# taz.de -- Wenn der Rausch des Abends verpufft | |
> Gib uns mehr: Frank Castorf inszeniert am Schauspielhaus Hamburg „Der | |
> haarige Affe“ von Eugene O’Neill, mit tollem Bühnenbild, hervorragender | |
> Schauspielerbesetzung und am Limit rebellischer Attitüde | |
Bild: Das Kesseltreiben in „Der haarige Affe“ | |
Von Simone Kaempf | |
Nichts zu sehen außer einem Zeitungskiosk, Reklamegestänge und einem | |
Subway-Eingang, der tief nach unten führt. Im düsteren Licht steigt Nebel | |
auf, der 20er-Jahre-Stimmung verbreitet. Es riecht nach krummen Geschäften | |
und nächtlichem Showdown. New Yorker Straßenbanden könnten sich in diesem | |
Bühnenbild Kämpfe liefern. Stattdessen klettert der langjährige | |
Volksbühnenspieler Marc Hosemann in den Zeitungskiosk, ein | |
halb-komödiantisches Spiel auf vollem Energielevel. | |
Nicht um Bandenkriege geht es, sondern um die faulen Geschäfte des | |
Individuums, das sich nicht ums Göttliche, Schöne oder Menschliche schert. | |
„Mir geht nichts über mich“, schleudert Hosemann heraus – und widerlegt | |
seine nihilistische Rede damit, dass er die Schrift „Der Einzige und sein | |
Eigentum“ und ihren Verfasser, den Anarchisten Max Stirner, als hohlste | |
Nuss am Philosophen-Himmel darstellt. Bald umgarnt Kathrin Angerer Hosemann | |
charmant. Der Schauspieler Abdoul Kader Traoré rappt zu afrofranzösischer | |
Musik, und alle warnen vor dem ominösen Mister Brown. Das überfrachtete | |
Verwirrspiel aus Namen, Handlungsfetzen, widersprüchlichen Bedeutungsebenen | |
lässt kaum ein Thema aus. | |
Im diffusen Kräftefeld aus Gesellschaft, Individuum und seinem Schicksal | |
bewegt sich „Der haarige Affe“, Frank Castorfs Inszenierung am | |
Schauspielhaus Hamburg, die seine Handschrift wiedererkennbar trägt: der | |
appellierende Ton, der ins Pathetische führt, die Ultragroßaufnahmen, mit | |
denen der Abend nicht geizt. Über weite Strecken des Abends folgt die | |
Live-Kamera den Schauspielern ins Innere des Bühnenbilds. Die U-Bahn-Treppe | |
hinunter geht es in den Kesselraum eines Ozeandampfers, zur Vorhölle einer | |
Horde betrunkener, kohleschaufelnder und Reden schwingender Schiffsheizer. | |
Die dreckverschmierten Schauspieler Josef Ostendorf, Charly Hübner und | |
Samuel Weiss nimmt die Kamera detailnah ins Visier. Aufgerissenes Augenweiß | |
blitzt in kohlenstaubschwarzen Gesichtern. In dieser Unterwelt aus Angst, | |
Schweiß und Aufruhr legt Castorf die Fährten fürs Klassenkampf-Stück. | |
Zumindest bis das HighSociety-Mädchen Mildred (Lilith Stangenberg) aus dem | |
Oberdeck auftaucht und sich andere bizarre szenische Fantasien entwickeln. | |
Erst fällt Mildred in Ohnmacht, dann wird sie begrapscht und schaufelt | |
schließlich komplett nackt eine Viertelstunde lang Kohlen in den | |
Schiffskessel. | |
## Heizer im Kesselraum | |
An Pathos, Ideen und Text spart Castorf nicht. „Der haarige Affe“ heißt der | |
Abend frei nach Eugene O’Neills rebellischem Anti-Stück zum | |
US-Aufstiegstraum aus dem Jahr 1921. Im Kesselraum erkennt der Heizer Yank | |
seine Bedeutungslosigkeit. Die Wut darüber treibt ihn auf die Fifth Avenue, | |
zur Gewerkschaft und in den Zoo. Doch nirgends findet er seinen Platz. | |
Dieser Vorlage sind allerdings noch zwei weitere Stücke O’Neills beigefügt, | |
dazu Rimbaud-Fragmente und etliche Musikeinlagen. Eine Dreiecksbeziehung | |
entspannt sich langatmig zwischen Dion, dem Architekten Brown und der | |
schönen Margaret, gespielt von Anne Müller in pelzbesetzten Glitzerfummeln. | |
Zwischen verschiedenen Texten zu springen und sie gegenseitig zu vertiefen, | |
dafür hat der Regisseur jüngst nochmal für seine „Faust“-Inszenierung | |
Anerkennung erhalten mit einer Einladung zum Berliner Theatertreffen. In | |
„Der haarige Affe“ entspinnt sich ein Sammelsurium gegensätzlicher Themen | |
um den aufbegehrenden Menschen. Doch die Handlungsstränge verbinden sich | |
einfach nicht. Selbst die interessantesten Gedanken werden eher ausgestoßen | |
als diskutiert. Die sinnsuchende Grundhaltung des Abends steigert sich zum | |
Ende zwar in grandiosen Monologen, wenn Charly Hübner etwa zum eloquenten | |
Smokingträger aufsteigt. Nach fünf ausgedehnten Stunden scheint eine | |
euphorische Energie noch einmal die Schauspieler zu befeuern, doch | |
Sinnstiftung lässt sich nicht mehr erzwingen. Das rauschhafte | |
Philosophieren verpufft zwischen blinkender Zigarettenreklame und dem | |
Heizerkeller, zwischen Zeitungskiosk und einer Hanfplantage. Zwischendurch | |
gibts auch mal einen Witz zur #Meetoo-Debatte. Lilith Stangenberg lässt | |
ihren Pelz fallen mit den Worten, dass man als Frau nur Sperma schlucken, | |
abduschen und weitermachen müsse. Das Publikum quittiert die Provokation | |
mit einem satten Buh, ein Moment der Deutlichkeit auf der Bühne wie im | |
Zuschauerraum. Vieles andere des Abends lässt einen eher ratlos zurück. | |
Vorhang zu, Fragen offen. | |
21 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Simone Kaempf | |
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