Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Luxus und Elend in Bildern
> Sie hat Österreich-Ungarns Hochadel fotografiert und Pariser Mode, floh
> vor den Nazis und überlebte im Gebirge. Später fotografierte sie in
> Schlachthäusern und Displaced-Persons-Camps. Jetzt ist Dora Kallmus alias
> Madame d’Ora eine Ausstellung in Hamburg gewidmet
Bild: Die Fotografin D’Ora konnte Haute Couture und auch Gosse. Hier im Bild:…
Von Alexander Diehl
Neue Zugänge verspricht, gleich ganz zu Beginn, [1][der Katalog zu dieser
Ausstellung]. Oder genauer: Die versprechen Monika Faber, Esther Ruelfs und
Magdalena Vuković, die drei hauptsächlich dafür Verantwortlichen. Denn dass
diese Dora Kallmus bedeutend war, wichtig und ja: Es so viele von ihrer Art
nicht gab, das hatten auch vergangene Ausstellungen und Veröffentlichungen
schon bekundet. Bloß ist es inzwischen vier Jahrzehnte her, dass das
Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe (MKG) sich ihrer annahm, beinahe so
lange liegt auch die letzte Monografie über Kallmus zurück, 1984 vorgelegt
just von der eben erst erwähnten Monika Faber. Der neue Katalog weiß auch
zu berichten von „verschiedenen Publikationen und Ausstellungsprojekten“,
die Kallmus, pardon, d’Oras Arbeit in der Zeit zwischen den Weltkriegen
beleuchtet hatten, in den 1990er-Jahren war das; auch schon wieder eine
Weile her.
Nun also ist Madame d’Ora wieder im MKG zu sehen, dabei war sie doch
Wienerin mit einem Faible für Paris, wo sie ab 1925 lebte; aber wesentliche
Teile ihres Nachlasses lagern eben in – Hamburg. Er wurde „aufgearbeitet“
für diese Ausstellung, ferner besuchten die Macherinnen mehrere Archive und
sichteten zahlreiche Originaltexte, entstanden zwischen den Nuller- und
50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Mehr denn je widmet sich diese
Ausstellung nun auch der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, der wohl am
wenigsten glamourösen Werkphase. Biografisch hatte die Künstlerin da das
Schlimmste hinter sich: den deutschen Einmarsch, die Flucht aus Paris ins –
technisch gesehen – nicht besetzte Vichy-Frankreich, in ein Bergdorf im
erzkatholischen Département Ardèche.
Aber vielleicht doch erst noch mal zurück, in Richtung Anfang: Dora
Philippine Kallmus war eine von zwei Töchtern eines jüdischen Juristen,
dieser: arriviert in Wien und mit besten Kontakten auch zum kaiserlichen
Hof. Statt bloße „Frau im Hintergrund“ zu bleiben, also heimliche Geliebte
eines verheirateten Mannes, soll sie sich 1904 entschlossen haben, lieber
Erfüllung in einem Beruf zu suchen. Schon 1906 erfolgte ein Eintrag ins
Wiener Gewerberegister als Fotografin.
Zuvor hatte Kallmus, noch nicht d’Ora, Fotokurse an der Graphischen Lehr-
und Versuchsanstalt besucht – ein „regelrechtes Studium“ konnten Frauen
dort allerdings noch nicht absolvieren.
Den eigentlichen Beginn ihrer Karriere datieren die Ausstellungsmacherinnen
nun auf das Jahr 1907, und der Weg dahin klingt dann plötzlich ganz heutig.
Erst mal nämlich war Kallmus ein halbes Jahr lang Praktikantin in Berlin,
genauer: dem Atelier von Nicola Perscheid, in dem, so heißt es im Katalog,
„die dortige ‚höhere‘ Gesellschaft ein- und ausging“. Im Herbst dann
eröffnete sie in Wien ihr erstes eigenes Atelier – und den
pseudofranzösischen Künstlerinnennamen legte sie sich auch zu.
Es ist, könnte man sagen, die ganze Breite jenes, des 20. Jahrhunderts, die
Kallmus alias d’Ora (1881–1963) dann vor ihr Objektiv bekam. Auch jetzt in
Hamburg hängen da ihre Porträts zeitgenössischer Prominenz, Schnitzler und
Kraus also, die Mäxe Reinhardt und Liebermann, aber auch Coco Chanel und
Josephine Baker. Daneben wiederum Leute, die damals von höchstem Rang
gewesen sein mögen, die heute niemand mehr kennt, auch weil der Hof, zu
dessen Entourage all die Herzöge und Comtessen zählten, schon wieder eine
ganze Weile passé ist.
Dann die Mode, insbesondere die aus Paris, zu deren Bekanntheit in Wien und
Berlin d’Ora erheblich beigetragen hat – dank der Verbreitung über die
zeitweise geradezu explodierende Zahl einschlägiger Magazine. „Die deutsche
‚neue Frau‘ der Weimarer Republik“, so spitzt es Esther Ruelfs im Katalog
zu, sei „im Falle d’Oras eine Französin“ gewesen. Ab etwa 1925
repräsentierten in ihrer Arbeit französische Modelle, französisch
eingekleidet, jenes Bild eines zeitgenössischen Frau-Seins, selbstständig
und stark, das bald darauf dem zutiefst rückwärts gewandten, dem
nationalsozialistischen würde weichen müssen.
Nach Krieg und Okkupation fotografierte Dora Kallmus wieder, und einige
Motive waren sogar die von früher: Den Chanson-Superstar Maurice Chevalier
etwa, der die Zeit der deutschen Besatzung in Paris und sehr viel
komfortabler verbracht hatte – viele seiner Landsleute waren nicht amüsiert
darüber, dass er auch für die Wehrmacht sang. Ihn lichtete d’Ora auch jetzt
wieder ab, weniger glamourös natürlich, älter, zerbrechlicher vielleicht
auch.
Aber vor allem trug sie ihre Kamera nun an Orte, die weiter weg kaum sein
könnten vom Wiener Hofstaat oder der Haute Couture. In Flüchtlingslagern in
Salzburg und Wien fotografierte sie zwischen 1946 und 1948 „Menschen, deren
Leben zum Spielball der internationalen Politik geworden war“, so schreiben
Magdalena Vuković und Peter Schreiner im Katalog. Vertriebene und
Flüchtlinge sind gemeint, Lagerinsassen und Displaced Persons (DP).
Unklar ist, für wen sie das tat. Es gibt Hinweise darauf, dass die
Vereinten Nationen zumindest einer der Auftraggeber waren, die Quellenlage
aber ist dürftig.
Diese Bilder, auch hier sind es vor allem Porträts, zeigen KZ-Überlebende,
aber wohl vor allem deutschsprachige Vertriebene – d’Ora sah da offenbar
keinen bedeutsamen Unterschied. Sie scheine, so Vuković und Schreiner,
‚Volksdeutschen‘ mit dem gleichen Blick wie jüdischen DPs begegnet zu
sein“.
Auch religiöse oder nationale Symbole finden sich auf diesen Bildern keine.
Da sind Menschen zu sehen, die wirken, als hätten sie sich einem nur zur
Überbrückung gedachten Zustand auf Dauer einrichten müssen; Erschöpfte,
Kranke vielleicht, Alte, auch Kinder. Für die KatalogautorInnen lag d’Ora
bei der Auswahl „wenig an einem repräsentativen Gesamteindruck“ – eine
Dokumentaristin war die brillante Handwerkerin immer noch nicht geworden.
Auch als sie, in den 1950er-Jahren, in die Pariser Schlachthöfe ging, war
sie das nicht. Sie wollte da nichts entlarven, auch niemanden dazu
überreden, Vegetarier zu werden. Nein, d’Ora reiht Rinderknochen auf wie
einst vielleicht Tänzerinnen und lässt Rinderbauch-Fettgewebe wie edle
Spitze erscheinen – und das unter einem Titel wie „Branches dans la neige�…
obwohl da weder Äste zu sehen sind noch Schnee.
Es steckt aber auch keine allzu leicht zu dechiffrierende Behauptung von
Kontinuität zwischen Glamour und Gedärm darin. Die Lesart, dass d’Ora tote
Tiere fotografierte als Kommentar auf jenes Jahrhundert voller Leichenberge
– sie ist nicht stichhaltiger als jene, dass so ein zerteilter Leib doch
hinweist auf die elementaren Prinzipien der Fotografie selbst: auf die
Komposition, den Aus-Schnitt.
„Machen Sie mich schön, Madame d’Ora“: Ausstellung bis 18. 3., Hamburg,
Museum für Kunst und Gewerbe
23 Feb 2018
## LINKS
[1] https://www.brandstaetterverlag.com/buch/machen-sie-mich-schoen-madame-dora
## AUTOREN
Alexander Diehl
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.