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# taz.de -- Wie ein Blitz in der Muschel
> Die Perlenkette, mit Neugier betrachtet: Sie kann vom Keuschen, Artigen,
> Verführerischen und Lockenden sprechen. Man darf sie nicht unterschätzen,
> vor allem nicht in der Politik
Bild: Nicht die eine, teure, nein viele und dann auch falsche Perlenketten klim…
Von Elisabeth Wagner
Zusammengerollt auf dem Tisch sieht sie aus wie ein schlafendes Tier, und
eigentlich will ich sie nicht wecken. Meine Perlenkette. Ich habe sie in
einem Museumsshop gekauft, weil ich an irgendeinem Sonntagnachmittag vor
einigen Jahren plötzlich anfallsartig dachte, dass sie doch magisch ist,
diese Kette, und dass ich mir nur einbilde, sie würde mich nicht mögen und
an mir aussehen wie lebloses Plastik.
Als junges Mädchen war ich beeindruckt von der Perlenkette meiner Mutter.
Ich formte sie in meiner Handfläche zu einer Schnecke. Das fühlte sich kühl
und glatt an, irgendwie abweisend. Ausprobiert habe ich sie nicht. So, als
hätte ich Angst vor dem Urteil der Perlen gehabt. Bist du weiblich, bist du
schön genug? Die Perlen sind wie ein Orakel, dachte ich, und heute, da ihr
Exotismus, ihr Glamour, ihre Spießigkeit wieder so en vogue sind wie lange
nicht mehr, kommt mir mein Argwohn immer noch plausibel vor. Ist das nicht
albern?
Unbekümmert, heiter, verliebt in die Aura der Kostbarkeit. So könnte man
den Perlenschmuck des Augenblicks doch wohl eher beschreiben. Die Perlen
sind überall, und nicht bloß an die Gestalt einer Kette oder an Ohrringe
gebunden. An umzuschlagenden Jeansbeinen, an zierlichen Sandalen, Boots und
Schnürsenkeln, an Kleidern und Hüten, an Taschen und Clutch Bags, Armreifen
und Gürteln tauchen sie in der aktuellen Mode auf. Sie werden im Haar
platziert oder auf Sweatshirts verteilt, und die Fashionblogs empfehlen,
der Fantasie freien Lauf zu lassen.
Auch die kleine, schlichte Perlenkette, die möglicherweise seit Jahren
unbeachtet in der Schublade gewartet habe, könne man wieder mit Neugier
betrachten. Man solle sie ohne Bedenken hervorholen und wenn es sein
müsste, beim Juwelier neu aufziehen und kürzen lassen. Auf dass sie sich
enger an den Hals schmiege und (ähnlich dem Halsband der Renaissance) die
sinnliche Schönheit des Schlüsselbeines besser zur Geltung bringt.
Wie verspielt das klingt, wie freundlich. Aber man darf die Perlen nicht
unterschätzen, und was jenen Choker angeht, jene vermeintlich kleine,
harmlose Perlenkette, die liegt als „Signature Peace“ auch um den Hals von
Sarah Huckabee Sanders. Die Pressesprecherin des Weißen Hauses tritt ohne
sie nicht vor die Kamera. Dazu trägt sie knielange Kleidchen und vermeidet,
wie die New York Times bereits bemerkte, das Kernstück des Professionellen,
das Jackett.
Der Style ist aufdringlich familiär. Sarah, die Ehefrau. Sarah, die Mutter.
Sarah, die auf einer Pressekonferenz die Journalisten fragt, wofür sie an
Thanksgiving dankbar sein werden. Ihre Perlenkette schwört die Treue. Es
ist die Kette der Tochter, auf die sich der (symbolische) Vater verlassen
kann.
Auch die Perlenkette der AfD-Politikerin Alice Weidel wäre in diesem
Vater-Tochter-Kontext zu deuten. Neben dem Patriarchen sitzt die Tochter in
der ersten Reihe der Fraktion. Er in Tweed, sie in Sakko, Bluse und mit
Perlenkette. Man demonstriert Eintracht mit sich und den bürgerlichen
Gepflogenheiten. Die Tochter wird es mit ihrem Machthunger nicht
übertreiben und die traditionellen Hierarchien respektieren. Keine andere
Kette könnte das besser zu verstehen geben, denn keine andere Kette
kommentiert den weiblichen Körper, sei es den der folgsamen Tochter oder
der Sirene, stärker als sie.
Das Keusche, das Artige, das Verführerische, Lockende. Alle Qualitäten, die
der klassische Weiblichkeitsdiskurs in seiner unersättlichen Spaltungslust
hervorbringt, lassen sich mit den Perlen assoziieren. Für Harper’s Bazaar
fotografierte Richard Avedon Elizabeth Taylor in Tiffany-Perlen, die ihr in
vier herrlichen Schlingen über der nackten Schulter lagen. Bert Stern
zeigte Marilyn Monroe mit langen Perlenketten im feuchten Sandstrand.
Irving Penn inszenierte Anjelica Huston 1972 für die Vogue unwiderstehlich
mondän in Pelzmantel und Hosen und mit Perlen, die wie das luxuriöseste
aller Versehen wirkten. Der Mythos der Perlen ist produktiv.
Es gibt eine Urszene, die den Ein- und Ausschluss der Bilder gut erklärt.
Sie findet sich in der antiken Überlieferung, von dort aus in der
christlichen Tradition, wo sie eine heilsgeschichtliche Zuspitzung erfährt.
Bei den Griechen entstand die Perle durch Blitzeinschlag. Bei Plinius dem
Älteren steigt die Muschel vom Meeresgrund auf und nimmt einen Tropfen Tau
in sich auf. Im Inneren der Muschel beginnt die Perle daraufhin zu wachsen.
Die frühchristliche Naturlehre des Physiologus zieht daraus eine Analogie.
Wie die Muschel den Blitz [oder den Tau], so empfängt Maria ihren Sohn
durch den Heiligen Geist. Ihr Körper ist frei von Erbschuld, frei von
Sexualität. Die Perle in ihrem Inneren ist makellos. Die Frage nach
Reinheit und Wert der Perle stellte sich übrigens auch für den Römer
Plinius, allerdings in weltlichem Kontext der Prunksucht. Berühmt ist seine
Erwähnung der ägyptischen Königin Kleopatra, die, um Marcus Antonius zu
imponieren, eine ihrer teuersten Perlen in Essig auflöste und trank. Sie
ließ den Schöpfungsakt symbolisch rückwärts laufen und blieb im Akt der
Verführung überlegen. Körper und Perle werden eins.
Kein anderer Schmuck kann das. Vor allem der Diamant nicht, der in der
Rangfolge des Schmuckes triumphiert. Selbst „körperlos“, sei er bloße
Ausstrahlung und beweise, „dass der Mensch nicht mit der geometrischen
Grenze seines Körpers zu Ende ist“, schrieb Georg Simmel. Bei Roland
Barthes findet sich ein ähnlicher Gedanke. Auch er definierte den Diamanten
als Quintessenz des Schmucks, und zwar durch seine Härte, seine Reinheit
und Brillanz, allesamt Qualitäten jenseits der biologischen Körperwelten.
Sie haben keinen Teil an der Verwandlung. Die Perle schon. Sie gehört der
Zeit, den Lebenszyklen. Sie ist der Schmuck der Trauer, und bis ins 18.
Jahrhundert wird sie in der Pharmakologie geschätzt. „Perlenmuttersaft und
-Essenz“ sollen die Kraft zur Empfängnis und Zeugung stärken. Den „Weibs
Personen“ diente abgeriebenes Perlmutt „zu einer Schmincke“.
Kein Schmuck ist ambivalenter, näher an der Illusion, am Sex als die
Perlen. Man muss es gar nicht aussprechen, so selbstverständlich ist die
Perlenkette mit den Codes von Gender verknüpft.
Eine Frau brauche die Perlen nur so reihenweise, soll Coco Chanel in ihrer
zugleich anzüglichen und verächtlichen Weise gesagt haben. Sie überführte
die Perlen der Belle Epoche in die moderne Mode und zitierte die Vorlieben
der Privilegierten. Innerhalb des Zeichensystems der Mode kann man das als
emanzipative Geste verstehen. Nicht die eine, teure, nein viele und dann
auch falsche Perlenketten klimperten über dem Pulli oder dem Kostüm und
stifteten sinnliche Verwirrung. Was sollte man aus diesen Perlen
herauslesen? Welchen Beziehungsstatus? Welche erotischen Absichten? Die
Arbeit am Mythos der Perlen zielt auf das Konterfei der Verführerin. Am
Link zwischen Perlen und Weiblichkeit ändert sie nichts.
Man kann es sich ganz aus der Nähe ansehen, in einem berühmten Film aus dem
Jahr 1951, in Endstation Sehnsucht, und dort an der Figur der Blanche
DuBois (Vivien Leigh), die weder mit der Perlenkette der guten Tochter noch
mit den Perlen der Femme fatale glücklich werden kann. Als mittellose
Lehrerin aus ehemals reicher Südstaatenfamilie sucht sie Schutz bei ihrer
Schwester, die mit ihrem Mann Stanley (Marlon Brando) eine stark sexuelle
Beziehung lebt.
Blanche appelliert an Herkunft und Wohlerzogenheit, zugleich fürchtet und
begehrt sie den männlichen Blick. Sie trinkt, nimmt heiße Bäder, kleidet
sich wie zum Spaziergang auf dem Deck einer Luxusyacht. Ihre
Schmuckschatulle quillt über vor falschen Perlen, und Stanley greift mit
vollen Händen hinein. Er sieht in ihr die Verrückte. Eine Nymphomanin, eine
Säuferin, die verwelkt. Sie habe, sagt Blanche nach einem Bibelwort, ihre
Perlen vor die Säue geworfen. Am Ende ist sie eine vergewaltigte Frau, der
man nicht glaubt und die man ins Irrenhaus einweisen lässt, um Ruhe vor den
unangenehmen Wahrheiten zu haben, die nicht vergessen werden können,
solange Blanche mit im Raum ist.
Welches Bild von Weiblichkeit darf sich zeigen, welches nicht? Im Zeitalter
des Populismus blüht er wieder auf, jener Wunsch nach Eindeutigkeit, an dem
Blanche zugrunde ging. Die Perlen kommen zupass. Hat man am Körper der Frau
nicht noch immer am eindrücklichsten demonstriert was Recht und was Sünde
ist?
3 Apr 2018
## AUTOREN
Elisabeth Wagner
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