# taz.de -- Neue Wege für die S-Bahn | |
> Proppenvoll und störanfällig: Die Berliner S-Bahn wird geliebt, gehasst, | |
> und vor allem gebraucht. Wer sie künftig betreiben wird, ist unklar. | |
> Sicher aber ist: Sie muss ins Umland ausgebaut werden | |
Bild: Steigende Fahrgastzahlen, trotzdem nicht viele Fans: die Berliner S-Bahn | |
Text Richard Rother Foto Karsten Thielker | |
Reisen kann erkenntnisreich sein. Eine Woche war ich in den Herbstferien | |
mit meiner Familie in London, und allein der Vergleich des hoch | |
beanspruchten öffentlichen Nahverkehrs der Metropolen Berlin und London war | |
aufschlussreich: In London gab es in der einen Woche, in der wir als | |
Touristen sehr viel unterwegs waren, nur ein einziges Mal eine kleine | |
Verzögerung bei der U-Bahn. In Berlin aber erlebe ich drei bis vier, | |
teilweise erhebliche Störungen pro Woche. | |
Besonderes Sorgenkind ist und bleibt die S-Bahn; die Krise, die 2009 mit | |
dem Radbruch einer voll besetzen S-Bahn begann, ist noch nicht vorbei. Dem | |
Unternehmen, einer Tochtergesellschaft der bundeseigenen Deutschen Bahn AG, | |
machen mehrere Probleme zu schaffen: Es gibt zu wenige und mitunter defekte | |
Fahrzeuge, zu wenige Lokführer, Weichen und Signale sind störanfällig, der | |
Informationsfluss bei Störungen ist mangelhaft, in Stoßzeiten sind die Züge | |
überfüllt. So ist der Fahrgastzuwachs der letzten Jahre eher auf den | |
Berlin-Boom und die Stadtflucht vieler Berliner zurückzuführen als auf | |
bessere Leistungen der S-Bahn. Im Jahr 2016 beförderte das Unternehmen | |
430,7 Millionen Fahrgäste, 2015 waren es 416,8 Millionen, und 2012 zählte | |
das Unternehmen 395 Millionen Passagiere. | |
Das wäre eigentlich eine Erfolgsgeschichte – würden mangelhafte | |
Zuverlässigkeit und mangelhafter Komfort bei gleichzeitig hohen Preisen | |
vielen Passagieren nicht das Fahrvergnügen vermiesen. Dass dennoch immer | |
mehr Kunden und Kundinnen S-Bahn fahren, liegt schlicht – etwa unter | |
Pendlern – am Mangel an Alternativen. Für wen der Arbeitsweg zu weit ist, | |
um mit dem Fahrrad zu fahren, dem bleibt nur S-Bahn oder Auto. Gegen das | |
Auto sprechen nicht nur Umweltargumente, sondern vor allem Stau und | |
Parkplatzmangel. Wer sich diesem Stress jeden Morgen aussetzt, ist selber | |
schuld. | |
Aus Sicht mancher S-Bahn-Fahrer sind die Aus-Bequemlichkeit-im-Stau-Steher | |
aber gar nicht so unwillkommen – denn oft würden S- und U-Bahn im | |
Berufsverkehr einen weiteren Fahrgastansturm gar nicht verkraften. Nicht | |
nur auf dem Wohnungsmarkt und in den Schulen, sondern auch im Nahverkehr | |
zeigt sich: Berlin ist derzeit mit dem Wachstum überfordert. | |
Dabei könnte die S-Bahn das Rückgrat des städtischen Nahverkehrs sein, der | |
bis weit ins Brandenburgische reicht und so für eine Entlastung Berlins | |
sorgt. Schon heute zeigt sich: Die S- und Regionalbahn sind die Lebensadern | |
des Umlandes. Ist ein Bahnhof in der Nähe, wachsen Städte und Gemeinden; | |
fehlen Bahnhöfe, bleiben die Kommunen deutlich hinter ihren Konkurrenten | |
zurück. | |
In Berlin wird derzeit heftig darüber diskutiert, wem die S-Bahn gehören | |
und wie ihr Betrieb organisiert werden soll. Angesichts des traumatischen | |
S-Bahn-Chaos ist das verständlich, aber es verengt die Sicht auf die | |
S-Bahn. Zwar hat eine landeseigene S-Bahn Charme, doch ist zu bedenken: | |
Auch die landeseigene BVG hat derzeit Probleme, und wenn die Deutsche Bahn | |
(also letztlich die Bundesregierung) ihren Umsatzbringer S-Bahn nicht | |
verkauft, kann die Berliner Landespolitik ewig „Wünsch dir was“ spielen. | |
Viel wichtiger wäre es, jetzt die Weichen zu stellen, damit künftig mehr | |
Züge weiter ins Umland fahren – um das Wachstum der Metropolenregion | |
gleichmäßiger zu verteilen. Dazu gehören neue Gleise für bessere Takte auf | |
bestehenden Strecken, die Schließung der Lücken, die Krieg und Teilung in | |
das alte Netz geschlagen haben, sowie sinnvolle neue Strecken. Die S-Bahn | |
sollte endlich über Spandau nach Falkensee (sogar bis Nauen) verlängert | |
werden, um die Regionalbahn zu entlasten. Neue Strecken nach Rangsdorf und | |
Velten wären ebenfalls in Betracht zu ziehen. Für den Südwesten der Stadt | |
wäre auch der Wiederaufbau der Potsdamer Stammbahn wünschenswert. Zu | |
bedenken ist nur: Neben Neu- und Ausbauten bei der S-Bahn können auch | |
solche der U- und Regionalbahn sinnvoll sein. Als Fazit bleibt aber: Neue | |
Schienen braucht Berlin. | |
themenschwerpunkt 44/ | |
3 Feb 2018 | |
## AUTOREN | |
Richard Rother | |
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