# taz.de -- Rosen, Brandy, vier Flugtickets | |
> Mehr als ein menschliches Leben verkraften kann. Bei den Themen Liebe und | |
> Tod ist keine Autorin so glaubwürdig wie Lucia Berlin: die Story-Sammlung | |
> „Was wirst du tun, wenn du gehst“ | |
Von Klaus Bittermann | |
Die Story-Sammlung von Lucia Berlin „Was ich sonst noch verpasst habe“ war | |
2016 eine literarische Sensation. Das Feuilleton war voll des Lobes, und | |
wieder einmal stellte sich die Frage, wie eine so großartige Autorin so | |
lange unentdeckt oder eben auch ignoriert werden konnte. Der Anerkennung | |
kam jedoch zu spät, denn 2004 starb sie mit nur 68 Jahren. In dieser Zeit | |
hatte sie so ziemlich alle Höhen und Tiefen durchgemacht, die ein | |
menschliches Leben verkraften kann. | |
Sie wächst als Tochter einer Alkoholikerin auf. Auch ihr Großvater ist | |
Alkoholiker und missbraucht ihre Mutter und ihre Schwester. Sie ist ständig | |
auf Reisen, lebt das unbeschwerte Leben in Reichtum und stürzt in völlige | |
Mittellosigkeit. Noch minderjährig flüchtet sie aus dem Elternhaus, wird | |
abhängig von Drogen, Alkohol, Liebhabern und kämpft sich als | |
alleinerziehende Frau von vier Kindern wieder an die Oberfläche. Es ist ein | |
Leben von Balzac’schem Format und hätte einem Autor Stoff für Tausende von | |
Seiten geliefert. | |
Lucia Berlin aber hat ein eher schmales Werk hinterlassen. Sie hat dabei | |
nie den Schrecken und die Qual in den Vordergrund gestellt, sondern sich | |
immer auf Andeutungen beschränkt, sie hat ihren sehr reduzierten Stil von | |
jeglicher Kommentierung befreit und bewies dabei ein Gespür für das | |
Komische, das noch der bedrückendsten Situation innewohnt. Das ist eine | |
Gabe, die sehr selten ist. | |
Da das erste Buch eine Auswahl ihrer Geschichten enthielt, lag die | |
Vermutung nahe, dass der zweite nun erschienene Erzählungsband die | |
schwächeren Arbeiten enthält, aber das ist nicht der Fall. In der | |
Geschichte „Bis später“ gleich am Anfang erzählt Lucia Berlin auf | |
hinreißende Weise von ihrem Freund Max, der sie immer anruft, egal wo er | |
oder sie sich gerade aufhalten, um ihr „Hallo“ zu sagen, und wie sehr sie | |
es liebt, ihn das sagen zu hören, und wie er sie eines Tages in New York | |
besucht, wo sie mit ihrem Mann lebt, „mit Rosen, einer Flasche Brandy und | |
vier Flugtickets“. Und Berlin schreibt lapidar: „Ich weckte die Jungs, und | |
wir gingen.“ | |
Lucia Berlin beschreibt das Glück und die Liebe, ohne im geringsten | |
kitschig zu sein. „Wir blieben so lange auf, bis der Mond groß und blass | |
geworden war.“ Und dann? „Eines Tages erwachte ich, bevor die Sonne | |
aufging, und er war nicht da. Es war still im Zimmer. Er muss schwimmen | |
gegangen sein, dachte ich. Ich ging ins Bad. Max saß auf der Toilette, | |
kochte etwas in einem schwarz angelaufenen Löffel. Eine Spritze lag auf dem | |
Waschbecken. „ ‚Hallo‘, sagte er. ‚Max, was ist das?‘ ‚Das ist Hero… | |
sagte er.“ Die beiden bekommen noch zwei Söhne. Sie reisen durch ganz | |
Mexiko und die Vereinigten Staaten, lassen sich schließlich in einem Dorf | |
an der mexikanischen Küste nieder. „Wir waren für lange Zeit glücklich, wir | |
alle, und dann wurde es schwer und einsam, weil er Heroin viel mehr | |
liebte.“ | |
Später wohnt sie bei ihrer bald sterbenden Schwester, um sie in den Tod zu | |
begleiten. „Wir lachen leise in ihrem Zimmer, zeichnen. Im Grunde ist die | |
Liebe für mich kein Rätsel mehr. Max ruft an und sagt Hallo. Ich sage ihm, | |
dass meine Schwester bald tot sein wird. ‚Wie geht es dir?, fragt er.“ | |
Und damit endet die Geschichte. Sie hat keinen Plot und keine Moral. Sie | |
hört auf, wie das Leben aufhört, unspektakulär, ohne Knall. Ein Mensch | |
stirbt, das Leben geht weiter, vielleicht auch die Liebe. Und irgendwann | |
ruft Max an und sagt „Hallo“. Niemand kann Liebe in ihrer Banalität, ihrer | |
Tragik und Schönheit besser in einem Text aufscheinen lassen als Lucia | |
Berlin. Sie wusste genau, wovon sie schrieb. | |
10 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Klaus Bittermann | |
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