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# taz.de -- „Gemeinsam sind wir stärker“
> Im Jahr 2017 sind in Europa mehr als 200 Menschen an den Folgen von
> Naturkatastrophen gestorben. Auch deshalb wirbt EU-Kommissar Christos
> Stylianides bei seinem Besuch in Hamburg, Niedersachsen und Bremen für
> seine Reform des Katastrophenschutz-Mechanismus
Bild: 11 .6. 2013: Das Elbhochwasser erreicht die ersten Häuser der Altsta…
Interview Benno Schirrmeister
taz: Herr Stylianides, mit Ihnen muss man übers Wetter reden: So viel
Herbststurm wie dieses Jahr gab es lange nicht mehr in Norddeutschland, und
diese Häufung von Extremwetterereignissen gilt vielen als Ausdruck des
Klimawandels …
Christos Stylianides: Das ist die Realität. Leider. Der Klimawandel findet
heute schon statt. Wir müssen zunehmend mit extremen Wetterereignissen in
Europa rechnen. Dies sind eben keine „Fake News“. Die Trockenheit führt zu
vermehrter Waldbrandgefahr, Starkregen verursacht Überschwemmungen und so
weiter.
Dass eine Woche lang die Bahn in halb Deutschland ausfällt, die größten
Städte nicht mehr per Zug erreicht werden können, die Häfen ebenso – und
dass nach dem zweiten Orkan eine Ölpest im Wattenmeer droht, ist
außergewöhnlich: Sind wir wirklich so verletzlich?
Entscheidend ist, dass wir die verschiedenen Risiken sorgfältig analysieren
und dann konsequent vorbereiten. Deutschland steht im Vergleich zu anderen
Mitgliedstaaten noch recht gut da. Aber auch in Deutschland nehmen Risiken
zu. Daher könnte eine Stärkung des europäischen Solidarverbands auch im
deutschen Interesse sein.
Sind wir auf diese Entwicklung genug vorbereitet?
Wir müssen noch besser werden. In der Prävention, der Katastrophenvorsorge
aber auch in der EU-weiten Zusammenarbeit im Katastrophenfall. Daher hat
die EU Kommission vor Kurzem die Initiative „Resc-EU“ verabschiedet; einen
Mechanismus zur Stärkung der EU-weiten Solidarität, aber auch, um bessere
Anreize in der Vorsorge zu setzen.
Und Sie kommen via Hamburg nach Niedersachsen und Bremen, um darüber zu
informieren?
Tatsächlich ist der Besuch bereits seit längerer Zeit geplant. Die
Bremische Bürgerschaft hat mich eingeladen und ich bin der Einladung sehr
gerne gefolgt. Für mich ist es nun auch eine Gelegenheit, die Landesebene
des Katastrophenschutzes in Deutschland noch besser kennenzulernen und
Resc-EU zu erklären. Die politische Bedeutung einer europäischen Antwort im
Bereich des Katastrophenschutzes ist zentral: Als im Oktober in Portugal
die Wälder brannten und die europäische Hilfe auf sich warten ließ, haben
die Menschen gefragt: Warum lässt die EU uns im Stich? In der Tat. Wir
hätten besser sein müssen, obwohl wir alles, was der gegenwärtige
Rechtsrahmen erlaubt, auch getan haben. Daher nun der Vorschlag. Ein
Signal, dass die EU dann konkrete Hilfe leistet, wenn sie am meisten
gebraucht wird.
Darauf gab es in Deutschland medial bisher aber kaum Resonanz – betrifft
uns das nicht?
Doch. Interessanterweise hat gerade dieser Tage der Präsident des
Bundesamtes für Bevölkerungsschutz zu Recht darauf hingewiesen, dass in
Deutschland die Reserven zur Unterbringung, Versorgung und Betreuung von
hilfebedürftigen Menschen in Katastrophenlagen begrenzt sind. Dies gilt für
Europa generell. Der Vorschlag zur Schaffung von Resc-EU setzt genau hier
an: Stärkung und Vernetzung der Mitgliedstaaten, Schaffung kollektiver
Einsatzkräfte, die dann zusätzliche Hilfe leisten können, wenn ein
einzelner Mitgliedsstaat überfordert ist. Auch zusätzliche finanzielle
Mittel. Es ist eigentlich ein banaler Gedanke: Gemeinsam sind wir stärker.
Versucht Brüssel, den Ländern die Zuständigkeit für den Katastrophenschutz
wegzuschnappen?
Selbstverständlich nicht! Jeder Mitgliedstaat der EU entscheidet selbst,
wie der Katastrophenschutz innerstaatlich organisiert wird. Die EU hat aber
die Aufgabe, den Mitgliedstaaten in Katastrophenfällen zu helfen und die
Zusammenarbeit zu verbessern. Solidarität ist das Stichwort. Im Kern wird
übrigens auch Resc-EU hieran nichts ändern, da die Hilfeleistung nur auf
Anforderung des betroffenen Staates erfolgen darf. Es geht darum zu
unterstützen. Ersetzen können und wollen wir nicht.
Bayerns Innenminister spricht davon, EU-Truppen würden den bayerischen
Katastrophenschutz unterwandern!
So? Dann war das wohl gewiss etwas zugespitzt formuliert. Aber ich kann
beruhigen: Wenn Bayern sich nicht von seinen EU-Partnern helfen lassen
will, muss es das nicht. Wichtig ist mir zunächst, dass wir den Vorschlag
nun gemeinsam diskutieren und ich bin mir ganz sicher, dass wir uns über
das Ziel, nämlich den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor
Naturkatastrophen zu stärken, vollkommen einig sind. Bislang hat sich
Deutschland ja durchaus im Rahmen des bestehenden Mechanismus engagiert.
Insbesondere durch Beiträge des Technischen Hilfswerks.
Dann wären die Befürchtungen, die EU wolle die Souveränität ihrer
Mitgliedsstaaten untergraben, unbegründet?
Mit dem EU-Vertrag haben die Mitgliedstaaten der EU die Rolle anvertraut,
im Bereich des Katastrophenschutzes ergänzend zu helfen und zu
koordinieren. Genau dies tun wir. Natürlich verbleibt die
Hauptverantwortung für die Sicherheit und den Schutz der Bevölkerung immer
bei den einzelnen Mitgliedstaaten. Das ist ganz klar und es muss so sein.
Klar ist aber auch, dass wenn eine schwere Naturkatastrophe eintritt – die
Waldbrände im Mittelmeerraum, die Erdbeben in Italien – dann wird schon
gefragt: Wo ist Europa? Und Deutschland hat ja in der Vergangenheit schon
oft geholfen. Ich denke an das Technische Hilfswerk, das Rote Kreuz,
Johanniter, Malteser, der Arbeiter-Samariter-Bund – die Helfer, die dann
ausrücken, um Leben zu retten, eben auch außerhalb Deutschlands.
Mit Einrichtungen wie dem Lagezentrum oder dem Havariekommando ist ja auch
für die länderübergreifende Koordination gesorgt: Kommt Deutschland,
ketzerisch gefragt, nicht allein am besten klar?
Nochmals, meine feste Überzeugung als Europäer ist: Gemeinsam sind wir
stärker. Natürlich wird Deutschland in aller Regel allein fertig werden.
Aber warum sollen sich Mitgliedstaaten nicht gegenseitig helfen? Teures
Rettungsgerät kann gemeinsam beschafft werden. Das spart Kosten. Das ist
nicht ehrenrührig, im Gegenteil. Dazu ist der Solidarverbund da. Im Übrigen
erinnere ich daran, dass Deutschland während der schlimmen Elbehochwasser
2013 durchaus Hilfe aus anderen Mitgliedstaaten empfangen hat. Das war
völlig normal. Wir dürfen daher gleichzeitig auch nie vergessen:
Großschadenslagen können auch in Deutschland auftreten, bei denen dann die
Hilfe anderer Mitgliedstaaten bereitsteht. Ich kann mir daher vorstellen,
dass es auch aus deutscher Sicht sehr nützlich sein wird, den
EU-Katastrophenschutzmechanismus zu stärken.
Wo hakt es denn bei der Zusammenarbeit?
Wir haben bereits einen freiwilligen Pool von Einsatzkräften auf EU-Ebene.
Das Problem dabei ist, und das zeigte sich diesen Sommer drastisch, dass
die Mitgliedstaaten diese Kräfte nicht in andere Mitgliedstaaten schicken
können, wenn sie gleichzeitig zu Hause gebraucht werden. Dies war der Fall
bei den Löschflugzeugen. Hier stößt das freiwillige System an seine
Grenzen. Daher setzen wir an zwei Stellen an: Finanzielle Stärkung der
freiwilligen Einsatzkräfte und eine eng umgrenzte Anzahl von
Resc-EU-Kräften, die zusätzlich, quasi als Zusatzversicherung, die
Mitgliedstaaten unterstützen, wenn sonst keine Hilfe kommt.
Das gemeinsame Lagezentrum von Bund und Ländern koordiniert doch die
Einsätze bundesweit sehr gut?
Und ich bin sicher, dass es dies auch in Zukunft tun wird. Das ist nicht so
sehr der Punkt. Ich würde mir aber wünschen, dass sich der Bund und die
Länder noch stärker als bisher für diesen europäischen Solidarverband
engagieren. Hierum werden sich auch meine Gespräche in Norddeutschland
drehen. Mich interessiert dabei: Wie werden sich Bund und Länder
europapolitisch konstruktiv in die Diskussion einbringen?
Konkret: Was fehlt?
Zu Recht sprachen Sie eingangs vom Klimawandel. Er betrifft uns alle.
Derzeit ist es unmöglich, mit Sicherheit zu sagen, wen es mehr trifft,
welche Regionen glimpflicher davonkommen. Klar ist: Etwa im Mittelmeerraum
wird die Trockenheit zunehmend ein sehr ernstes Problem. Sie ist es schon
jetzt. Wir alle haben diesen Sommer die katastrophalen Waldbrände im Süden
der EU gesehen. Mehrmals wurde der Katastrophenschutzmechanismus aktiviert,
das heißt, Mitgliedstaaten baten um zusätzliche Hilfe, nicht immer kam
diese Hilfe dann auch. Manche sagen: Wir brauchen insgesamt mehr
Löschflugzeuge. Ich will aber auch sagen: Wir brauchen auch bessere
Prävention.
Allerdings: Bremen ist dafür vielleicht der falsche Ort. Unsere Feuerwehr
ist sicher gut, hat aber wenig Waldbrand-Kompetenz.
Das verstehe ich gut. Aber hier im Norden mag man sich die europapolitische
Frage stellen: Wie können wir den Katastrophenschutz in der EU verbessern?
Was können wir konstruktiv beitragen? Wo sind wir richtig gut? Wo haben
vielleicht auch wir Nachholbedarf? Die Kommission hat nun eigene Vorschläge
gemacht, die nun im Europäischen Parlament und im Rat beraten werden. Ich
bin gespannt und freue mich auf die wichtige Diskussion darüber.
16 Dec 2017
## AUTOREN
Benno Schirrmeister
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