung der Ausstellungsräume am Pariser Platz | |
> zeigt die Akademie der Künste Micha Ullmans „Sandkorn“ | |
Von Frederic Jage-Bowler | |
Gedämpft strahlt das Sonnenlicht in die frisch renovierten | |
Ausstellungsräume der Akademie der Künste am Pariser Platz. Zu ihrer | |
feierlichen Wiedereröffnung werden Arbeiten des Künstlers Micha Ullman | |
gezeigt. Ullmans Zeichnungen bestehen aus wenigen Sandkörnern. Auf Papier | |
geklebt bilden sie einfache Formen, Sternbildern ähnlich. Zwei der Säle | |
sind einem einzigen Körnchen Hamra-Sand (hamra: arabisch für rot) | |
vorbehalten, das unter der darüber angebrachten Lupe zu funkeln beginnt. | |
Nebenan läuft ein Film, der den Künstler meditativ-versunken bei der Arbeit | |
zeigt. Ullman soll den Sand aus der israelischen Heimat mitgebracht haben. | |
Was als erheiternde Anekdote beginnt, entpuppt sich bald als lebendige | |
Übung im metaphorischen Denken. | |
Zum einen ist da der Titel der Installation. „Bis zum letzten Sandkorn“ | |
bezieht sich auf die Aussage des ehemaligen ägyptischen Präsidenten Anwar | |
as-Sadat, der kurz vor der Eskalation des Jom-Kippur-Kriegs 1973 gesagt | |
haben soll, man wolle die von Israel besetzte Sinai-Halbinsel „bis zum | |
letzten Sandkorn“ zurückerobern. Eine haarsträubende Metapher, die Ullman, | |
1939 geboren, nicht nur deshalb bedeutsam erschien, weil sich as-Sadat als | |
erstes arabisches Staatsoberhaupt für eine Anerkennung Israel aussprach und | |
dafür später von Islamisten ermordet wurde. Sie ist auch Teil von Ullmans | |
eigener Geschichte, waren seine Eltern doch in den 30er-Jahren aus | |
Thüringen nach Palästina emigriert. Sie waren dabei, als der erste moderne | |
jüdische Staat auf „heiligem Boden“ gegründet wurde und beteiligten sich … | |
„heiligen Kriegen“ gegen die benachbarten Länder, wie Moshe Zimmermann es | |
mit Bezug auf die Rhetorik der damaligen Zeit formuliert. | |
Es ist auch der Historiker Zimmermann, der zur Eröffnung aus Israel | |
angereist ist, der die Metaphorik des Bodens zu ihrem vorläufigen, | |
traurigen Ende bringt: Der lang erhoffte Friedensprozess habe sich leider | |
„im Sande verlaufen.“ | |
Relevant scheinen auch die poetischen Zugänge zum Material, mit dem sich | |
Ullman immerhin seit einem halben Jahrhundert beschäftigt. Da ist zum | |
Beispiel die alte atomistische Lehre vom Sandkorn als „kleinstem Teil“, als | |
Symbol für die Unscheinbarkeit oder – ganz Klischee – für die verrinnende | |
Zeit. Doch drohen Zugänge dieser Art stets am geheimnisvollen Charakter von | |
Ullmans Zeichnungen vorbeizugehen. Ullman, der hierzulande für seine | |
bücherlose „Bibliothek“ am Bebelplatz bekannt ist, einem Mahnmal, das an | |
die Kulturzerstörung der Nazis erinnert, behauptet, es sei vor allem | |
anderen die Leere, die ihn interessiere. | |
## Eine prekäre Spur | |
Vielleicht deuten Ullmans Arbeiten also weniger darauf hin, was ist, als | |
auf das, was nicht ist und unsichtbar bleibt: hinterlassene Löcher im | |
Boden, Skulpturen-Negative, sowie ihre prekäre Spur, das verlorene | |
Sandkorn. Somit fallen gewichtige Unterschiede auf zwischen Ullmans Werk | |
und dem vieler anderer Kunstwerke mit Sand, die ihr Material meist | |
figurativ oder – wie in der Konzeptkunst – als unübersehbare und gerade | |
deshalb unbedingt zu quantifizierende Masse inszenieren. | |
Zelebriert die Akademie der Künste also die Leere? Allzu offensichtlich | |
scheinen jedenfalls die Parallelen zwischen Ullmans Werk und dem kürzlich | |
an der Außenfassade angebrachten, ebenfalls eine Leerstelle markierenden | |
Gedicht „schweigen“ von Eugen Gomringer. Doch Ullman geht es gar nicht ums | |
Bedauern der Leere oder gar der empfundenen Ungerechtigkeit. Vielmehr | |
konzentriert er sich auf den Punkt, wo aus dem Nichts ein Alles entsteht, | |
„wie das Sandkorn auf der Spitze einer Pyramide, das den Himmel berührt“. | |
Die Sprache biete uns die Möglichkeit kreativ zu denken, zu reden. Und das, | |
so sagt er zur Eröffnung seiner Ausstellung, „haben wir in Israel noch | |
immer nicht gelernt“. | |
Bis 22. April | |
13 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Frederic Jage-Bowler | |
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