# taz.de -- Spaß am Weltuntergang | |
> Böse Dinge offenlegen, das liegt der Regisseurin Johanna Wehner. Im | |
> Schauspielhaus Bochum adaptierte sie nun Lars von Triers „Melancholia“ | |
Bild: „Melancholia“ im Schauspielhaus Bochum | |
Von Benjamin Trilling | |
Schatten irrlichtern im Nebel und durch Scheinwerferkegel. Sie poltern wie | |
verrückt, um die vermeintlich Kranke zu wecken. Der Hochzeitsplan ist in | |
Gefahr. Hysterisches Schreien. Bis die depressive Justine (Kristina Peters) | |
wach ist. Das letzte Treiben rund um die erschöpfte Braut, bevor der laute | |
Vorbeiflug des Planeten „Melancholia“ den Saal in ein grelles Lichtermeer | |
taucht. | |
Das dröhnt bis nach oben ins Foyer des Schauspielhauses in Bochum, wo sich | |
Johanna Wehner am Nachmittag vor der Premiere Zeit für ein Gespräch nimmt. | |
Sie schmunzelt, als sie den Lärm der letzten Proben hört. Ja, den | |
Weltuntergang zu inszenieren, mache Spaß, gesteht sie über diesen Kollaps | |
einer Gesellschaft, die ihren Mitgliedern so einiges abverlangt. | |
„Sinnvakuum“ oder „Erschöpfungsgesellschaft“, das waren die Diskursfet… | |
mit denen sie bei den Regieanweisungen jonglierte. | |
Ein roter Faden, der sich durch ihre Arbeit zieht: unüberwindbare Hürden, | |
die individuelle Sehnsüchte durchkreuzen. Etwa in der Jagd auf die | |
Ehebrecherin Irene Wagner in der gleichnamigen Adaption von Arnold Zweigs | |
Novelle „Angst“. Das war im Sommer 2014, als Wehner, geboren 1981, im | |
Rahmen des ersten Regiestudios im Schauspiel Frankfurt inszenierte. Neben | |
den damals ebenso vielversprechenden Nachwuchs-Regisseuren Alexander | |
Eisenach und Ersan Mondtag. Vor allem Mondtag wird seitdem sehr beachtet. | |
Zu beiden pflegt Wehner regelmäßigen Kontakt. | |
Vergangenen November wurde ihre Inszenierung der „Orestie“ am Staatstheater | |
Kassel mit dem Theaterpreis „Faust“ in der Kategorie beste „Regie | |
Schauspiel“ ausgezeichnet. Seitdem steht auch die gebürtige Bonnerin in der | |
ersten Regie-Reihe. Das zog die Aufmerksamkeit vieler Spielstätten nach | |
sich. Das Schauspielhaus Bochum fragte an. Aus der ursprünglichen Idee, | |
gemeinsam einen „klassischen Frauenstoff“ zu bearbeiten, wollte Wehner mehr | |
machen: komplexe Gedanken schnüren, den Diskurs mit den Mitteln des | |
Theaters fortspinnen. „Weg vom Label, hin zum Existenziellen“, sagt sie. | |
Einen Ansatz dafür fand sie ausgerechnet bei Lars von Trier, der eher als | |
plakativ und provokant gilt. „Die Dinge werden bei ihm so böse dargestellt, | |
dass sie wiederum offengelegt werden.“ | |
Böse die Dinge offenlegen, dass trifft ebenso auf ihre Adaption in Bochum | |
zu. Die Hochzeitsgäste stecken in schäbigen Sakkos oder Glitzerkleidchen, | |
das ist eine Garderobe von Karikaturen. Wehner lässt sie chorisch jene | |
Wortschleifen in die Leere rezitieren, die Kristina Peters Justine (im Film | |
von Kirsten Dunst gespielt) mit der existenziellen Aufmerksamkeit einer | |
Depressiven hinterfragt. | |
Dieser Horror Vacui, den Kristina Peters zurückhaltend verkörpert, als | |
würde sie im feierlichen Kleid untergehen, ist eine der Verschiebungen in | |
dieser Bühnenbearbeitung. „Ich habe sie nie als depressive Frau gelesen“, | |
erklärt Wehner. Im Gegenteil, eine Frage lässt sie Justine immer wieder | |
dieser lärmend-müden Leistungsgesellschaft entgegenhalten: „Vermisst du | |
nicht irgendwas?“. Ihrem Verlobten Michael (Matthias Eberle), ein Idiot, | |
der mit Satzhülsen wie „Ich liebe dich so sehr!“ um sich schmeißt. Ihrer | |
Schwester, die Johanna Eiworth, im Gegensatz zur subtilen Charlotte | |
Gainsbourg im Film, als stampfende Wedding-Planerin gibt. | |
Was ist die Norm? Um das zu hinterfragen, lässt Wehner auch Mitglieder von | |
dorisdean, ein Ensemble aus Performer*innen mit unterschiedlichen | |
Körperlichkeiten, auftreten. Was passiert denen, die beim vorgebenden Takt | |
und Tempo nicht mithalten können? Und bewegen wir uns nur noch in einer | |
sinnleeren Schleife? Wehner gestikuliert mit den Händen, wenn es | |
philosophisch wird: „Ich werde tot sein. Du wirst tot sein. Wir alle teilen | |
das.“ So ist dieser todbringende Stern „Melancholia“ in ihrer Inszenierung | |
eine existenzielle Zeitbombe, der jeder irgendwann begegnet. | |
Und das bürgerliche Dasein, das Justine auf der Leinwand an die Wand fährt, | |
ist hier bereits eine dystopische Trümmerlandschaft: Eine riesige, | |
zerschmetterte Kugel, dem torpedierten „Todesstern“ aus „Star Wars“ | |
ähnlich, ragt und dreht sich im Raum (ein überwältigendes Bühnenbild von | |
Volker Hintermeier). Die Katastrophe ist längst da. Nur, das ist die böse | |
Komik an diesem Weltuntergang, merkt dieser gespenstische Hochzeitshaufen | |
das nicht, wenn er sich einer leeren Sprachpartitur bedient und damit jede | |
menschliche Begegnung verfehlt. Die letzten Worte werden zum Mitsagen in | |
den Saal geraunt: „Auf das – Leben!“ | |
5 Apr 2018 | |
## AUTOREN | |
Benjamin Trilling | |
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