Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kulturkampf und Political Correctness: Der Dogmatismus des Guten
> Football-Profi Newton muss wegen einer sexistischen Bemerkung Abbitte
> leisten. Aber im Entrüstungssturm bleibt ein Grundproblem ungelöst.
Bild: Kleiner Tipp für Cam Newton: erst denken, dann reden
Neulich hätte Cam Newton [1][lieber geschwiegen]. Aber da hatte er sich
schon verplaudert. Als die Lokaljournalistin Jourdan Rodrigue sich beim
Quarterback der Carolina Panthers nach Laufwegen seiner Teamkollegen
erkundigte, da sagte der Ballverteiler wohl etwas unbedacht: „Es ist
witzig, eine Frau über Laufwege reden zu hören.“
War das wirklich witzig? Die amerikanische Öffentlichkeit befand: nein.
Definitiv nicht. Der übliche Sturm der Entrüstung, entfacht von
Kulturkämpfern im Netz, brandete an Newtons Gestade. Danone kündigte einen
Sponsorenvertrag. Der Sportler musste Abbitte leisten, kleinlaut und
demütig, was sonst eher nicht Newtons Art ist.
So ziemlich alle waren sich einig, dass dieser Satz ein Beleg für Newtons
sexistische Haltung gegenüber Frauen war, und wahrscheinlich haben sie
recht. Aber in diesem Satz steckt noch mehr. Die Hauruck-Hermeneutiker
sahen nur, was sie sehen wollten: einen Mann, der sich im Ton vergriffen
hatte und für den im Sport leider üblichen Chauvinismus steht.
Tatsächlich schwingt in Newtons Aussage auch Anerkennung mit: Da ist eine
Frau, die das Spiel durchdringen will, die nicht an der Oberfläche bleibt,
sondern sich für Taktik und Struktur der Spielzüge interessiert. Das sollte
eine Selbstverständlichkeit sein. Ist es aber nicht. Im Sportjournalismus
besetzen diese Rollen der Auskenner meist Männer. Sie sind die
Taktikexperten und Statistiknerds. Sie, die im Sportjournalismus so krass
in der Mehrheit sind, glauben, die Sportweisheit mit Löffeln gefressen zu
haben.
## Oberflächliche und boulevardeske Dinge
Frauen sind in diesem paternalistischen System dann leider allzu oft für
die oberflächlichen und boulevardesken Dinge zuständig. Dafür, wie sich der
Sportler fühlt, ob die Spielerfrau mit zum Match reist oder warum Newtons
Garderobe so flamboyant ist. Sie dürfen auch, wenn sie denn gut aussehen,
den großen TV-Sport präsentieren, aber wird es dann ernst, machen sich fast
nur Männer an die Analyse des Spiels.
Cam Newton ist auf vertrackte Weise verwoben in diese Usancen des
Sportsystems, das in Europa ja nicht anders funktioniert. Wenn sich die
DFB-Elf zu großen Turnieren aufmacht, wird sie schätzungsweise von 98
Männern und zwei Frauen begleitet. Und alle spielen ihre Rolle: Die Männer
ergehen sich in Nerddiskussionen, die Frauen stellen Fragen, die wohl
niemand für einen Beitrag zur Emanzipation halten würden.
Newton ist also in eine Falle getappt, weil das System, in dem er sich
bewegt, voller Anachronismen ist. Das befreit eine erregte Öffentlichkeit
aber nicht davon, auch eine Position des Verstehens, Abwägens und
Differenzierens einzunehmen. So eine Position gibt jedoch nicht den
Brennstoff her, mit dem der mediale Durchlauferhitzer befeuert wird. Das
kühle Argument zählt nicht mehr so viel, der hitzige Vorwurf dafür umso
mehr.
Es sind diese überschießenden Reaktionen der Kulturkämpfer, die das
Miteinander zu einem Ausflug auf Treibsand zu machen. Ein falsches Wort,
eine unbedachte Wendung – und schon hängt man knöcheltief drin. Die Folgen
sehen nicht selten so aus: sozialer Pranger, Entrüstungseskalation auf
Twitter. Es schwingt der Verdacht mit, ein Unhold zu sein.
Die Überhitzung des Diskurses hat zu einem unguten Klima geführt. Es gibt
einen in manchen Organisationen geradezu übermächtigen Anpassungsdruck.
Man erstickt lieber die Kritik oder das Unbotmäßige, rettet sich in die
Sicherheit des Schweigens, als dass man in den Verdacht gerät, den
Zeitgeist mit seinen stark manichäischen Strömungen nicht verstanden zu
haben. Cam Newton hatte da wohl noch etwas Nachholbedarf, sonst hätte er
der Journalistin nicht so flapsig geantwortet.
Damit so ein kommunikativer Fauxpas nicht noch einmal passiert, muss auf
Teufel komm raus geregelt werden. Früher hatte man wohl im besten Falle
Anstand und Respekt, heute braucht man Schulungen und Sprachregelungen, um
die bürgerlichen Tugenden durch Gefolgschaft und Korrektheit zu ersetzen.
Aber selbst der aufgeklärte und korrekte Mensch ist nicht davor gefeit,
Fehler zu machen. Er muss sie zwangsläufig machen, weil sich die Standards
für korrektes Verhalten verändern. Was gestern noch richtig war, kann heute
schon falsch sein.
Was eben noch normale, durch den Duden und Konventionen legitimierte
Sprache war, ist morgen womöglich schon beleidigend und menschenfeindlich.
Auch in einem Reinraum findet sich immer noch ein Staubkorn, eine Fluse,
die es zu beseitigen gilt. Nie wird man wirklich fertig mit der Erziehung
von Sportlern, Belegschaften oder einer Bevölkerung, die einen fatalen Hang
zum Schmäh, zur unkorrekten Sprache haben. Deshalb gilt es, wachsam zu sein
im Reich der Sprachobservatoren.
Gegen eine Zähmung von Rassisten und Sexisten, gerade im Sport, ist
natürlich nichts zu sagen. Gegen Zudringlichkeiten von Kulturkämpfern, die
nur Extreme und die Durchsetzung ihrer Agenda kennen, dagegen schon.
Unangenehm ist ja auch, dass des Kulturkämpfers Zweck die Mittel heiligt.
Weil er, der Gute, sich an einer Front wähnt im Gefecht gegen das Böse,
darf gepöbelt und denunziert werden. Im Mittelpunkt steht nicht das
Argument, sondern leider oft der Angriff auf die Person.
## Beständige Selbstreinigung als Läuterungsritus
Die Kulturkämpfe des Jahres 2017 generieren ihren Impuls mitunter aus einer
Zeit, in der Selbstbezichtigungsrituale und die schnelle Gerichtsbarkeit an
der Tagesordnung waren. Nikolai Bucharin, ein russischer Revolutionär, der
offensichtlich nicht selbstkritisch genug war, hat schon vor knapp
einhundert Jahren erkannt, dass die beständige Selbstreinigung der
Kulturkämpfer ein Läuterungsritus ist, der dem Glaubensgenossen die
Erforschung seines Gewissens befiehlt. Dessen „Erkenntnisse“, also die
begangenen und imaginierten Verfehlungen, hat er brav der Kontrollinstanz
zu beichten – manchmal mit unschönen Folgen. Diese Schuldbekenntnisse sind
der Nektar, von dem sich die Gemeinschaft nährt.
Kurzum: Selbst im linientreuesten Gefolgsmann – also nicht nur in Newton
und Co. – schlummert ein Abweichler, weswegen alle irgendwie des
unkorrekten Verhaltens verdächtig sind. So entsteht ein Klima der Gängelung
und Submission. Diese Zeit ist in den Tiefen der Geschichte versunken,
möchte man meinen. Doch der Dogmatismus der guten Tat lebt weiter fort. Er
kommt heute im Gewand des moralisch überlegenen Kulturkämpfers daher, eines
Kombattanten, der auf seiner Mission nicht zimperlich ist.
Cam Newton, so viel ist sicher, wird sich jetzt dreimal überlegen, was er
einer Reporterin antwortet. Am besten, er sieht in der Fragestellerin nicht
eine Exotin, sondern einfach nur eine Sportexpertin, die etwas Sportliches
von ihm wissen will. Denn so war die Frage ja eigentlich gedacht.
12 Nov 2017
## LINKS
[1] /Kolumne-American-Pie/!5452011
## AUTOREN
Markus Völker
## TAGS
Kulturkampf
Schwerpunkt Rassismus
Political Correctness
American Football
Sexismus
sexistisch
American Football
## ARTIKEL ZUM THEMA
Notverkauf wegen sexueller Belästigungen: Massagen für den Chef
Die Carolina Panthers stehen zum Verkauf. Ex-Besitzer Richardson zieht sich
auf Druck der NFL zurück. Ihm wird sexuelle Belästigung vorgeworfen.
Kolumne American Pie: Auf der Hut
Warum Cam Newton, Quarterback der Carolina Panthers, wegen Sexismus in die
Schlagzeilen geraten ist. Unsere Sport-Kolumne American Pie.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.