# taz.de -- An denGefühlen kitzeln | |
> Hakan Savaş Mican inszeniert Ödön von Horváths„Glaube Liebe Hoffnung“… | |
> Maxim Gorki Theater als scheiternde Liebesgeschichte und greift aktuelle | |
> Themen auf | |
Bild: Orit Nahmias und Mehmet Ateşçi in „Glaube, Liebe, Hoffnung“ oto: Ut… | |
Von Simone Kaempf | |
Liegt es am Geld, dass die mittellose Verkäuferin Elisabeth keinen | |
Gewerbeschein hat, oder am fehlenden Gewerbeschein, dass sie kein Geld | |
verdient? Weil man sie ohne Arbeitserlaubnis erwischt, wird eine Geldstrafe | |
fällig. Eine Notlüge hilft nur kurzfristig, die Abwärtsspirale dreht sich | |
nach unten. Ein Unglück nach dem anderen widerfährt ihr inmitten | |
allgemeiner Wirtschaftskrisen-Atmosphäre, bis ihr in Ödön von Horváths | |
Sozialdrama „Glaube Liebe Hoffnung“, von ihm als „Totentanz in fünf | |
Bildern“ bezeichnet, die Aussicht auf ein kleines Glück endgültig | |
abhandenkommt. | |
In der Inszenierung am Maxim Gorki Theater steht diese Elisabeth verträumt | |
immer ein wenig am Rande. Zurechtgemacht mit Hochsteckfrisur, | |
Handtäschchen, Hackenschuhen. Eine tapfere Optimistin und eine | |
Außenseiterin, so wird sie von der Schauspielerin Sesede Terziyan sehr | |
gewinnend gespielt inmitten einer kühlen Dreißiger-Jahre-Welt. Hier | |
schlagen die Türen dumpf und gnadenlos zu. Und es gibt viele Türen in dem | |
Häuserfluchten-Bühnenbild mit schrägen Fassaden und spitzen Schatten, kein | |
Ort für ein Happy End. Die Fensterlöcher flackern grell auf, wenn die | |
Schupos an die Türen schlagen. Jeder Stiefelschritt knallt bedrohlich. | |
Microport-verstärkte Stimmen vermischen sich zu einer bedrohlichen | |
Soundcollage. | |
Regisseur Hakan Savaş Mican setzt voll auf das expressionistische | |
Krisen-Ambiente aus der Entstehungszeit des Stücks. Und er stellt seiner | |
integeren Frauenfigur hart überzeichnete Charaktere entgegen. Einen | |
froschäugigen Präparator (Mehmet Ateşçi) im Arztkittel, der Elisabeth wegen | |
einer Kleinigkeit ins Gefängnis bringt, einen verschlagenen Oberinspektor | |
(Lea Draeger), oder die exzentrisch-besserwisserische Grossistin (Orit | |
Nahmias) mit Federboa und Glitzerkleid. Wer nicht gewissenhaft ist wie | |
Elisabeth, gerät zur Karikatur des Bösen. | |
Dieses Spiel am Rande des hohläugigen Künstlichen lockert und flankiert der | |
Musiker Daniel Kahn am Klavier mit Moritaten-Klängen, aber auch mit | |
lässigen Pop- und Folk-Sounds, die er an Klavier, Gitarre oder Akkordeon | |
spielt. Die Musik unterstreicht die zeitlos tragische Liebes- und | |
Leidensgeschichte. Entspannte Glücksmomente erlaubt die Regie dem | |
Polizisten Alfons (Taner Şahintürk), der Elisabeth heiraten will. In | |
Umarmung flüstern sie Liebesschwüre. Aus Sträußen weißer Herbst-Astern | |
schweben Blütenblätter ins Haar wie sanfte Schneeflocken, und wo die Worte | |
versagen, übernimmt wieder Musiker Daniel Kahn am Klavier. | |
Şahintürk als desillusioniert-verliebtem Polizisten gehört die zarteste | |
Szene, wenn er am Ende erkennt, dass ihm einst eine Braut wegstarb, er | |
diese hier nun belog, „keine Liebe fand ich, die mir wirklich etwas gab“. | |
Da ist der Schauspieler jenseits der Rolle ganz bei sich, erreicht eine | |
Tiefe und doch auch Leichtigkeit, die über die Horváth-Vorlage | |
hinausreicht. | |
Mican zeigt hier sein geschicktes Händchen fürs Melodram, entwickelt einen | |
Charme, mit dem er in seinen Inszenierungen immer wieder Liebesgeschichten | |
mit Identitätssuche verwebt und mithilfe der Musik sensibel an den Gefühlen | |
kitzelt. Auch die Schauspielerin Sesede Terziyan stimmt in einer Szene ein | |
türkisches Lied an, singt wie um ihr Leben, ein herausragender Moment der | |
Einsamkeit, bis wieder der Oberinspektor dazwischenfährt oder jemand dumpf | |
an die Tür klopft. | |
Der Abend ist eine Achterbahnfahrt zwischen Gefühlsbeichten und | |
expressionistischer Erstarrung. Letztere liegt so nah an der Karikatur, | |
dass diese Szenen immer wieder durchhängen. Oberinspektor, Grossistin oder | |
der Polizist geraten zu Überzeichnungen ihrer selbst. Besorgt-bürgerlich | |
schleudern sie auch mal Hetzparolen heraus, die von der AfD stammen | |
könnten, aber doch von Horváth sind. Fremdenfeindlichkeit wird als | |
Schnipsel eingeworfen, bleibt aber nur ein Versuch, aktuelle Themen | |
aufzugreifen. | |
Sozialdrama, Liebesgeschichte, Wirtschaftskrisen-Stück, von allem fließt | |
etwas ein, zusammen passt es am Ende nicht. Im dominanten | |
expressionistischen Bühnenbild sehen vor allem die Nebenfiguren klein aus, | |
das Schicksalhafte des Dramas steht darin noch mehr zurück. | |
Wieder am 9. und 13. Februar, Maxim Gorki Theater, Mitte, www.gorki.de | |
19 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Simone Kaempf | |
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