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# taz.de -- Wer hat Angst vorm blanken Hans?
> Ein Viertel der Landfläche Schleswig-Holsteins ist von Überflutung
> bedroht. Noch schützen die Deiche. Doch was wird, wenn der Meeresspiegel
> steigt und das Watt ertrinkt?
Bild: 13. 9. 2017: Die Sturmflut, die mit „Sebastian“, dem ersten Herbs…
Von Esther Geißlinger
Durchaus möglich, dass das Watt ertrinkt. Wann genau es so weit sein wird,
ist unklar, vermutlich werden noch Jahrzehnte vergehen. Aber in
Schleswig-Holstein wird bereits über dieses Szenario nachgedacht, das in
der „Strategie Wattenmeer 2100“ beschrieben ist. Die Studie mit der langen
Laufzeit untersucht und berechnet, was geschieht, wenn der Klimawandel den
Meeresspiegel der Nordsee anstiegen lässt. Sehr wahrscheinlich wird die
Sedimentschicht nicht im gleichen Tempo mitwachsen. Wo heute im Hin und Her
aus Ebbe und Flut viele Quadratkilometer Fläche alle paar Stunden trocken
fallen, werden sich Binnenlagunen bilden, im Watt entstehen Salzwasserseen.
Die Folgen betreffen nicht nur das empfindliche Gleichgewicht der Pflanzen
und Tiere im Wattboden, der so belebt ist wie ein tropischer Dschungel. Das
Wattenmeer ist eine „Energieumwandlungszone“, in der sich Wogen totlaufen
können. Die Inseln und Halligen wirken als Wellenbrecher und schützen das
Festland.
„Eine der Lehren, die wir aus diesen Erkenntnissen ziehen: Sand ist
kostbar“, sagt Hendrik Brunkhorst, Sprecher des Landesbetriebes für
Küstenschutz in Schleswig-Holstein. Früher war es üblich, Sand für Deiche
direkt aus dem Meer zu baggern. Heute wird er aus der tiefen See gegraben,
um das Watt nicht zu schädigen. Und es gibt Überlegungen, frischen Sand ins
Watt zu bringen – nur das Wie ist unklar. „Auf jeden Fall nicht tonnenweise
per Bagger“, sagt Brunkhorst. „Das muss schon eine ökologisch weiche
Maßnahme werden. Aber wir arbeiten daran.“
In Schleswig-Holstein, dem Land zwischen den Meeren, ist fast alles dicht
am Wasser gebaut. Kiel, Lübeck und Flensburg sind Hafenstädte, das
Binnenland ist von Flüssen durchzogen, die Köge an der Westküste liegen
schon heute größtenteils niedriger als der Meeresspiegel. Alles in allem
ist gut ein Viertel der Landesfläche von Überflutung bedroht. Über 350.000
Menschen leben in den Niederungen, die dort stehenden Sachwerte an
Gebäuden, Straßen, Leitungen addieren sich auf rund 50 Milliarden Euro,
heißt es im „Generalplan Küstenschutz“ des Umweltministeriums. Die
Bedrohung durch das brandende Meer war im Lauf der Jahrhunderte stets so
nah, dass die Schleswig-HolsteinerInnen sich sogar einen Spitznamen für die
tosende Nordsee ausdachten: Blanker Hans.
In der jüngeren Vergangenheit erschien der Hans eher als Hänschen: „Die
Deiche sind heute so sicher wie nie“, sagt Brunkhorst. Bei den jüngsten
Sturmfluten, etwa 2013, sei es „nirgendwo dramatisch“ geworden, es gab kaum
Schäden an den Bauwerken. Das Land steckt allerdings auch eine Menge Geld
und Kapazitäten in die Erhaltung der Seedeiche. So beschäftigt das
Landesamt für Küstenschutz über 700 Menschen, die den „ordnungsgemäßen
Zustand der Küstenschutzanlagen“ überwachen und für Deichbau und -Erhaltung
zuständig sind. Daneben arbeiten die Deich- und Hauptsielverbände, an deren
Spitze die Deichgrafen – die auch heute noch so heißen – stehen.
Im Frühjahr und im Herbst finden überall an der Nordseeküste Deichschauen
statt: Ein ganzer Tross von Leuten stapft in Gummistiefeln und Regenmänteln
die Deiche herauf und herunter, begutachtet die Durchlässe, Sperrwerke und
Pumpen, wiegt die Köpfe beim Anblick zertretener Grasnarben. Das wirkt
etwas putzig, ist aber effektiv, weil auf diese Weise kein Meter Deich
unbesehen bleibt. Seit einigen Jahren werden die Schutzwälle breiter
gebaut, damit bei steigendem Meeresspiegel nur eine „Kappe“ aufgesetzt
werden muss. Die neue, flache Form nennt sich „Klimaprofil“. Zum ersten Mal
wurde 2015 ein Deich auf Nordstrand mit dieser Baureserve ausgestattet. 32
Millionen Euro kostete es, das Teilstück zu erhöhen und zu verstärken.
Irgendwo im Land wird immer an einem Deich gebaut, nach den Erkenntnissen
der Deichschauen und den Plänen des Landesbetriebs Küstenschutz. „Es gibt
nicht eine perfekte Höhe für alle Deiche“, sagt Brunkhorst. Wie hoch ein
Deich sein muss, hängt von den jeweiligen Gegebenheiten ab.
Droht eine Sturmflut, laufen Meldegänger die Deiche ab – immer paarweise
ein Mitglied der freiwilligen Feuerwehr und ein Ehrenamtlicher des
örtlichen Deichverbands. 150 Paare, 300 Personen, stehen laut Brunkhorst
für diesen Dienst bereit. Allerdings berichteten Lokalzeitungen alle Weile,
dass die Listen der ehrenamtlichen Deichläufer unvollständig oder veraltet
sind. Teils stünden Personen darauf, die längst weggezogen oder gar
verstorben seien. Behördensprecher Brunkhorst kennt die Gerüchte, hält sie
aber für falsch: „Nach unseren Erkenntnissen gibt es genug Freiwillige.“
Dagegen spricht, dass in einer Studie der FU Berlin zum Katastrophenschutz
in Schleswig-Holstein im Jahr 2030 mehrere Katastrophenschutzdienste wie
Technisches Hilfswerk, Rotes Kreuz oder Malteser über fehlende Freiwillige
klagen. Ein Problem: Wer aktiv ist, engagiert sich oft in mehreren Diensten
gleichzeitig. So wird eine Person mehrfach als Hilfskraft ans Land
gemeldet, kann aber im Ernstfall trotzdem nur für eine Tätigkeit eingesetzt
werden.
Solange die Sturmflut gegen die Deiche tobt, können Menschen ohnehin wenig
tun: „Bei Sturm und Regen kann niemand auf dem Deich arbeiten“, sagt
Brunkhorst. Eine einzelne Sturmflut schade in der Regel auch nicht. Erst
wenn über mehrere Flutperioden Wasser über den Deich läuft, bestehe die
Gefahr, dass der Wall von der Rückseite unterspült und damit brüchig wird.
Bis zu zwei Liter Wasser dürfe pro Meter und Sekunde über die Krone
schwappen, ohne dass die Stabilität in Gefahr ist, so die Berechnungen.
Tricks, die bei Binnendeichen helfen – Sandsäcke aufstapeln oder ein
kontrollierter Durchbruch, um den Druck an anderer Stelle zu lindern –,
bringen bei Seedeichen nichts: „Auch wenn ein ganzer Koog volllaufen würde,
würde das den Meeresspiegel bestenfalls um Zentimeter senken“, sagt
Brunkhorst. Aktuell sei aber nirgendwo ein Bruch zu befürchten.
Auch den Rettungs- und Katastrophenschutzdiensten bereiten Deiche nicht die
größten Sorgen. Bei der jüngsten großen Katastrophenschutzübung im
September trainierten 1.500 Einsatzkräfte für einen Tornado über dem
Wacken-Open-Air-Festival.
16 Dec 2017
## AUTOREN
Esther Geißlinger
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