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# taz.de -- Jetzt übernimmt Pumuckl
> Am Mittwoch soll in Sachsen Michael Kretschmer neuer Regierungschef
> werden. Der CDU-Mann präsentiert sich als Patriot und will mehr
> Bürgerdialog im Land. Hilft das seiner Partei gegen die von rechts
> drängende AfD?
Bild: Ab sofort etwas burschikoser: Noch-Ministerpräsident Stanislaw Tillich �…
Aus Dresden Micha Bartsch
„Mit diesem Ergebnis habe ich nicht gerechnet!“ Verlegen wie ein großer
Junge steht Michael Kretschmer vor den Delegierten des sächsischen
CDU-Landesparteitages am vergangenen Sonnabend. 190 von 211 Stimmen hat er
in der Löbauer Messehalle bei der Wahl zum Landesvorsitzenden bekommen, 90
Prozent. „Jede Zustimmung über 70 Prozent wäre ein Erfolg“, hatte
Kretschmer zuvor ehrlich tiefgestapelt. In den eineinhalb Minuten
stehenden, rhythmischen Applauses wirkt er überwältigt vom Votum, und ein
bisschen auch von sich selbst.
Das ist also der Neue, den Ministerpräsident Stanislaw Tillich bei der
Ankündigung seines Rücktritts am 18. Oktober wie einen weißen Hasen aus der
Tasche zauberte und der ihm am Mittwoch im Amt nachfolgen soll. Michael
Kretschmer, 42 Jahre jung, Wirtschaftsingenieur mit Diplom, zuletzt
Bundestagsabgeordneter und Generalsekretär der Sachsen-CDU. Ein Mann, der
bisher eher burschikos auftrat. Und der sich nun selbst fragt, inwieweit
sich dies „mit der Würde und der Achtung“ des angestrebten Amtes
vereinbaren lässt. Und Journalisten fragen sich, ob nun auch sein
gelegentlicher Siebentagebart geopfert werden muss.
„Da wirst du dich ändern, aber nicht verbiegen müssen“, wendete sich beim
Parteitag Thomas de Maizière, der geschäftsführende Bundesinnenminister, an
Kretschmer. Und freute sich ebenso ehrlich über das „spontane, jungenhafte
Lachen“ des neuen Spitzenmanns, der auch einmal einen Fehler eingestehen
könne. De Maizière war einst selber Minister und Staatskanzleichef in
Sachsen. Schon 2002 hätten sie ihn am liebsten als Nachfolger von „König“
Kurt Biedenkopf gesehen – falls er gewollt hätte. Aber er wollte auch
diesmal nicht.
Blieb nur einer, den viele in der CDU gar nicht gleich auf der Rechnung
hatten, die Sachsen draußen im Lande erst recht nicht: Kretschmers
Bekanntheitsgrad ist gering. Über seine Parteiarbeit in Sachsen hinaus trat
er öffentlich bislang kaum in Erscheinung. Der Generalsekretär gilt
allerdings als gut informiert und vernetzt, schlagfertig, ein schlaues
Bürschchen und ein Mann für Hintergrundgespräche. So auch im Bundestag, wo
er immerhin zu einem der Vizefraktionsvorsitzenden der Union avancierte.
Sein Spezialgebiet war die Wissenschafts- und Hochschulpolitik.
15 Jahre lang saß das einst junge Talent im Bundestag. Schon mit 14 Jahren,
also noch 1989 in der DDR, war Kretschmer in die Christlich-Demokratische
Jugend eingetreten. Bei der Bundestagswahl 2013 holte er im Wahlkreis
Görlitz noch die Hälfte der Erststimmen. In diesem Herbst zog Malermeister
Tino Chrupalla von der AfD an ihm vorbei. Der Mandatsverlust saß sichtlich
tief. Über diese persönliche Niederlage hinaus aber wog schwerer, dass
Kretschmer als Generalsekretär auch für das 26,9-Prozent-Desaster seiner
als unschlagbar geltenden Union in Sachsen mitverantwortlich war, mit dem
die CDU knapp hinter die AfD zurückfiel.
Einer Frage nach dieser Mitverantwortung wich Kretschmer nach seiner
Nominierung durch die CDU-Landtagsfraktion im Oktober noch aus. Zu diesem
Zeitpunkt überwog auch bei seinen Parteifreunden noch die Skepsis, ob
dieser doppelte Verlierer die Union bis zur Landtagswahl im September 2019
aus dem Tal herausführen kann. Dass er in der Partei den Spitznamen
„Pumuckl“ trägt, zeugt indes nicht von Spott, sondern von verhaltener
Sympathie für sein Auftreten. Aber Landesvater-Qualitäten, gar
staatsmännisches Format, traute ihm vor allem draußen im Lande kaum jemand
zu. Und die Sachsen sind nun mal latent royalistisch und
autoritätsanfällig, und niemand bediente diesen Hang besser als „König
Kurt“ in den goldenen 1990er-Jahren.
Doch seit Tillichs überraschendem Rückzug holt der Kandidat auf. Der Schock
der Bundestagswahl kam für die Sachsen-Union zur falschen Zeit. Wenn
Insiderberichte stimmen, sollte der bislang mehr im Hintergrund agierende
Generalsekretär bis 2019 zum Tillich-Nachfolger aufgebaut werden. Der jetzt
abtretende Ministerpräsident, obschon mit 58 Jahren zwei Jahre jünger als
Biedenkopf bei seinem Amtsantritt 1990, zeigte Verschleißerscheinungen. Er
soll sehr bereitwillig Verantwortung für die Wahlniederlage übernommen
haben, dankbar, das Amt nun „in jüngere Hände zu legen“. In die von Micha…
Kretschmer also, eine andere personelle Alternative war und ist nicht in
Sicht. Also zwar Plan B, aber mit demselben Mann, der sich nun sehr beeilen
muss.
Das hat der jugendlich wirkende Kandidat – der unionsungewöhnlich
unverheiratet mit Lebensgefährtin und zwei Kindern zusammenlebt – in den
knapp zwei Monaten seit seiner Nominierung auch eifrig getan. Kretschmer
jagte durch die Kreisverbände – und versuchte sich als künftiger
Landesvater zum Anfassen. Der Ruf besonderer Volksnähe eilte ihm nicht
gerade voraus. Nun berichtet die Lokalpresse von Kretschmers Besuchen in
Kuhställen und Landfleischereien nördlich von Dresden. Der Leser erfährt,
dass er selbst aus einem Dorf bei Görlitz stamme und das Landleben liebe.
Zum Beispiel in dem erworbenen Umgebindehaus im Zittauer Gebirge, dessen
Ausbau wegen der Belastungen aber derzeit stocke.
Diese Wiederentdeckung der abgehängten ländlichen Räume und des
Stadt-Land-Gefälles treibt die CDU wegen der AfD-Erfolge besonders in
diesen Regionen derzeit mächtig um. Kretschmer sagt sich los von der
Leuchtturmpolitik der Ära Biedenkopf, will eine gleichmäßige Förderung. Das
Thema gehört zu seiner Bewerbungsrede auf dem Löbauer Parteitag, an dem ihn
viele zum ersten Mal als „Frontschwein“ erleben. „Lange keine so
erfrischende und kämpferische Rede mehr gehört“, nicken auch behäbigere
Unionsfreunde. „Das war konservativ, aber keine Hetzrede“, hört man vom
Koalitionspartner SPD, der mit mehreren Spähern auf dem Parteitag vertreten
war.
Kretschmer präsentiert sich dieser Tage als der Patriot, der etwa mit der
CSU Ende September 2016 einen „Aufruf zu einer Leit- und Rahmenkultur“
vorstellte. Für die Relikte niederschlesischer Tümelei im Raum Görlitz hat
er allerdings nur ein Lächeln übrig. In Löbau attackiert er dafür indirekt
Kanzlerin Merkel, die nicht zu den Fehlern ihrer Flüchtlingspolitik 2015
stehe. Mit der „Befriedung“ von Bevölkerungsängsten könne man Populisten
den Boden entziehen, mit denen Kretschmer keinesfalls koalieren will. Also
konsequente Abschiebungen und kein Familiennachzug bei vorläufigem
subsidiärem Schutz. Andererseits plädiert Kretschmer leidenschaftlich für
Europa. Der Wirtschaft verspricht er Bürokratieabbau und flexible
Arbeitszeiten, verneint zwar ein „romantisches Verhältnis zur Braunkohle“,
wettert aber auch gegen ein „aus der Bahn geratenes Subventionssystem“.
Die SPD registrierte aufmerksam, dass der designierte Ministerpräsident
ihre fünf Hauptthemen aufgriff, die sie am Montag im Koalitionsausschuss
zur Bedingung für eine Mitwahl Kretschmers machte. Die schulische Bildung
vor allem, die Gewinnung von Lehrernachwuchs, die Breitbandversorgung im
Flachland, die Ausstattung der Kommunen und soziale Leistungen bei
Kinderbetreuung und Pflege.
Für die Union in Sachsen ist Michael Kretschmer plötzlich so alternativlos,
wie es Biedenkopf einst war. Vorgänger Stanislaw Tillich warnte zwar vor
einer „One-Man-Show“, aber man ist angesichts des dünnen Potenzials an
Führungspersonen froh, sich hinter dem neuen starken Mann versammeln zu
können. Ganze vier Redner zählte die sogenannte Aussprache, im Tenor ein
Lob für den „treuen Kameraden Michael“.
Dabei wendet „der Neue“ durchaus sein Gesicht zum Volke, und auch ein
Parteitagsantrag will eine Wiederbelebung der Bürgerdialoge. Darauf wird es
entscheidend ankommen, will die CDU 2019 zumindest wieder stärkste Kraft in
Sachsen werden. Michael Kretschmer will nicht darüber spekulieren, ob er
bei einer erneuten Wahlniederlage nur eine Episode im Spitzenamt bleiben
würde. Er warnt vor allem davor, dass dann „die Populisten durch die Decke
gehen“ könnten oder eine ähnlich komplizierte Mehrparteienkoalition wie in
Berlin anstünde.
12 Dec 2017
## AUTOREN
Michael Bartsch
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