# taz.de -- Auf heißen Kohlen | |
> Familie S. kämpft seit Jahren um eine neue Wohnung | |
Bild: Familie Ströhm an der Kaffeetafel im Wohnzimmer | |
Von Gabriele Goettle | |
„… Reichen und Armen ein gemeiner Mann zu sein, in allen gleichen, | |
gemeinsamen und redlichen Dingen, ohne allen Vorbehalt. So wahr mir Gott | |
helfe ...“, lautet die Eidesformel aus dem 14. Jahrhundert, die der Ulmer | |
Oberbürgermeister jedes Jahr öffentlich bei der Schwörfeier auf die | |
Stadtverfassung ablegt. | |
Familie Ströhm – Vater, Mutter und zwei Söhne – lebt südlich der Ulmer C… | |
im Stadtteil Wiblingen, der durch die Betonburgen der Satellitenstadt und | |
die dort abseits der Innenstadt untergebrachten Russlanddeutschen, | |
Migranten- und Hartz-IV-Familien als Problembezirk gilt. Jeder Dritte hat | |
hier AfD gewählt, die Quote der Arbeitslosen und Langzeitarbeitslosen ist | |
überproportional hoch. Ströhms wohnen abseits der Satellitenstadt in | |
schöner Lage, direkt am Lustgarten und dem ehemaligen Benediktinerkloster. | |
Ihre Dreizimmerwohnung befindet sich in einem desolaten Haus der Stadt, dem | |
ehemaligen Rathaus von Wiblingen. Im Untergeschoss gibt es noch eine | |
städtische Einrichtung. | |
Das Treppenhaus ist düster und riecht ein wenig nach Moder. Herr Gordian | |
Ströhm öffnet mir, begrüßt mich freundlich und führt mich, gefolgt von | |
seiner Schäferhündin, ins Wohnzimmer. Als Erstes stellt er den Ton des | |
Fernsehgerätes leise. Frau Ströhm kommt mit einer Kanne Kaffee aus der | |
Küche, reicht mir die Hand und fordert mich auf, Platz zu nehmen, wo es mir | |
gefällt. Der Couchtisch ist mit Tassen und Tellern gedeckt, in der Mitte | |
steht ein selbst gebackener Schokoladenkuchen. Die Hündin legt sich unter | |
den Tisch, lässt sich streicheln und schläft ein, während ihre Herrschaft | |
auf der Couch Platz nimmt, mir Kaffee einschenkt und Kuchen reicht. Eine so | |
gastliche Begrüßung erlebe ich nicht oft. | |
Ich bitte Herrn Ströhm, mir kurz von sich zu erzählen und dann vom | |
Wohnungsproblem zu berichten. Er trinkt einen Schluck Kaffee und beginnt: | |
„Ich bin am 8. 7. 1970 in Neu-Ulm geboren. Meine Mutter war ganz früher | |
eine Näherin, Schneiderin, dann hat sie als Fleischverkäuferin gearbeitet, | |
der Vater ist schon tot, er war Metzger in Neu-Ulm, angestellt, auch im | |
Schlachthof. Ich bin in Ulm 9 Jahre zur Schule und danach in eine Lehre | |
gegangen als Bäcker, die habe ich dann aber abbrechen müssen, hatte fast | |
einen Blinddarm-Durchbruch. Dann habe ich Straßenbau gelernt, aber sechs | |
Wochen vor der Gesellenprüfung abgebrochen, weil ich ein gutes Angebot von | |
einer Sicherheitsfirma bekommen hatte, da wurde dann aber leider nichts | |
draus. | |
Habe dann verschiedene Jobs gemacht, war bei der Bundesbahn, dann war ich | |
Kommissionierer, bin zwischenzeitlich im Sicherheitsdienst gewesen und habe | |
meine Bundeswehrzeit gemacht, bin mit 21 zum Bund. Da waren wir schon | |
verheiratet und hatten unsere erste Tochter bekommen – heute haben wir vier | |
Kinder und vier Enkelkinder. Geheiratet Oktober 1990, geschieden im | |
Dezember 2012.“ Beide lachen und schauen sich liebevoll an. | |
„Jetzt funktioniert es besser, wie wenn wir verheiratet wären. So 98/99 in | |
dem Dreh wurde ich dann arbeitslos und habe meine Feuerwehrausbildung | |
angefangen, hatte schon vorher drei Monate Grundausbildung gemacht, mit | |
Schutzlehrgang, Wachbereitschaft, und 96 bin ich dann in den aktiven Dienst | |
übernommen worden. Da war ich von 96 bis 2003, hier in Wiblingen, dann | |
haben die gesundheitlichen Probleme angefangen. Zwischenzeitlich war ich | |
mal wieder im Sicherheitsdienst. Habe auch bei der Industrie- und | |
Handelskammer meinen 34a-Schein gemacht“ (Sachkundeprüfung § 34a GewO, f. | |
d. Sicherheitsgewerbe, Anm. G.G.). „Also das waren oft 12 Stunden Dienst, | |
die man da manchmal hatte, und sehr gut bezahlt wird das auch nicht gerade. | |
Da habe ich über ein Jahr gearbeitet, seitdem wieder arbeitslos und | |
krankgeschrieben vom Arzt. Ohne Führerschein hat man keine Chance in diesem | |
Bereich. Aber den kann ich ja gar nicht zahlen, schon gar nicht das Auto. | |
So sieht es aus … | |
## Mängel gemeldet | |
Und jetzt das Wohnungsproblem. Also das Haus hier hat Schimmel, ist alt, es | |
ist nur aus Backstein, nicht isoliert, nur verputzt. Es ist feucht, man | |
sieht es auch an den Flecken auf der Fassade. Wie wir eingezogen sind vor 6 | |
½ Jahren, waren hier sehr alte und undichte Fenster. Wir hatten das | |
bemängelt. | |
Seit 5½ Jahren suchen wir eine neue Wohnung! Die hier haben wir bekommen | |
von der Stadt, noch vom alten Bürgermeister, weil unsere unten im | |
Sägefeldweg war unbewohnbar, da hatte das Haus auch ein Schimmelproblem, | |
wie hier. Zuständig für dieses Haus hier ist die UWS, die Ulmer | |
Wohnungs-und Siedlungs GmbH, das ist irgendwie so eine städtische | |
Wohnungsbaugesellschaft, die haben hier überall Häuser, Neubauten, alles.“ | |
(Die UWS ist eine Tochtergesellschaft der Stadt. Anm. G.G.) | |
Frau Ströhm sagt: „Aber für uns haben sie nichts, angeblich. Wir sind immer | |
nur vertröstet worden. Ich habe damals mit dem gesprochen, der heute | |
Oberbürgermeister von Ulm ist, das war vor den Wahlen für den OB. Da war | |
ein Stand in der Nähe vom Münster, Vorstellung des neuen Kandidaten. Da bin | |
ich hin zu ihm, hab erzählt, Schimmel, UWS tut nichts, wir brauchen | |
dringend eine neue Wohnung. Er hat gesagt: Na ja, ich kann Ihnen nichts | |
versprechen, aber wenn ich gewählt werde, will ich mal sehen, was ich für | |
Sie tun kann. Der wollte nur, dass ich schnell vom Stand verschwinde.“ | |
Herr Ströhm fügt hinzu: „Aber einmal, vor zwei, drei Jahren, haben sie uns | |
eine Wohnung angeboten in Wilfingen, die war genau so klein wie die hier, | |
nur viel teurer und achtzehnhundert Kaution. Das hätte uns das Amt gar | |
nicht bezahlt. Als wir hier eingezogen sind, haben wir ja auch die Kaution | |
als Darlehen nehmen müssen. Es gab keine Tapeten an der Wand. Wir mussten | |
selber tapezieren, haben Raufasertapeten gekauft. Wir brauchten auch neue | |
Möbel, denn durch die Schimmelsporen konnten wir gar nichts mitnehmen | |
hierher.“ | |
Frau Ströhm ergänzt: „Das Darlehen zahlen wir jetzt noch ab jeden Monat. | |
Ich glaub nicht, dass wir die wieder rauskriegen beim Auszug, die Kaution. | |
Dabei brauchen wir ja schon wieder neue Möbel, denn wir wollen nicht die | |
ganzen Sporen mitnehmen!“ Herr Ströhm ergreift wieder das Wort: „Anfangs | |
waren wir ja froh über die Wohnung hier, aber nach einem halben Jahr fingen | |
die Probleme an, es war die Firmung unserer ältesten Tochter, die haben wir | |
mit Besuch draußen gefeiert, hinten im Garten und die Kinder haben halt so | |
gespielt, sind auf ein Mäuerchen geklettert. Ein paar Tage später kam schon | |
eine Ermahnung von der UWS. Da wussten wir, hier unten aus dem Haus hat | |
einer angerufen dort und sich beschwert. Er hat alle Rechte von der UWS, | |
meint, er wäre hier der Chef, darf das große Gartenstückchen alleine | |
nutzen, dabei hat es zuerst geheißen beim Einzug, dass es auch für die | |
Allgemeinheit ist. | |
Das war der Anfang von jahrelangen Hausstreitigkeiten. Man hat behauptet, | |
wir würden keine Miete zahlen, der Hund wäre aggressiv, unsere Jungs wären | |
frech. Erst in der letzten Zeit hat sich das langsam gelegt. Man geht sich | |
aus dem Weg. Man grüßt sich nicht.“ Frau Ströhm sagt: „Ich schon! Auch s… | |
Sohn hat sich geändert.“ Herr Ströhm bestätigt das und sagt: „Auch mein | |
jüngerer Sohn hat jetzt eigentlich ein gutes Verhältnis mit dem da unten. | |
Kommt klar mit ihm. Und das andere Problem, das mit dem Schimmel, das hat | |
auch nach einem halben Jahr angefangen. Wir hatten ja schon Erfahrung und | |
haben es gleich gemerkt, in der Ecke im Schlafzimmer. Aha! Wir haben | |
Schimmel! Genauso im Zimmer meiner beiden Jungs, in Küche und Bad. Ein Jahr | |
haben wir herumgetan mit der UWS, dass wir neue Fenster bekommen. Gegen den | |
Schimmel haben wir es versucht mit Überstreichen, Antischimmelmittel, aber | |
er kam immer wieder durch.“ (Die große Anzahl der Präparate gegen | |
Schimmelbefall in den Baumärkten spricht Bände über den Umfang des | |
Problems. Anm. G.G.). | |
„Dann kamen neue Fenster, aber danach wurde es auch nicht besser, das geht | |
seit Jahren! Keiner nimmt unsere Beschwerden ernst. Es heißt immer: Der | |
Mieter ist selber schuld am Schimmel …“ Frau Ströhm sagt empört: „ Man … | |
gesagt, wir würden falsch heizen, nicht ordentlich lüften im Winter. Obwohl | |
es nicht stimmt! Wir haben immer die Fenster aufgemacht und durchgelüftet. | |
Sie sagen, ich hätte die Kältebrücke oder Wärmebrücke, oder was weiß ich, | |
irgendwie unterbrochen.“ | |
## Allergie gegen Schimmel | |
Herr Ströhm fährt fort: „Aber die ganzen Mauern sind feucht. Das hat ja | |
auch der Dr. Roth bestätigt, der da war, weil wir ihn um Hilfe gebeten | |
haben. Auch wegen unserem Sohn, der als Allergiker mit dem Schimmel | |
gesundheitliche Probleme hat.“ (Dr. Roth ist der Augenarzt der Familie, | |
Initiator der Armenklinik und außergewöhnlich engagierter CDU- Stadtrat für | |
Soziales). „Er hat Fotos gemacht von dem Schimmel und Proben abgenommen von | |
der Wand, auch Proben von unserer Haut und Speichelproben, zur Untersuchung | |
im Labor. Er hat auch Fotos gemacht vom Haus außen, und da sind ja deutlich | |
große Wasser- und Schimmelflecken zu sehen. Und Dr. Roth hat gesagt: ‚Ein | |
Haus, bei dem auf der Außenseite bereits Feuchtigkeit zu sehen ist, kann | |
von innen, auch wenn Sie noch so viel heizen, nicht trocken und | |
schimmelfrei gehalten werden.‘ Diese Aussage hat uns gutgetan, denn wir | |
möchten uns nicht die Schuld zuschieben lassen! | |
Wir haben ja alles versucht. Haben gelüftet, die Möbel abgerückt von der | |
Wand. Dann haben wir die Tapete abgezogen, wir sind mit der Schimmelfarbe | |
drüber, aber es nutzt nichts. In den Schränken ist auch Schimmel, Kleidung | |
ist kaputtgegangen, Jacken waren verschimmelt.“ Frau Ströhm sagt: „Ich hab | |
mir Haken in die Wand gemacht, wollte meine anderen Jacken da aufhängen, | |
damit sie im Schrank nicht schimmeln, wie ich die mal anziehen wollte, da | |
waren sie an der Wandseite voller Schimmel und feucht wie ein Schwamm. Ich | |
hab alles wegschmeißen müssen.“ | |
## Überall Risse | |
Herr Ströhm sagt: „Das Haus hat ja überall Risse. Von außen sieht man schon | |
die großen Wasserflecke, wo die Feuchtigkeit reinzieht ins Haus. Und die | |
UWS sagt einfach: Es gibt keine Risse. Sie wollen keine Verantwortung | |
übernehmen und streiten alles ab. Unser ältester Sohn ist Allergiker, wir | |
haben ein Gutachten vom Lungenarzt, dass er empfindlich reagiert auf den | |
Schimmel. Aber das hat keinen interessiert. Vor zwei oder drei Jahren haben | |
wir dann den Schimmelbefall durch den Anwalt bemängeln lassen. Es wurde der | |
UWS ein Vierteljahr Zeit gegeben, den Schimmel und seine Ursachen zu | |
beseitigen. Keine Reaktion! | |
Der Anwalt hat dann gesagt: Gut, die reagieren nicht, wir werden jetzt eine | |
Mietminderung machen und das hat er getan. Seit 2 ½ Jahren haben wir jetzt | |
eine 30%ige Mietminderung drin, 100 Euro zahlen wir weniger im Monat. Die | |
Miete wird ja direkt vom Jobcenter an die UWS bezahlt, wie die das genau | |
gemacht haben mit dem Abziehen, das wissen wir gar nicht. Irgendwann ist | |
dann plötzlich eine Kündigung gekommen. Da war dann die erste Verhandlung | |
beim Gericht und es wurde entschieden, ein Sachverständiger musste kommen. | |
Wir haben schon Hoffnung gehabt. Der kam auch, den hat aber der Schimmel | |
überhaupt nicht interessiert. Der wollte gar nichts sehen und hören davon, | |
obwohl wir ihn immer wieder darauf angesprochen haben. Der wollte nur eins | |
wissen: Ist es die Bauweise oder ist es der Mieter, was am Schimmel schuld | |
ist. | |
Dann war eine zweite Verhandlung, da hat er gemeint, der Grund für den | |
Schimmel ist, wir würden zu wenig heizen, weniger als die anderen Mieter. | |
Und wir würden falsch heizen. Wenn man die Wände aufheizt, dann müsste man | |
das Fenster komplett aufmachen und die Heizung komplett nach oben drehen, | |
also praktisch für außen heizen. Solche Heizkosten werden vom Amt gar nicht | |
übernommen, es werden nur normale Heizkosten übernommen und wir haben | |
normal geheizt.“ (Das Jobcenter übernimmt nur die „angemessenen“ | |
Heizkosten, als angemessen gilt ein Betrag von 1 Euro bis 1,80 Euro pro | |
qm). | |
„Es wurde kein Urteil gesprochen, nur wieder vertagt. Der Sachverständige | |
hat gesagt, er kann hier die Messdinger erst aufstellen, wenn es null Grad | |
hat. Dann kamen Schreiben, wir hätten Mietschulden, 2.400 Euro und noch | |
was. Das kann ja nur das Einbehaltene sein? Und dieses Jahr im Mai kam dann | |
die fristlose Kündigung. Wir sollten die Wohnung bis zum 1. Juni verlassen. | |
Ja, wie sollen wir das machen? Wir haben ja keine Bleibe?! Aber weil es | |
kein Urteil gibt, kann die fristlose Kündigung nicht vollstreckt werden … | |
also die Zwangsräumung. | |
Wir haben am 20. November den nächsten Termin beim Gericht wegen dem | |
Schimmel und der Räumungsklage. Da kommt es dann darauf an, ob wir auf der | |
Straße sitzen oder doch noch da bleiben dürfen …“ Frau Ströhm sagt | |
entschieden: „Nein! Ich will nicht hier bleiben. Ich will hier raus. Ich | |
will endlich ohne Schimmel einschlafen und ohne Schimmel aufwachen. Ich | |
hätte gern 4 Zimmer mit Balkon, mehr will ich nicht.“ Herr Ströhm sagt: | |
„Wir sind wirklich am Ende unserer Kräfte, aber das interessiert die nicht | |
von der UWS. Dabei wissen die genau, wie schlecht der Zustand von dem Haus | |
ist. Bei den Nachbarn unten, wenn die Schimmel gehabt haben, da ist eine | |
Firma gekommen zur Bekämpfung, dann war eine Weile Ruhe, dann kam der | |
Schimmel wieder durch. | |
Aber der Sachverständige hat weder unser Schlafzimmer sehen wollen noch den | |
Heizungskeller, noch die anderen Wohnungen im Haus. Nur auf dem Dachboden | |
war er. Der ist ja auch ganz modrig. Bei unserem jüngsten Sohn hat er nur | |
kurz mit einem Messgerät in die Wand gepikst, das war alles. Später hat er | |
dann in seinem Gutachten gesagt, er hätte überall gemessen. Aber wir waren | |
ja dabei und haben gesehen, was er macht. Wir haben ihn beim Rundgang noch | |
so oft drauf hinweisen können, auf den Schimmel überall, das hat ihn nicht | |
interessiert. | |
Wir verstehen das nicht! Wir haben uns dann in unserer Verzweiflung ans | |
Rathaus gewandt, haben dem Oberbürgermeister geschrieben, dem neuen. Da | |
wurden wir aber abgewiesen, es hieß: Sie haben eine Wohnung angeboten | |
gekriegt und haben sie abgelehnt … Also das war die Wohnung, von der ich | |
vorhin erzählt habe, die viel zu teuer war, wo wir hätten die hohe Kaution | |
selber zahlen müssen. Aber die Politiker finden, hohe Mieten von | |
zwölfhundert Euro und mehr sind nicht hoch, weil die so viel Geld verdienen | |
und gar nicht wissen, wie andere leben müssen. Ein Rentner oder Hartz- | |
IV-Empfänger kann sich eine teure Wohnung nicht leisten. Das Amt zahlt sie | |
nicht.“ (Für zwei Personen gelten 60 Quadratmeter als angemessen. Für jede | |
weitere Person sind 15 Quadratmeter zusätzlich einzurechnen. Die Kosten für | |
Unterkunft u. Heizung, KdU, übernimmt das Jobcenter nur, wenn sie | |
„angemessen“ sind. Damit ist immer der untere Wert des Durchschnitts der | |
jeweiligen Wohngegend gemeint. Anm. G.G.) | |
Frau Ströhm schenkt Kaffee nach: „Wir haben hier für 4 Personen nur 73 | |
Quadratmeter statt 90 Quadratmeter. Die monatliche Warmmiete ist 552 Euro, | |
und in dem Preisbereich gibt es halt gar nix mehr. Die Kaltmieten gehen | |
über 800 Euro rauf. Wir brauchen ja eine Wohnung für 4 Personen, denn | |
unsere beiden Söhne dürfen nicht ausziehen, die sollen bis 25 bei uns | |
wohnen.“ (Regelung für Hartz-IV-Empfänger: Für Unverheiratete vor | |
Vollendung des 25. Lebensjahres werden beim Auszug aus der elterlichen | |
Wohnung in der Regel die Kosten für Miete und Heizung vom Amt nicht | |
übernommen. Anm. G.G.) „Aber mein Sohn muss hier raus! Er hat ein | |
ärztliches Attest vom Lungenarzt wegen Allergie, auch gegen den Schimmel. | |
Er nimmt Medikamente. Der Arzt hat damals gesagt, eigentlich muss mein Sohn | |
sofort die Wohnung verlassen. Aber das interessiert keine UWS und niemand.“ | |
Die Tür öffnet sich, einer der Söhne kommt herein, reicht mir unbefangen | |
die Hand und setzt sich neben den Vater, dem er sehr ähnelt. Frau Ströhm | |
stellt vor: „Das ist unser jüngerer Sohn Timo, er wird demnächst 18 Jahre | |
alt. Unser Äältester Sohn Tim ist 22, der wird auch gleich kommen.“ Wenig | |
später kommt er freundlich grüßend herein und nimmt neben seiner Mutter | |
Platz auf dem Sofa. Beide hören zu und schweigen höflich. Nach einer Weile | |
geht der jüngere Sohn hinaus und kommt kurz darauf mit einer | |
unangebrochenen Flasche Mineralwasser und einem Glas zurück. Beides stellt | |
er vor mich hin, „wenn Sie möchten“, und setzt sich wieder. Ich nutze die | |
Gelegenheit und mache die verabredeten Familienfotos. | |
## Ende der Gemütlichkeit | |
Frau Ströhm wirkt zufrieden und fragt: „Sie möchten ja bestimmt noch den | |
Schimmel in unserem Schlafzimmer sehen oder fotografieren?“ Sie führt mich | |
in den Raum daneben, das elterliche Schlafzimmer. Über dem Ehebett ist ein | |
rosafarbenes Moskitonetz gehängt, aber hier ist jede Gemütlichkeit zu Ende. | |
Alle Möbelstücke sind von der Wand weggerückt in die Mitte des Raumes. Die | |
Tapete ist an den Schimmelstellen abgezogen. In der Zimmerecke ist ein | |
großer dunkler Schimmel zu sehen, den ich fotografiere, auch am Fenster und | |
an anderen Stellen zeigt sich deutlich Schimmel. „Die Wand da ist die | |
Wetterseite, da hatte ich auch meine Jacken aufgehängt, die dann | |
verschimmelt waren. Wir haben schon seit einiger Zeit das Problem, wenn wir | |
hier diese schweren Unwetter haben, diesen Starkregen, wie es jetzt öfter | |
so ist, dass wir das Wasser hier drin haben. Wenn der Regen da gegen die | |
Außenwand prasselt, dann kommt Wasser durch unsere Zimmerwand und läuft | |
richtig runter. Das haben wir alles mitgeteilt, aber man glaubt uns einfach | |
nicht. Jetzt haben Sie es mit eigenen Augen gesehen, wie wir hier im | |
Schimmel schlafen müssen.“ | |
Wir gehen wieder hinüber ins Wohnzimmer. Herr Ströhm sagt: „Statt uns zu | |
helfen, setzt man uns hier die Pistole auf die Brust, sie drohen uns mit | |
Zwangsräumung, ohne uns eine Ersatzwohnung zu geben. Aber das ist denen in | |
Ulm egal. Selbst der vom Ordnungsamt, wo meine Frau angerufen hat, der hat | |
gesagt: Wenn Sie keine Wohnung haben, dann müssen Sie halt in ein | |
Frauenhaus, Ihr ehemaliger Mann muss mit den Söhnen in ein Obdachlosenheim | |
und der Hund kommt ins Tierheim.“ Frau Ströhm beugt sich unter den Tisch, | |
streichelt die verschlafene, ahnungslose Hündin und sagt entschieden: „Das | |
kommt überhaupt nicht infrage! Der Hund ist mir wichtig, der bleibt bei | |
uns. Und bevor ich in ein Frauenhaus gehe, da schlafe ich lieber irgendwo | |
in der Pampa.“ Herr Ströhm sagt bitter: „Ich frage mich, wo leben wir | |
denn?!“ | |
Frau Ströhm sagt sehr erregt: „Ja! Wir werden praktisch abgeschoben. Wie | |
Ausländer! Ich halte nichts von Ausländern, aber ich fühle mich wie ein | |
Ausländer in dem Sinn … Weil wir als Hartz-IV-Empfänger wie der letzte | |
Dreck behandelt werden, von der Politik. Ich fühle mich im eigenen Land wie | |
ein Ausländer. Abgelehnt, abgeschoben. Nicht wie eine Deutsche. Zu was bin | |
ich denn dann noch deutsch? Für gar nichts!“ Herr Ströhm resümiert: „Als | |
Hartz-IV-Empfänger bist du Abschaum, ganz einfach! Wirst sofort in die | |
untere Etage geschoben. Bei der Wohnungssuche, wenn ich da sage, dass die | |
Miete direkt vom Amt kommt, dann weiß ich schon die Antwort: Wohnung ist | |
plötzlich weg, tut uns leid.“ Frau Ströhm sagt empört: „Aber die Auslän… | |
die ganzen Flüchtlinge, die kriegen Wohnungen, die eigenen Leute, die | |
können verschimmeln.“ | |
Herr Ströhm erklärt: „Hier in Wiblingen haben sie neue Häuser gebaut, | |
hinten beim Aldi. Ich glaube, auch die UWS. Holzhäuser sind das eigentlich. | |
Die sind ganz gut gebaut, gut isoliert. Da sind jetzt schon Asylbewerber | |
drin. Irgendwie sollten die Häuser mal gemischt belegt werden, also | |
Asylbewerber und Normale, aber da sind nur Asylbewerber drin für die | |
nächsten fünf Jahre, dann sollen die eine andere Wohnung kriegen und in die | |
Häuser sollen Studenten rein.“ Herr Ströhm wirkt ziemlich resigniert: „So | |
ist das bei uns. Im Moment sehe ich keinen Ausweg. Wir fragen uns täglich, | |
wo sollen wir hin? Irgendwo müssen wir ja schlafen können, wenigstens über | |
den Winter. Wir haben meine Mutter schon gefragt, auch meine Schwester, | |
aber da geht nichts. Deshalb haben wir auch unseren Augenarzt Dr. Roth um | |
Hilfe gebeten. Er ist der Einzige, der was für uns tut und unser Problem | |
ernst nimmt. | |
Hoffen wir nur, dass die Laborergebnisse der Schimmelproben bis zum | |
Gerichtstermin da sind, damit unser Anwalt sie vorlegen kann. Damit wir | |
beweisen können, dass der Schimmel gesundheitsschädlich ist, besonders für | |
unseren ältesten Sohn, der zu wenig Abwehrkraft hat. Und dann wird ja | |
geklärt werden, dass die Mietminderung korrekt war und wir nicht schuld | |
sind am Schimmel. So sitzen wir auf heißen Kohlen und warten auf den Tag | |
der Verhandlung.“ | |
Nachtrag: Die Familie Ströhm ist bei der Verhandlung am 20. 11. nicht | |
weitergekommen. Ihre Hoffnungen haben sich zerschlagen. Aus ihrem Bericht | |
geht hervor, dass ihr Schimmel- und Wohnungsproblem kein Interesse oder | |
nicht das erhoffte Interesse fand. Der Sachverständige trug endlos Zahlen | |
vor, Berechnungen der Betriebskosten und der Heizleistung usf. Da es | |
Unstimmigkeiten gab zwischen ihrem Anwalt und dem Sachverständigen | |
bezüglich der Berechnung, wurde um drei Wochen vertagt. Bis dahin sollen | |
nachvollziehbare Zahlen vorliegen. Mehr nicht. | |
27 Nov 2017 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Goettle | |
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