# taz.de -- Freilassung von Menschenrechtsaktivisten: Der Bus, der in die Freih… | |
> In der Nacht zu Donnerstag kamen Peter Steudtner und sieben weitere | |
> Menschenrechtsaktivisten frei. Unsere Autorin hat sie empfangen | |
Bild: Peter Steudtner nach seiner Entlassung von der Haftanstalt in Silivri | |
Nach 113 Tagen wurden die acht Menschenrechtsaktivisten endlich | |
freigelassen. Der deutsche Staatsbürger Peter Steudtner kam nach Istanbul, | |
um bei einem Seminar mit Menschenrechtsaktivisten über den Umgang mit | |
Traumata und Stresssituationen aufzuklären. Die Polizei stürmte am 5. Juli | |
das Treffen auf der Insel Büyükada und nahm die Menschenrechtler fest. Als | |
die Seminarteilnehmer mit erhobenen Händen an die Wände gedrückt wurden, | |
wussten sie nicht, was mit ihnen geschieht. | |
13 Tage verbrachte Peter Steudtner auf engstem Raum auf der Polizeistation | |
auf Büyükada, ohne ein Wort Türkisch zu verstehen. Ich sah ihn, als er dem | |
Haftrichter vorgeführt wurde. Er war sehr verunsichert. Die Polizisten | |
warfen ihm vor, ein Agent und Terrorist zu sein, und steckten ihn für drei | |
Tage in Isolationshaft. Als er bei seiner ersten Anhörung von seinen zwei | |
Kindern und seiner Ehefrau in Deutschland erzählte, zitterte seine Stimme: | |
„Ich kann nur alle zwei Wochen für zehn Minuten mit ihnen telefonieren.“ | |
## Sorgen um die Gesundheit | |
Der Angeklagte Ali Gharavi, schwedischer Menschenrechtler mit iranischen | |
Wurzeln, hatte bei jedem Treffen mit seinen Anwälten Tränen in den Augen. | |
In seiner Verteidigungsrede berichtete er von der Isolation, der | |
Manipulation der angeführten Beweise und von zahlreichen | |
Menschenrechtsverletzungen. „Ich sorge mich um meine physische und | |
psychische Gesundheit“, sagte er. Das auszusprechen fiel ihm sichtlich | |
schwer. Gharavi hat Probleme mit seinem Herzen. Zweimal brachte man ihn | |
während der Haft in ein Krankenhaus. Er spricht kein Türkisch, und die | |
Polizisten, die ihn begleiteten, sprachen kein Englisch. „Bei der | |
ärztlichen Behandlung habe ich mich gefühlt wie ein Tier“, sagte er. | |
Der Staatsanwalt forderte die Fortsetzung der Haft von Veli Acu. Acu | |
arbeitet für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen. Als er | |
sechs Jahre alt war, flüchtete seine Familie wegen des Krieges in Siirt | |
nach Ankara. Dieser junge Mensch hat sein ganzes Leben dem Kampf für | |
Menschenrechte gewidmet. Wenn sie ihn nicht freigelassen hätten, hätte er | |
die Geburt seines Kindes verpasst. Die Frau von Acu geht gerade durch eine | |
schwierige Schwangerschaft. Am Verhandlungstag verstrich auf den Tag genau | |
der neunte Tag ihrer Schwangerschaft. Und Veli hat auch gesundheitliche | |
Beschwerden.“ | |
Als Kind verlor ich bei einem Unfall ein Auge. Eines meiner Augen ist eine | |
Prothese.Ich muss alle drei Monate zu einer Kontrolle gehen.“ Als er das | |
sagte weinte seine Mutter. Als Acu sprach, zitterten die Lippen seiner | |
Mutter die ganze Zeit. Sie betete die ganze Zeit für ihren Sohn. Alle im | |
Gerichtssaal stellten sich die eine Frage: Weshalb soll Veli Acu als | |
einziger in Haft bleiben?Die Richter haben sich wohl dieselbe Frage | |
gestellt. Denn sie ließen neben den anderen sieben Menschenrechtsaktivisten | |
auch ihn frei. | |
## Die Freiheit feiern | |
Die Haft der Menschenrechtsaktivisten endete am Morgen des 114. Tages. | |
Peter Steudtner, Ali Gharavi, Veli Acu und Günal Kurşun von der | |
Menschenrechtsorganisation IHGD verließen die Haftanstalt von Silivri gegen | |
vier Uhr. Mit Müllsäcken in der Hand stieg Steudtner aus dem Wagen der | |
Haftanstalt – im Gefängnis sind keine Koffer erlaubt. Er sprach nicht viel. | |
Vor den Kameras sagte er mit Tränen in den Augen: „Ich bedanke mich bei | |
allen, die uns unterstützt und uns nicht drinnen vergessen haben.“ | |
Dann steigen aus dem Wagen die Angeklagten Özlem Dalkıran und Nalan Erkem | |
von der Menschenrechtsorganisation Helsinki-Gruppe sowie İdil Eser, die | |
Direktorin der türkischen Sektion von Amnesty International. Manche der | |
Wartenden lachten, manche weinten bei der Ankunft der | |
Menschenrechtlerinnen. Es macht einen fertig, inmitten dieses Albtraums vor | |
der Haftanstalt von Silivri die Freilassung dieser Menschen zu feiern. | |
Der Bus, der sie in die Freiheit fuhr, passierte auf dem Heimweg noch | |
einmal den Justizpalast von Istanbul. Steudtner und Gharavi blickten | |
ungläubig auf das Gerichtsgebäude, das sie am selben Morgen noch mit | |
Handschellen betreten hatten. Der Albtraum ist vorbei. Aber ist er es | |
wirklich? | |
## Geburtstag im Gefängnis | |
„Alles Gute zum Geburtstag, Murat Sabuncu“, schrie Menschenrechtsaktivistin | |
Dalkıran, als sie aus dem Wagen der Haftanstalt stieg. Murat Sabuncu, | |
Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet, feierte seinen Geburtstag an diesem | |
Tag im Gefängnis von Silivri, in dem er seit 361 Tagen sitzt. Als dann alle | |
nach Hause gingen, hatte der zivilgesellschaftlich engagierte Geschäftsmann | |
Osman Kavala, der seit einer Woche in Polizeigewahrsam ist, wahrscheinlich | |
keinen Schimmer, was da draußen gerade passierte. | |
Nein, dieser Albtraum ist noch nicht vorbei. Er wird nicht enden, bevor die | |
unschuldig inhaftierten Menschen in der Türkei wieder frei sind. | |
26 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Banu Güven | |
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