# taz.de -- Wer nicht wagt,der nicht gewinnt | |
> Zwischen SO36 und Sudan: Einst hat Michael Schäumer legendäre Konzerte in | |
> Kreuzberg organisiert und in der Experimentalband P1/E gespielt. Heute | |
> organisiert er das Festival „Open Sudan“,vier Autostunden nördlich von | |
> Kartoum | |
Bild: Entspannt bei 36 Grad: Michael Schäumer im SudanFoto: | |
Von Monika Dietl | |
Sieben Uhr morgens am Nil. Das Festivalgelände belebt sich. Der DJ des | |
Frühstücksradios sitzt auf einem Plastikstuhl im Sand, Mischpult und | |
Computer auf einem klapprigen Tisch. Bevor die dezemberlichen 36 Grad | |
erreicht werden, wird das Gerüst für die Hauptbühne hochgezogen, auf der | |
Weltstars wie Sinkane und Imarhan stehen werden. Das Line-Up umfasst 200 | |
internationale Künstler, dazu Theater und Workshops. | |
In Alt-Karmakol, vier Autostunden nördlich von Khartoum, wird Geschichte | |
gemacht. „Open Sudan“ ist der Name des Festivals und das Motto der | |
sudanesischen Kulturszene. Es herrscht Aufbruchstimmung. Gefördert wird | |
dieser Aufbruch von der Unesco, von Kulturorganisationen wie der Swiss | |
Initiative, dem Goethe-Institut und internationalen NGOs. Ein Pionierevent | |
in einem Land, in dem die Scharia Gesetz ist und das sich erst langsam zu | |
öffnen beginnt. | |
„Alle sind halt vorsichtig. Wenn du Pech hast, kann dir auch mal die Hand | |
abgehackt werden, so was gibt’s hier immer noch. Aber die Regierung kann | |
nicht so richtig was dagegen haben. Zu Beginn der 3. Festivalwoche kommen | |
Botschafter der USA und der Schweiz zu Round-Table-Gesprächen mit den | |
Gouverneuren der nördlichen Staaten“, sagt der Mann vom Morning Radio, | |
Michael Schäumer aus Berlin. Als einer der Organisatoren von „Open Sudan“ | |
ist er für die internationalen Acts verantwortlich und arbeitet mit dem | |
Mastermind von Karmakol zusammen: Ahmed Abdel Mohsen. | |
## Public Viewing in Baku | |
Die beiden kennen sich aus Ägypten, wo Mohsen ein Kulturprojekt in Assuan | |
leitet. Gleichzeitig ist er aber auch Mitglied der Swiss Initiative, die | |
sich im Sudan engagiert. Ein kleines Beispiel dafür, wie international die | |
Veranstalterszene heute ist. Das Creamfields-Festival hat sich Schäumer | |
auch nicht in London, sondern in Abu Dhabi angeschaut, als er für das | |
Umweltministerium der Vereinten Arabischen Emirate 2015 Messestände baute. | |
Im Jahr davor war er bei der WM in Baku im Public-Viewing-Bereich | |
tätig.Neuland zu betreten, etwas zu wagen, das liegt Schäumer im Blut. Vor | |
allem musikalisch ist sein Platz an der Frontline. Einer der Headliner in | |
Karmakol ist denn auch der Sudanese Sufyvn, ein Elektronik-Produzent mit | |
glasklaren, laserscharfen Beats. Der Berliner Junk-E-Cat begeistert sogar | |
die Dorfbewohner mit seiner sparsamen Electronica, kombiniert mit | |
Live-Saxofon; und aus Mannheim holt Schäumer Joss Turnbull, der | |
traditionelle sudanesische Percussion-Instrumente durch ein Effekte-Rack | |
jagt und mit sich selbst spielt. | |
Das kommt natürlich nicht von ungefähr. Die erste Veranstaltung der Agentur | |
Schäumer&Voigt war ein Konzert der Band P1/E: elektronische Musik der | |
ersten Stunde, ihre Single: „39 seconds romance“. Das war 1980, damals war | |
auch Alexander Hacke (später bei den Neubauten) Bandmitglied. Bevorzugter | |
Veranstaltungsort von Schäumer&Voigt war das Kreuzberger SO 36. Bettina | |
Köster, Sängerin der Band Malaria!, schreibt im SO-Jubiläumsbuch: „Das | |
beste Konzert für mich waren die Dead Kennedys. Michael Schäumer und | |
Michael Voigt haben das Merhaba SO36 angemietet und verschiedene Konzerte | |
organisiert.“ In Schäumers Erinnerung klingt das so: „1.000 Zuschauer waren | |
drinnen und 1.000 draußen, wir haben die Tür zugemacht, wir wussten nicht, | |
was wir machen sollten.“ | |
Ein weiterer Höhepunkt dort war der erste Auftritt von New Order in | |
Deutschland 1981, aus Sicht des Veranstalters noch toller waren nur Dexys | |
Midnight Runners. Ein Label hatte man auch: People’s Records. Für dieses | |
gingen auf Kosten von Schäumer&Voigt auch Nick Cave und Lydia Lunch | |
zusammen ins Studio … Die Aufnahmen wären sicher auch heute ein Hit, wenn | |
nur jemand wüsste, wo das Tonband abgeblieben ist. | |
Das waren Zeiten, als auf Konzertplakaten noch stehen konnte: „Kleinere 5 | |
DM, Größere 7 DM“, in filigranem Siebdruck. „Heute ist so was nur noch | |
möglich, wenn man einen eigenen Laden hat. Kleine Veranstalter gibt es kaum | |
noch. Trinity machen 50 Shows jeden Monat, ich frage mich immer, warum | |
macht ihr das denn überhaupt?“ Schäumer selbst hat sowohl mit seiner | |
eigenen Agentur als auch später mit Jörg Lengauer nur Sachen veranstaltet, | |
die sie selber mochten, sagt er. „Wir haben angefangen, weil wir Fans | |
waren“, sagt er. Reich wird man damit nicht, auch nicht mit einem | |
Punk-Musical. Das „Ramones-Musical“ war eine Produktion der Columbiahalle, | |
Schäumer der Executive Producer. 2005 gab es 14 Shows in Berlin, 12 auf | |
Tour, dann kam das Aus wegen rechtlicher Probleme. | |
Entspannt, durch nichts aus der Ruhe zu bringen, das ist das richtige | |
Veranstalterprofil für ein Land wie den Sudan – wo es keine Kreditkarten | |
gibt und vor allem auch kein Equipment. Es schadet auch nichts, wenn man | |
schon ein paar Tage dabei ist und weiß, dass man Konzerte auch ohne Handy | |
und Internet planen und durchführen kann. | |
„Die Bühnenanlage kommt von einer sudanesischen Firma, die alles gerade neu | |
gekauft hat, in Dubai. Die ganze Backline, Schlagzeug, Verstärker, lasse | |
ich aus Berlin einfliegen“, meint Schäumer unbeeindruckt. Gut, aber wie | |
bitte geht ein Festival ohne Alkohol? „Es ist hier wie in der Reha“, meint | |
er. „No sex, no drugs, no rock ’n’ roll.“ Legal gibt es Sherbet, einen | |
Dattelsaft, der ein bisschen vergoren ist, aber „das macht nichts, die | |
Leute kommen hier auch so in Festivalstimmung, hier herrscht immer gute | |
Laune“. Schäumers Fazit nach drei Festivalwochen: „Das sudanesische | |
Publikum hat alle Künstler begeistert aufgenommen, die Atmosphäre war nett | |
und freundlich. Im nächsten Jahr gibt es bestimmt eine Wiederaufnahme.“ | |
27 Dec 2017 | |
## AUTOREN | |
Monika Dietl | |
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