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# taz.de -- Regisseurin über ihren Film „Licht“: „Sie hat wirklich keine…
> Barbara Albert im Gespräch über das blinde Wiener Klavier-Wunderkind
> Maria Theresia Paradis, Heldin ihres Historienfilms und die
> #MeToo-Debatte.
Bild: Die blinde Pianistin Maria Theresia Paradis, gespielt von Maria Dragus
Der Spielfilm „Licht“ folgt dem Leben der als Kind erblindeten Maria
Theresia „Resi“ Paradis im Wien des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Resi ist
ein Klavier-Wunderkind, das diverse medizinische Fehlbehandlungen erlitten
hat. Die Eltern schicken sie schließlich zum Arzt Franz Anton Mesmer,
dessen neuer Ansatz nicht ganz unumstritten ist. In Mesmers Haus lernt Resi
langsam wieder sehen – und zum ersten Mal auch die eigene Freiheit kennen.
taz: Frau Albert, inwieweit ist „Licht“ in Ihren Augen ein Historienfilm –
in dem Sinne, dass der Film wirklich Geschichte zeigen will?
Barbara Albert: Ich bin bei dem Film mehr von der Figur der Maria Theresia
Paradis ausgegangen als von dem Wunsch, einen historischen Film zu drehen.
Schon beim Lesen von Alissa Walsers Roman „Am Anfang war die Nacht Musik“
(2010) war die Figur der Maria Theresia Paradis das Wichtigste. Ich wollte
dieser Frau nahekommen, die im Roman ja so unnahbar scheint. Mich hat diese
Figur interessiert, weil sie anfangs wie ein zu großes Kind wirkt, das wie
ein Objekt hin und her geschubst wird, diese Frau, die im Roman so schön
hässlich beschrieben wird. Das hat für mich nach Film geschrien. Aber
letztlich muss es egal sein, ob es ein historischer Film ist oder ein
zeitgenössischer. Denn ein Film sollte für mich, auch wenn er historisch
ist, relevant sein. Deswegen kann ich das gar nicht so richtig trennen. Ich
hatte wirklich großen Respekt vor dem historischen Drehen. Man muss
schließlich wissen, warum man diesen Stoff heute und hier erzählen muss. So
wollte ich etwas über die Rolle der Frau erzählen, über Machtsysteme und
über dieses Gockeln der Männer, die eigentlich genauso, nur auf andere
Weise, in einem Korsett stecken.
War der Roman die erste Begegnung mit der Figur?
Ja. Erst durch die Recherche ist mir bewusst geworden, wie viele Literaten
sich schon mit ihr beschäftigt haben. Es gibt ja auch schon einen Film über
sie und Mesmer, der die Resi mehr als Opfer darstellt und überhaupt einen
ganz anderen Ansatz hat. Wir wussten, dass es nicht leicht ist, diese
Geschichte zu erzählen, ohne eine offensichtliche Liebesbeziehung der
beiden. Das wäre ja das Naheliegendste gewesen, da eine romantische
Geschichte draus zu machen. Aber das haben wir absichtlich nicht erzählt,
ich glaube auch nicht, dass es die gab. Ich glaube, das wurde den beiden
unterstellt, um Mesmer aus Wien rauszuekeln.
Wie hat die Anverwandlung des Romans konkret funktioniert?
Am Anfang habe ich gedacht, ich kann das Drehbuch selbst schreiben, war
dann aber länger als gedacht mit „Die Lebenden“ beschäftigt. Ich hatte
schnell das Gefühl, dass ich gewisse Leute zusammenbringen muss. Ein Team,
das viel mit meinen filmischen Anfängen zu tun hat und diesem Wunsch, der
Figur nahezukommen. Ich habe dann bald gemerkt, dass ich beim Schreiben
des Drehbuchs einfach nicht weiterkomme. Ursula Wolschlager, die das
Projekt in der Entwicklung als Produzentin begleitet hat, hat daher Kathrin
Resetarits als Autorin ins Spiel gebracht, ich habe Kathrin dann erzählt,
was mich an dem Roman interessiert, und sie hat angefangen zu schreiben.
Das Ergebnis war eine erste Fassung des Drehbuchs, die sehr lang war, und
dann kam irgendwann ich ins Spiel und habe aus diesem Drehbuch Dinge
rausgeschnitten, also im Grunde montiert wie im Schneideraum.
Bei allen Ihren bisherigen Filmen haben Sie das Drehbuch selbst
geschrieben. Hat sich durch diese Arbeitsweise etwas verändert?
Das Interessante war, dass ich mich als Regisseurin viel freier gefühlt
habe. Das heißt, ich habe früher visuelle Ideen entwickelt, war freier im
Casting. Wenn man nicht selbst das Drehbuch geschrieben hat, hat man einen
weniger verstellten Blick und kann mehr annehmen. Zu Beginn kannst du als
Regisseurin weniger annehmen, weil du deine Ideen beschützt, und irgendwann
verstehst du immer mehr, wie es funktioniert, im Team zu arbeiten, und dass
es darum geht anzunehmen – oder auch nicht. Wie ein Sieb, das manches
durchlässt, anderes auch nicht.
Sie haben fast jeden Film mit einer anderen Person an der Kamera gemacht.
Wie kommunizieren Sie jeweils über Bilder?
Das ist natürlich unterschiedlich, so wie man auch mit Schauspielern
unterschiedlich arbeitet. Aber es gibt immer eine Art Klausur. Mit der
Christine (A. Maier, Kamera, Anm. d. Red.) habe ich mich neben vielen
Treffen in Berlin zum Beispiel eine Woche in einem Wasserturm verschanzt.
Wir sind das Buch durchgegangen und bei manchen Szenen habe ich ganz
konkrete Bilder gehabt, bei anderen sie, aber letztlich geht es immer um
die Frage: Welches Bild erzählt was? Warum zeige ich genau das und warum
von hier und nicht von da? Und wir waren sehr streng, im Sinne von: Wenn
wir kein Bild finden, das die Quintessenz dieser Szene ist, dann brauchen
wir die Szene vielleicht gar nicht. Das war gar nicht einfach, der Film ist
ja eine Art Kammerspiel, es gibt nicht viele Außenszenen und gar nicht so
viele Möglichkeiten. Denn wenn man historisch wirklich groß erzählen
möchte, braucht man noch mehr Millionen, das ist wahnsinnig aufwändig. Du
musst also doppelt denken: Einerseits, wie kann ich mit wenig Aufwand mit
einem Bild auch historisch Wesentliches erzählen, aber zugleich auch, wann
sind wir ganz nah an Resi dran und schlüpfen in ihre Wahrnehmung. Dafür hat
Christine mit der Handkamera gearbeitet, um von schräg hinter Resi quasi in
sie hineinzukriechen. Da gab es Einstellungen mit einer Lochbildkamera,
wofür wir im Vorfeld viele Optiken getestet haben, die letztlich viel zu
technisch gewirkt haben, weil sie Effektoptiken waren. Zuletzt aber sind
Bilder dabei herausgekommen, die für mich wie impressionistische Gemälde
wirken oder wie die allerersten Fotografien, was eine schöne
Selbstreflexion des Mediums ist.
Die Figur der Kammerzofe Agnes ist deutlich stärker gezeichnet als im
Roman. Was war Ihnen an dieser Figur wichtig?
Das war vor allem Kathrin Resetarits wichtig, dass wir diese beiden Figuren
spiegeln. Agnes hat ja, weil sie in diesem Milieu lebt, die allerwenigsten
Chancen. Resi ist zwar limitiert, weil sie blind ist. Wenn man aber
bedenkt, was es hieß, in dieser Zeit Frau zu sein, erlebt sie
paradoxerweise doch eine gewisse Freiheit. Auch weil sie nicht heiraten
muss. Heiraten hieß ja damals wirklich, jede Freiheit aufzugeben. Aber eine
Agnes, die ist durch ihre Herkunft so eingeschränkt, sie hat wirklich keine
Chance.
Was sich ja auch zeigt, als Agnes von einem Freund Mesmers betatscht wird.
Genau, das war mir wichtig. Während der Film seine Premiere hatte, ging ja
auch die #MeToo-Debatte los und der Film ist natürlich unabhängig davon
entstanden, aber das könnte die Szene zur Debatte sein. In dieser Szene ist
absolut klar, dass Agnes nicht Nein sagen kann. So eine Szene zeigt, dass
es eben nicht immer klar war, dass die Frau Nein sagen konnte. „Licht“ ist
ja ein Film aus der Perspektive unterschiedlicher Frauen, die sich in
unterschiedlichen Lebenssystemen bewegen. Das fanden wir auch
gesellschaftlich wichtig zu erzählen: Nicht nur die privilegierte
Perspektive zu zeigen, sondern auch die unterprivilegierte, weil auf die
nie geschaut wird. Und wenn wir schon Resi ins Licht ziehen – was ich gut
und richtig finde, weil man die Paradis viel zu wenig kennt im Vergleich zu
den männlichen Kollegen der Zeit –, warum dann nicht auch eine Agnes, die
in den Geschichtsbüchern gar nicht vorkommt. Und am Ende geht ja auch Agnes
mit erhobenem Kopf quer durchs Bild.
31 Jan 2018
## AUTOREN
Fabian Tietke
## TAGS
Historienfilm
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