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# taz.de -- Terror, Grauen und Koloratur
> Das Theater Osnabrück wagt sich an die düstere „Antigona“ des fast
> vergessenen Rokoko-Komponisten Tommaso Traetta
Bild: Zarter Widerstand, verletzlich und bestimmt: Erika Simons gerät als Anti…
Von Harff-Peter Schönherr
Der Vorhang ist erst ein paar Augenblicke oben, da fließt schon das erste
Blut. Ein wilder Bajonettkampf – und Polinice und Eteocle, Antigonas
Brüder, liegen tot im Staub. Eben noch haben sie zusammen gelacht, Football
gespielt. Jetzt herrscht Entsetzen, fassungslose Trauer. Kurze, schnelle
Szenen. Ein fast filmischer Auftakt.
Der Vorhang ist erst ein paar Augenblicke oben, da illustriert Regisseur
Floris Visser schon seinen Denkansatz: Was folgt, ist zeitlos, universal
verständlich. Klar, das Geschehen spielt im Griechenland der antiken
Mythologie, kurz nach König Ödipus. Aber die Soldaten tragen Gewehre, ihre
Uniformen muten an wie aus den 1940ern. Und die himmelhohen Steinmauern,
die das Ganze so kerkerhaft umschließen, könnten genauso gut im Cuzco der
Inka stehen. Der Krieg, symbolisiert das, ist eine Kontinuum der
Menschheitsgeschichte. Vielleicht kennen nur die Toten sein Ende.
Das Theater Osnabrück beweist Mut, indem es Tommaso Traettas selten
gespielte Oper auf den Spielplan setzt. Der Spätbarock ist für ein
Stadttheater nicht gerade die populärste Epoche. Traetta, 1727 in
Süditalien geboren, hat in Neapel, am aufklärungsfreudigen Hof von Parma
und später in der Republik Venedig Karriere gemacht. Seine über 40 Opern
haben Mozart und Gluck beeinflusst. Heute ist er ein Name, den nur noch
Kenner auf dem Schirm haben. Und wer „Antigona“ verstehen will, in ihrer
ganzen Moderne, braucht musikgeschichtliches Spezialistenwissen.
1772 in St. Petersburg uraufgeführt, am Hof von Katharina der Großen,
spiegelt sie den Reformgeist des Komponisten, den die Zarin vier Jahre
zuvor als Hofkapellmeister engagiert hatte: Sie ist keine Nummernoper, in
der nur die verzierungsselige Arien-Akrobatik zählt. Das Werk betont die
Handlung, die Figurenzeichnung. Weitere Hemmschwelle: Traettas Plot greift
auf Sophokles’„Antigone“ zurück (442/441 v. Chr.), und wer vorher noch
nichts von den Labdakiden gehört hat, dem fluchbelasteten
Herrschergeschlecht von Theben, braucht Nachhilfe.
Doch das Wagnis gelingt. Nicht zuletzt Dank der „Übertitel“ auf den
Monitoren rechts und links der Bühne, die das Italienische übersetzen. Wer
auch nur sporadisch zu ihnen hochschaut, weiß sofort, wie abgrundtief
düster die Geschichte ist, die sich hier entspinnt: Alle paar Sekunden sind
Worte wie Blut, Schrecken, Rache, Hass, Unheil und Tod zu lesen, Worte wie
Strafe, Schuld, Schande, Raserei, Terror und Grauen.
So temporeich Visser beginnt, so extrem dehnt er die Zeit, als Antigonas
Kampf und Leid beginnen: Verkörpert wird diese Heldin des Widerstands von
Koloratursopranistin Erika Simons, die zum Schluss zurecht mit Bravorufen
bedacht wird. Hart wehrt König Creonte, vom gesanglich wie schauspielerisch
sehr überzeugenden dänischen Tenor Christian Damsgaard gespielt, ihre Bitte
ab, Polinice bestatten zu dürfen: Polinice sei ein Verräter, habe Theben
mit Krieg überzogen, wer ihn bestatte sei des Todes. Antigona bricht diesen
Befehl. Sie verbrennt den Leichnam.
Und was folgt, ist allseitige Qual. Denn Creonte beharrt selbstherrlich auf
Bestrafung – Antigona wird lebendig eingemauert. Emone, ihr Bräutigam,
Creontes Sohn, der vergeblich beim Vater interveniert, dringt zu ihr vor –
beide erstechen sich. Der geläuterte Creonte, Sekunden zu spät zu Antigonas
Freilassung herbeigeeilt, bricht zusammen.
Visser setzt dabei auf äußerste Reduktion. Dieuweke van Reijs Bühnenbild
verändert sich kaum. Alex Broks Lichtstimmungen sind so sparsam wie sie nur
sein können. Wenn Solisten, Chor und Statisterie sich nicht bewegen müssen,
bewegen sie sich nicht. Jede Geste, jeder Blick ist klar gesetzt, bewusst,
konzentriert. Das Publikum soll Zeit haben, alles genau wahrzunehmen:
Ismene, Antigonas stimmkräftige Schwester (Lina Liu), stützt sich im Gram
gegen eine Wand. Creonte schleudert seine Krone von sich, wankt, taumelt,
sackt zu Boden. Die Zeit, die verstreicht, während sich das mächtige Tor
lautlos und zentimeterweise öffnet und schließt, summiert sich zu Minuten.
Großartig.
Es sind die Stimmen, die das Ganze tragen, und die Stimmungen. Regisseur
Visser setzt auf Psychologisierung, innere Zerrissenheiten, nicht auf
Effekte. Aber wenn er Effekte setzt, sind sie grandios:
Polinice als mahnender Untoter, in bläulich-fahlem Licht, nach seiner
Verbrennung, die Menschenmenge durchschreitend als sei sie gar nicht da.
Das handgranatenhafte Zerbersten der Urne mit seiner Asche. Der wie aus dem
Nichts erscheinende Haufen von Uniformen und Waffen, als der Krieg um
Theben zu Ende ist. Die Felsen, auf denen jeder Schritt zum Abgleiten
führt, zum Straucheln. Die Sandsackbarrikade, die aussieht, wie von den
Schützengräben der Somme. Das Hinaustragen des toten Eteocle, das an die
Zeremonien auf dem Flugfeld von Camp Bastion, Afghanistan denken lässt,
wenn ein Sarg zu einer Hercules C130 getragen wird.
Es gibt auch Schwachstellen. Katarina Morfa als Emone zum Beispiel: Ja, das
ist im Original ein Mann. Dass Morfa deshalb besonders maskulin mit
ausgestopfter Hose auftreten muss und selbst auch ausgesprochen männlich
agiert, schadet zumal in der Liebesszene der Glaubwürdigkeit. Auch mancher
Soldat des Creonte schmälert die Wirkung: Irgendjemand hätte sich doch wohl
finden lassen, der ihnen erklärt, wie man ein Gewehr hält.
Aber sonst? An diesem Abend geht es spürbar um etwas, das uns alle
betrifft: Traetta hatte seine Oper durchaus mit Wirkungsanspruch
komponiert. Es mag sein, dass sein Werk so modern scheint, weil er mit ihm
versuchte, die Herrscherin Katharina zu erreichen und ihr die moralische
Dimension ihres Tuns vor Augen zu führen: So eröffnet die Oper ein
Spannungsfeld zwischen individuellem Aufbegehren und staatlicher
Normierung, zwischen menschlichem und dem göttlichem Recht, Hybris und
Schuld, Generationen und Geschlechtern. Es geht um Friedenssehnsucht. Und
es geht um Gewalt.
Nächste Termine: 26. & 30.1., jeweils 19.30 Uhr, Theater am Domshof,
Osnabrück.
Die Amsterdamer dürfen diese Koproduktion des Theaters Osnabrück mit der
niederländischen Opera Trionfo Mitte Februar erleben.
23 Jan 2018
## AUTOREN
Harff-Peter Schönherr
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