# taz.de -- Jäger, Gejagte und Philosophen | |
> Hanebüchen, aber toll: Unter dem Thema Menschenjagd exhumiert das | |
> „Bahnhofskino“ Actionfilme zwischen Gewaltexzess und Kulturkritik | |
Bild: Erinnert an „Mad Max“: der Action-Trash-Film „Turkey Shoot“ von 1… | |
Von Thomas Groh | |
Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf. Filmische Umsetzungen dieser These | |
finden sich meist im randständigen Kino, wo die Sumpfblüten jenseits des | |
guten Geschmacks, bürgerlicher Qualitätskriterien und moralischer | |
Vorbehalte gedeihen: B-Movies und Exploitation oder die Pre-Code-Filme aus | |
dem Hollywood der frühen 1930er Jahre, bevor der „Hays-Code“, also die | |
Richtlinien zur moralisch akzeptablen Darstellung von Kriminalität und Sex, | |
das US-Kino handzahm machte. | |
In Berlin ist für derartige Filme die monatliche Filmreihe „Bahnhofskino“ | |
im Filmrauschpalast Moabit zuständig. Der liegt tatsächlich unweit des | |
Hauptbahnhofs, hat aber entgegen seiner Bezeichnung einen hemdsärmeligem | |
DIY-Charme und überzeugt mit den besten Projektionen der Stadt. Am Freitag | |
geht es dort in einem Triple-Feature um das reizvolle Thema „Menschenjagd“. | |
Reizvoll ist das, weil die Reduktion auf das Wesentliche – Jäger hier, | |
Gejagte dort, dazwischen existenzialistische Überlegungen – fast jeden Film | |
aufwertet. Aber auch, weil das Thema ein breites filmhistorisches Panorama | |
öffnet. | |
Mit Ernest B. Schoedsacks und Irving Pichels Pre-Code-Film „The Most | |
Dangerous Game“ stammt der älteste Beitrag von 1932. Mit knapp einer Stunde | |
Laufzeit und dem deutschen Titel „Graf Zaroff – Genie des Bösen“ kann er | |
seinen B-Movie-Status kaum verhehlen: Tatsächlich handelt es sich um einen | |
schön knackigen und mit einigen finsteren psychosexuellen Abgründen | |
angereicherten Abenteuerreißer, der seinerzeit zwecks Profitmaximierung | |
während der Drehpausen zu „King Kong“ in dessen Kulissen und mit dessen | |
Hauptdarstellern gedreht wurde. | |
Der russische Exilant Graf Zaroff lebt auf einer abgeschiedenen Insel in | |
seinem persönlichen Reich, in das er mit allerlei Finten arglose | |
Schiffreisende lockt. Was diese nicht wissen: Zaroff ist ein | |
ausgesprochener Jagdfetischist und hat seine Insel als großen | |
Dschungelabenteuerspielplatz eingerichtet. Dort pflegt er seine Gäste nach | |
höflichem Geplänkel mit dem Schießgewehr zu haschen. | |
Ist die Menschenjagd hier noch das exzentrische Hobby eines | |
adlig-dekadenten Sonderlings, stellt sie in Brian Trenchard-Smiths | |
australischem Low-Budget-Film „Turkey Shoot“ (1982) die politisch | |
legitimierte Disziplinierungsmaßnahme einer dystopischen Gesellschaft dar: | |
Eine bunt zusammengewürfelte Truppe, die sich allzu individuellen | |
Verhaltens schuldig gemacht hat, landet hier zunächst in einem straff | |
sadistisch geführten Umerziehungslager und muss sich anschließend auf einer | |
Hatz quer durch das Outback beweisen. | |
„Turkey Shoot“ entspringt in seiner Zurschaustellung von Devianz und Rasanz | |
derselben filmischen Geisteshaltung wie die „Mad Max“-Filme. Im Effekt ist | |
das mulmige wie grandiose Exploitation-Kunst: Die budget-bedingte | |
Aufwandsarmut der Spielorte gleicht sich durch die beherzte Inszenierung | |
aus, während den fiesen Sado-Spektakeln eine Action-Katharsis folgt, die | |
sich nicht zuletzt wegen des manischen Soundtracks von Brian May zum | |
furiosen Inferno hochsteigert und spätere Exzesse des US-Actionfilms mit | |
bescheideneren Mitteln bereits vorwegnimmt. Als politische Dystopie ist das | |
zwar hanebüchen, als delirantes Vollgas-Kino umso effizienter und | |
umwerfender. | |
Deutlich bekannter ist die als historische 35mm-Kopie gezeigte | |
Stephen-King-Verfilmung „Running Man“ von 1987 mit Arnold Schwarzenegger | |
als gejagter Ex-Cops. Was in „Turkey Shoot“ noch dystopischer Exzess fernab | |
der Öffentlichkeit war, rückt unter den Bedingungen des entgrenzten | |
Konsumkapitalismus der späten 80er nun vollends in die Öffentlichkeit: Die | |
Menschenjagd als Medienspektakel in den dystopischen USA, die ihre | |
politischen Spannungen durch Affektkontrolle vermittels sadistischer | |
TV-Shows in den Griff kriegen. | |
Eine Medienkritik mit dem Holzhammer, die paradox ist. Sie prangert das an, | |
was sie im Grunde selbst auskostet, wirkt in mancher Hinsicht aber | |
gespenstisch hellsichtig: Nicht nur, weil sich im Fernsehen längst eine | |
Kultur der Demütigung breit gemacht hat, die schwer mit den letzten Grenzen | |
des Anstands ringt. Sondern auch, weil hier ein schmieriger TV-Moderator | |
das Geschäft des Totalitarismus besorgt – wer will, darf darin gerne | |
Parallelen zu politischen Großereignissen der Gegenwart sehen. | |
Bahnhofskino: „Menschenjagd“: Filmrauschpalast, 13. 4., 22 Uhr | |
12 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Thomas Groh | |
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