# taz.de -- Verräter, überall Verräter | |
> Das Buch der JournalistinInga Rogg bietet eine differenzierte und | |
> kritische Analyse eines gespaltenen Landes | |
Von Beate Seel | |
Eine Nation, eine Flagge, ein Vaterland, ein Staat“, lautet das Credo der | |
türkischen Regierungspartei AKP. Doch der Blick, den Inga Rogg in ihrem | |
Buch „Türkei, die unfertige Nation – Erdoğans Traum vom Osmanischen Reich… | |
auf das Land wirft, ist der Blick auf eine gespaltene Nation. | |
Die Autorin ist Türkei- und Nahost-Korrespondentin der Neuen Zürcher | |
Zeitung und der NZZ am Sonntag und schreibt gelegentlich auch für die taz. | |
Sie lebt seit 2011 in Istanbul – nicht eben selbstverständlich im Reich von | |
Präsident Recep Tayyip Erdogan, in dem zahlreiche Journalisten hinter | |
Gittern verschwunden sind. | |
Roggs Buch ist keine Geschichte der Gezi-Proteste, der deutsch-türkischen | |
Beziehungen oder der Repression unter Erdoğan – obwohl all diese Aspekte in | |
dem Buch vorkommen. Vielmehr hat es, sachlich und unaufgeregt geschrieben, | |
die Geschichte des Landes vom Osmanischen Reich bis heute zum Gegenstand. | |
Wer also seine Kenntnisse über die Türkei vertiefen möchte, ist hier gut | |
aufgehoben, wenngleich das Buch leider kein Register hat. | |
Obwohl die Autorin eine Kritikerin Erdoğans ist, wirft sie einen offenen | |
Blick auf das Land. Auf ihren Reisen trifft sie Leute, die ihre Arbeit | |
verloren und Angst haben, auf überzeugte Anhänger des Präsidenten am Rande | |
einer AKP-Veranstaltung oder auf Menschen in den kurdischen Gebieten im | |
Osten, die über die Blockade der Stadt Cizre durch die türkische Armee | |
berichten. | |
Dabei versteht sie es, die jeweiligen Positionen ihrer Gesprächspartner | |
nachvollziehbar darzustellen, ohne deswegen ihre eigene Haltung zu | |
verleugnen. Erdoğan, so schreibt sie beispielsweise in dem Kapitel über die | |
Kurden, „kann den Krieg gegen die Kurden fortsetzen, Abgeordnete und | |
Bürgermeister verhaften lassen, beugen werden sich die Kurden nicht“. | |
Das Einheits-Credo der AKP passt nicht zu dem alten türkisch-kurdischen | |
Konflikt, der sich ungeachtet von Phasen der Entspannung bis heute | |
hinzieht. Selbst in staatsnahen Medien wird nicht etwa die Einheit des | |
Landes betont, sondern, ganz im Gegenteil, werden überall Feinde gewittert. | |
In den Medien, so Rogg, wird den Lesern beinahe täglich eine Geschichte | |
über Verrat und Verschwörung serviert: „Der Kampf um echte oder | |
vermeintliche ‚Verräter‘ im Äußeren und Inneren zieht sich wie ein roter | |
Faden durch die spätosmanische und türkische Geschichte.“ | |
Da wird dann auch mit der Geschichte gerne Schindluder betrieben. So | |
untermauert Erdoğan mit Helden- und Verschwörungsmythen die Verwandlung der | |
Türkei in einen modernen Staat, während seine Gegner darauf mit eigenen | |
Geschichtsmythen reagieren. | |
Eines der vielen Felder, auf denen diese Schlacht ausgetragen wird, ist die | |
Bildungspolitik – seit dem vergangenen Jahrhundert ein reines Hü und Hott | |
zwischen eher laizistischen oder eher islamistischen Strömungen. Derzeit | |
werden die Uhren gerade wieder zurückgedreht, Kreativität und | |
Forscherdrang, die die Türkei dringend bräuchte, werden nicht gefördert. | |
„Die Folgen dieser Bildungspolitik wird man in ihrer vollen Tragweite erst | |
in zehn oder zwanzig Jahren erkennen. Doch dann ist es zu spät“, schreibt | |
Rogg nüchtern. | |
Zwischen den Zeilen spürt man, dass sich die Autorin eine gute Zukunft für | |
die Türkei wünscht. So empfiehlt sie am Schluss ihres Buches: „Vielleicht | |
ist es für alle Seiten an der Zeit, innezuhalten, statt sich in neuen und | |
alten Nationalmythen einzuigeln, und sich ehrlich den Fragen und Konflikten | |
zu stellen, die ihr Land auseinandertreibt.“ | |
Inga Rogg: „Türkei, die unfertige Nation. Erdoğans Traum vom Osmanischen | |
Reich“. Orell Füssli Verlag, Zürch 2017, 240 S., 20 Euro | |
6 Jan 2018 | |
## AUTOREN | |
Beate Seel | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |