# taz.de -- Gegenseitige Abscheu | |
> Die Buchmesse lieferte die erwarteten Bilder: Die einen protestierten | |
> gegen rechte Verlage – mal mit Argumenten, mal mit Parolen oder | |
> Spruchbändern. Die anderen diskutierten über den Regimesturz und zeigten | |
> sich mehr als genervt von den Aktivisten | |
Bild: Hochrisikolesung: Polizisten sichern eine Veranstaltung rechter Verlage | |
Von René Loch | |
Bislang war es in Leipzig üblich, dass Neonazis und andere rechte Akteure | |
ihre Umsturzfantasien öffentlich vor allem im Rahmen von Demonstrationen | |
artikulieren. Dies geschah beispielsweise bei einem Aufmarsch der | |
neonazistischen Kleinstpartei „Die Rechte“ am 18. März 2017. Genau ein Jahr | |
später war es wieder so weit. Der Ort des Geschehens diesmal: die Leipziger | |
Buchmesse. | |
Bereits im Vorfeld hatte es zahlreiche Diskussionen über die Anwesenheit | |
rechter Verlage wie Compact und Antaios gegeben. Viele Akteure der | |
Zivilgesellschaft hatten davor gewarnt, dass die Rechten die Bühne für | |
rassistische und antifeministische Äußerungen sowie Drohungen und Gewalt | |
gegen Protestierende nutzen könnten. Die Linksfraktion im Stadtrat wollte | |
die Auftritte sogar verbieten lassen – doch ohne Erfolg. | |
Den schärfsten Beitrag zur Agenda der Neuen Rechten lieferte | |
Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer am letzten Tag der Buchmesse. In | |
einem Streitgespräch mit Antaios-Verleger Götz Kubitschek sagte er: | |
„Aufgabe der oppositionellen Medien ist, zum Sturz des Regimes | |
beizutragen.“ Seinem Gesprächspartner war diese Formulierung zwar zu | |
radikal, dem Kern der Aussage widersprach er jedoch nicht. Beide | |
diskutierten unter anderem, ob es strategisch sinnvoll sei, dass wichtige | |
AfD-Funktionäre wie Björn Höcke und André Poggenburg öffentlich zu | |
drastischen Worten greifen. Kubitschek sagte dazu: „Ein Politiker muss sich | |
anders verhalten als ein Verleger.“ Das sei „Projekthygiene“. | |
Wenige Minuten zuvor hatten sich Kubitschek und drei Mitdiskutanten einem | |
anderen Lieblingsthema der Neuen Rechten gewidmet: dem Feminismus. Das | |
Kernargument lautete hier, dass Frauen für männliches Fehlverhalten | |
mitverantwortlich seien, etwa wenn sie kurze Kleidung trügen oder sich auf | |
Partys betränken. Schließlich liege es in der „Natur“ des Mannes, auf | |
sexuelle Anreize zu reagieren. | |
Der wegen Volksverhetzung verurteilte Schriftsteller Akif Pirinçci hatte | |
seinen Auftritt bereits einen Tag zuvor. Er bezeichnete die Mehrheit der im | |
Kulturbetrieb tätigen Personen als „verkommen“, „ekelhafte Menschen“, | |
„Wichser“ und „Arschlöcher“. Mit dieser Wortwahl war die Stimmung für | |
einen aufgeheizten Tag gesetzt. Während es am Sonntag im Umfeld der rechten | |
Verlage und Diskussionsrunden nahezu ruhig blieb, war es am Samstag zu | |
teils massiven Protesten gekommen. | |
So störten zwei Mitglieder der linksradikalen Gruppe „the future is | |
unwritten“ eine Antaios-Veranstaltung mit Spruchband und Rufen. Kurz darauf | |
flatterten Handzettel auf die Leseinsel und lieferten die Begründung für | |
die Aktion nach. „Die Leipziger Buchmesse hat mit ihrer Entscheidung, Nazis | |
einzuladen, jeden sachlichen Diskurs unmöglich gemacht“, erklärte eine | |
Sprecherin der Gruppe auf Nachfrage. | |
Am Einlass zu den Veranstaltungen auf der Leseinsel standen zudem Gegner | |
der Neuen Rechten, die sich immer wieder lautstark bemerkbar machten. Dabei | |
waren Parolen wie „Wer Deutschland nicht liebt, hat Deutschland verstanden“ | |
und „Say it loud, say it clear, refugees are welcome here“ zu hören – ab… | |
auch eher schlichte Aufforderungen wie „Kubitschek, das will doch eh keiner | |
hören, halt’s Maul“. | |
Eine andere Form der Auseinandersetzung wählte das Leipziger Bündnis | |
„Buchmesse gegen Rechts“. Dieses wollte während der Antaios-Veranstaltung | |
zwar eigentlich ebenfalls auf die Leseinsel gelangen, um dort | |
öffentlichkeitswirksam zu agieren, wich wegen der strengen | |
Einlasskontrollen jedoch auf einen anderen Ort in der Messehalle aus, nahe | |
den Ständen von Compact und Antaios. Dort hielten die jungen Aktivisten | |
eine kurze Kundgebung mit Mikrofon ab. | |
„Wir wollten zeigen, dass sich die Neuen Rechten zwar | |
öffentlichkeitswirksam als Verfechter der Meinungsfreiheit inszenieren, | |
aber eigentlich deren größte Feinde sind“, erklärte Bündnissprecherin | |
Hannah Sandner. „Sie beziehen sich immer nur so lange darauf, wie es ihnen | |
nützt. Sobald sie an der Macht sind, entledigen sie sich ihrer – das sieht | |
man in Polen und Ungarn.“ | |
Was passiert, wenn Rechte sich in der Mehrheit fühlen, ließ sich auch auf | |
der Buchmesse beobachten. So gingen einige Besucher der | |
Antaios-Veranstaltung rabiat gegen die beiden Personen mit Spruchband vor | |
und zerrten diese von der Leseinsel. Von den Umstehenden waren Äußerungen | |
wie „Raus mit dem Pack“ und „Jeder hasst die Antifa“-Sprechchöre zu h�… | |
Auch prominentere Vertreter der Neuen Rechten wurden handgreiflich. In | |
einem Video des „Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus“ | |
ist zu erkennen, wie ein Mitglied der Identitären Bewegung gegen linke | |
Protestierende vorgeht und anschließend von den eigenen Leuten | |
zurückgehalten werden muss. Und auch Götz Kubitschek reagierte genervt auf | |
die Proteste und schubste eine Person weg. Als diese sich daraufhin | |
beschwerte, folgten Drohungen von Identitären. Viele Journalisten | |
berichteten ebenfalls von Einschüchterungsversuchen – vor allem durch | |
Mitarbeiter der Security. | |
Ungeachtet dieser Vorfälle zieht Messe-Geschäftsführer Martin Buhl-Wagner | |
folgendes Fazit: „Es gab zu keinem Zeitpunkt eine Gefährdung für unsere | |
Besucher oder Aussteller.“ | |
23 Mar 2018 | |
## AUTOREN | |
René Loch | |
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