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# taz.de -- Streit um Gutenberg-Museum: Turmbau zu Mainz
> In der Landeshauptstadt von Rheinland-Pfalz gibt's Stress: Die Stadt will
> einen Gutenberg-Turm bauen. Doch dem Plan droht das Scheitern.
Bild: Hier soll der neue Turm gebaut werden: der Mainzer Liebfrauenplatz
Mainz taz | Steve Klein ist begeistert. Der Hochschullehrer aus dem
US-Bundesstaat Virginia steht im Foyer des Mainzer Gutenberg-Museums und
studiert die dort ausgestellten Baupläne des „Bibelturms“: Direkt gegenüb…
dem Dom soll der Solitär einmal 20 Meter in die Höhe ragen. Über die
gesamte Front des Anbaus soll sich als Außenhaut eine durchbrochene
Metallfassade wölben, zusammengesetzt aus bronzenen Lettern.
Unterirdisch wäre der Turm mit dem prächtigen Renaissancegebäude und zwei
Anbauten aus den 1960er und 2000er Jahren verbunden, mit denen das
Druckereimuseum bisher zurechtkommen muss. Im Untergeschoss würde endlich
ausreichend Platz für die Schätze des Museums entstehen, die originalen
Gutenberg-Bibeln, wertvolle Handschriften und seltene frühe Druckwerke.
Diesen Entwurf des Hamburger Büros, das den Architektenwettbewerb gewonnen
hat, findet Steve Klein genial: „Ein Werbeschild für Gutenbergs
Erfindungen, die die Welt verändert haben. Der Buchdruck war schließlich
eine Revolution, nur vergleichbar mit der Digitalisierung“, sagt der
Museumsbesucher aus Virginia. Dass Mainzer BürgerInnen gegen das Projekt
Sturm laufen, mag er nicht glauben.
Doch es gibt massiven Widerstand gegen das Projekt. Fast 10.000
Unterschriften hat eine Bürgerinitiative gesammelt, die den Neubau
verhindern will. Die erbittert geführte Auseinandersetzung hat sich
ausgerechnet an einem ganz und gar friedlichen Event entzündet, dem
legendären „Marktfrühstück“.
## „Worscht, Weck und Woi“
Das ist in Mainz eine fast ebenso wichtige Institution wie die Fassenacht.
In den Sommermonaten treffen sich an jedem Samstag zahlreiche BürgerInnen
auf dem Liebfrauenplatz und verfrühstücken in geselliger Runde „Worscht,
Weck und Woi“ – Wurst, Brötchen und Wein also. Im Winter, in der
Weihnachtszeit, lassen es sich die MainzerInnen an selber Stelle in Hütten
und hölzernen Fassattrappen bei Glühwein gutgehen. Der Bibelturm würde
einen Teil des Platzes einnehmen, drei Platanen müssten ihm weichen.
Die taz trifft den redegewandten Sprecher der Turmgegner, Nino Haase, im
nahen Bistro Hintz und Kuntz mit Ausblick auf den Platz vor dem Dom. „Ein
Stück Mainzer Lebensart ist bedroht“, sagt der Mainzer. „Das bisschen noch
vorhandene Grün in der Innenstadt muss unbedingt erhalten bleiben.“ Aber
nicht nur folkloristische Argumente trägt Haases Bürgerinitiative vor. Es
geht auch ums Geld.
Der vom Stadtrat in den Haushalt eingestellte Millionenbetrag für den
Neubau war eigentlich für die fällige, aber zurückgestellte
Brandschutzsanierung des Altbaus aus den 1960er Jahren vorgesehen. Die
Stadt ist hoch verschuldet. Neubauprojekte sind eigentlich kaum
genehmigungsfähig. „Baut man mit dem vorhandenen Geld den Bibelturm, bleibt
das alte Museum marode“, sagt Haase. Die Hoffnung der Verantwortlichen auf
großzügige Spender nennt er ein „Luftschloss“. Er spottet: „Die brauchen
sogar Sponsoren, damit im Sommer in den Brunnen der Stadt Wasser läuft.“
## Stadtrat befragt BürgerInnen
Der Stadtrat hat mittlerweile auf die Kritik reagiert und einem
Bürgerentscheid zugestimmt. Die Vorbereitungen laufen bereits. Am 15. April
werden die BürgerInnen abstimmen können. Sollte eine Mehrheit gegen das
Projekt votieren, ist der Turm erledigt. Das Quorum liegt bei nur 15
Prozent. Eine Minderheit könnte also ein Projekt kippen, das die
Stadtverordneten zuvor mit großer Mehrheit beschlossen hatten.
Baudezernentin Marianne Grosse (SPD) und Museumsdirektorin Anette Ludwig
werben unverdrossen für den Turm. Nur der Bau des Bibelturms mit seinen
unterirdischen Ausstellungsräumen erlaube es, das Museum während einer
späteren Brandschutzsanierung offenzuhalten; die wichtigste Attraktion, die
Gutenberg-Bibeln und die alten Handschriften, blieben auch in der Bauphase
zugänglich – in neuen großzügigeren Schauräumen, argumentieren sie.
Das Museum ist tatsächlich in die Jahre gekommen. Wer den Tresor betritt,
in dem die berühmten Bibeln ausgestellt sind, muss eine hohe Schwelle
überwinden. RollstuhlfahrerInnen können nicht nah an die Vitrinen
heranfahren. Wenn sich eine Schulklasse im Raum aufhält, stehen die
Jugendlichen in Dreier- und Viererreihen hintereinander. Es gibt keine
Computer, an denen man virtuell in digitalisierten Folianten blättern
könnte. Die Klimaanlage bläst vernehmbar Luft in den kleinen Raum, auch sie
ist nicht auf dem Stand der Zeit.
Was funktioniert, sind die beiden Druckwerkstätten, in denen es fast wie in
Gutenbergs Zeiten zugeht. Routiniert und engagiert zieht Michael Sobotta
dort seine Show ab, je nach Wunsch auf Deutsch, Englisch oder Französisch.
Der Museumsmitarbeiter streift sich große Stulpenhandschuhe über, wenn er
die köchelnde Bleilegierung in den von Gutenberg erfundenen Handgießapparat
einfüllt.
Den gegossenen Buchstaben reicht er herum. Er färbt per Hand den Bleisatz
für die erste Seite des Johannesevangeliums ein, gesetzt in Textura, genau
wie die Gutenberg-Bibeln. Das Papier fährt er auf einem Schlitten in die
Presse ein. Wie vor 500 Jahren presst er das Papier mit dem „Druckbengel“
auf den Bleisatz – fertig ist ein Faksimile der Gutenberg-Bibel.
## Kein Platz, kein Geld
Auch die übrigen Etagen des Museums beherbergen eigentlich eine
einzigartige Sammlung: Mittelalterliche Druckstöcke finden sich ebenso wie
Lynotype-Setzmaschinen, die jahrzehntelang automatisch im Minutentakt in
Blei gegossene Druckzeilen für den Zeitungsdruck ausgespuckt haben. Es gibt
eine reichhaltige Ostasienausstellung, Attraktion vor allem für Besucher
aus Fernost. Die Ausstellungsebenen wirken allerdings übervoll, es fehlt
der Platz und das Geld für zusätzliche museumspädagogische Konzepte.
Ein bisschen ratlos wirken die Verantwortlichen aus der Politik, wenn man
sie auf das mögliche Aus für den Bibelturm anspricht. „Wir sollten groß
denken“, sagt Baudezernentin Grosse. „Wenn’s zu mutig war, dann müssen w…
damit leben“, fügt sie hinzu. Das klingt nicht allzu optimistisch.
Überhaupt wirkt die Stadt ein wenig überfordert, vor allem finanziell.
Mainzer BürgerInnen hatten das Museum im Jahr 1900 zum 500. Geburtstag des
berühmtesten Sohnes der Stadt gegründet. Deshalb ist es bis heute ein
kommunales Museum, kein Landesmuseum. Das Land Rheinland-Pfalz und der Bund
fördern nur einzelne Projekte des Hauses. Bevor PräsidentInnen und gekrönte
Häupter als Ehrengäste bei den Gutenberg-Bibeln vorbeischauen, werden schon
mal Wände gestrichen und Toiletten saniert. Mehr ist aber nicht drin.
„Eine Änderung des Status als kommunales Museum ist aktuell nicht geplant“,
teilt der Mainzer Kunst- und Wissenschaftsminister, Konrad Wolf (SPD), auf
taz-Anfrage mit. Und zum erbitterten Streit über den Bibelturm erklärt er
lapidar: „Ich freue mich, wenn eine kulturpolitische Frage im Fokus einer
breiten öffentlichen Debatte und eines Bürgerentscheids steht. Es liegt nun
an den Mainzerinnen und Mainzern, ihre Wahl zu treffen.“
Über ein bisschen mehr Unterstützung der Landesregierung würden sich die
Verantwortlichen der Stadt sicher freuen. Als „Leuchtturm der
rheinland-pfälzischen Museumslandschaft“ hatten sie den Neubau einst
angepriesen. Im Januar sollte eigentlich der erste Spatenstich für den
Bibelturm gefeiert werden. Wegen des Widerstands in der Stadt ist zumindest
daraus schon mal nichts geworden.
6 Feb 2018
## AUTOREN
Christoph Schmidt-Lunau
## TAGS
Mainz
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