# taz.de -- Vanda aus dem Jahr 1870 | |
> Ein Kater, ein Schwan und ein Fuchs schauen zu, wenn im Elektroclub Kater | |
> Blau das Spiel um Dominanz und Unterwerfung beginnt. Ein Probenbesuch bei | |
> dem englischsprachigen Stück „Venus in Fur“ | |
Bild: „Venus in Fur“ | |
Von Julika Bickel | |
Drei anthropomorphe Tierpuppen – ein Kater, ein Schwan und ein Fuchs – | |
schauen von der Empore herab in den kleinen Tanzsaal vom Kater Blau. Ein | |
gemalter roter Vorhang umrandet die Bühne, auf der ein Sofa, ein Tisch und | |
zwei Stühle stehen. Im Abstand von wenigen Minuten wummert immer wieder die | |
S-Bahn über den Elektroclub in der Holzmarktstraße. | |
Als der Sturm „Xavier“ langsam Berlin erreichte, der Wind immer stärker | |
über die Holzterrasse am Spreeufer peitschte, begannen Monika Gossmann und | |
Timothy Hopfner dort mit ihrer Probe von David Ives’ Komödie „Venus in | |
Fur“, in der es zufällig auch stürmt. „A clash of thunder and a burst of | |
lightning reveal Thomas in a bare rented studio. End of an afternoon“, | |
heißt es am Anfang des Skripts. | |
Kater Blau ist ein Ort, an dem Illusion und Wirklichkeit zu verschwimmen | |
vermögen. Ein perfekter Ort also für ein Theaterstück, das ein Stück im | |
Stück ist und in dem die verschiedenen Realitätsebenen, Rollen und | |
Machtverhältnisse ständig wechseln und ineinander greifen. | |
## Vom Off an den Broadway | |
Die Uraufführung des Stücks fand 2010 am Off-Broadway in New York statt, | |
und es zog wegen seines großen Erfolgs ein Jahr später an den Broadway. Im | |
Jahr 2013 war es erstmals in Berlin zu sehen, am Renaissance-Theater. Mitte | |
Juli 2017 feierten Gossmann und Hopfner unter dem Label Teamonfire | |
Productions Premiere. Es ist das erste Mal überhaupt, dass David Ives’ | |
„Venus in Fur“ in Berlin auf Englisch präsentiert wird. „Unser Hauptziel | |
ist es, geschriebene Theaterstücke mit jungen, internationalen | |
Künstlerinnen und Künstlern aufzuführen“, sagt Gossmann. Ende Oktober und | |
Mitte November nimmt Teamonfire die Inszenierung mit Unterstützung des | |
Holzmarkt-Projekts noch mal auf. | |
„Venus in Fur“ ist ein enges Kammerspiel, nur zwei Personen auf der Bühne, | |
ein Einakter, 90 Minuten ohne Pause. „Ich mag das Stück, weil es mich als | |
Schauspieler herausfordert“, sagt Hopfner. Es ist schwierig, mittendrin | |
einzusteigen, sie fangen daher meist immer von vorne an und arbeiten sich | |
dann vor, so auch heute. „Es ist ein kluger und witziger Text mit einem | |
völlig überraschenden Ende“, sagt Hopfner. | |
## Sie kommt zu spät und flucht sehr viel | |
Der 38-jährige Kanadier spielt darin die Figur Thomas Novachek, einen | |
Theaterregisseur, der verzweifelt nach einer geeigneten Besetzung für die | |
weibliche Hauptrolle Vanda in seinem Stück „Venus in Fur“ sucht. Das ist | |
eine Adaption von „Venus im Pelz“ des österreichischen Schriftstellers | |
Leopold von Sacher-Masoch, des Namensgebers für den Begriff „Masochismus“. | |
Die Novelle spielt im Jahr 1870 und handelt oberflächlich betrachtet von | |
einer Sado-Maso-Beziehung. Nach einem anstrengenden Castingtag telefoniert | |
Thomas mit seiner Verlobten: „There are no women like this. No young women, | |
or young-ish women. No beautiful-slash-sexy women. No sexy-slash-articulate | |
young women with some classical training and a particle of brain in their | |
skulls.“ | |
Da kommt, viel zu spät, eine mindestens genauso verzweifelte Bewerberin | |
hereingestolpert, in Regenmantel und Highheels, gespielt von der | |
35-jährigen Gossmann. Sie stellt sich als Vanda Jordan vor – „See what I | |
mean? I’ve even got her name!“ – sie flucht, erzählt vom Zug, der im Tun… | |
stecken geblieben ist, und dass sie bis auf die Haut im Regen nass geworden | |
ist. „God. Just my luck. Fuck.“ Unter ihrem Mantel trägt sie Dessous aus | |
Leder und ein Hundehalsband. „Really sexy, huh. Or like, erotic, if you’re | |
into humiliation.“ | |
Obwohl Thomas sie zunächst für völlig ungeeignet hält, darf sie schließlich | |
vorsprechen. Sie überredet Thomas sogar, den männlichen Sprechpart zu | |
übernehmen. Schon bald geht Thomas in seiner Schauspielerrolle voll auf, | |
und Vanda übernimmt immer häufiger die Regie. | |
Gossmann, Absolventin der Moscow Art Theater School, und Hopfner, Absolvent | |
des Workcenter von Jerzy Grotowski, haben sich über eine gemeinsame | |
Kollegin kennengelernt. „Venus in Fur“ ist ihr zweites Stück als Duo, | |
Gossmann ist die Regisseurin in beiden Produktionen. Hopfner kam auf den | |
Stoff, nachdem er die Verfilmung von Roman Polański gesehen hatte. „Der | |
Film ist ein wenig düsterer und langsamer“, findet er. Das Genre der | |
Komödie wollte Gossmann auf keinen Fall ändern, generell ist sie sehr | |
texttreu geblieben: „Der Text ist so gehaltvoll, und seine Form ist so | |
klar“, findet die Schauspielerin, die das Stück zuvor am Broadway in New | |
York gesehen hatte. | |
Weniger das Sado-Maso-Thema als das Machtspiel im abstrakteren Sinne, | |
Dominanz und Unterwerfung, ist das, was Gossmann als Regisseurin an „Venus | |
in Fur“ interessiert. Vanda tritt prollig und naiv auf, spricht eine | |
vulgäre Sprache. Schlüpft sie jedoch in die Rolle der Vanda aus dem Jahr | |
1870, wirkt sie plötzlich elegant und verführerisch. Lauter merkwürdige | |
Zufälle häufen sich, zum Beispiel dass sie den ganzen Text auswendig | |
beherrscht, obwohl sie ihn angeblich nur auf der Zugfahrt überflogen hat. | |
Schon bald weiß man nicht mehr, wer sie eigentlich ist. | |
Und auch Thomas ist eine höchst widersprüchliche Figur, die im einen Moment | |
unsicher wirkt und sich im nächsten herablassend verhält. Immer wieder | |
konfrontiert Vanda ihn mit Sexismusvorwürfen, irgendwann wechseln sie die | |
Geschlechterrollen im Stück, und schließlich verschwimmen die Grenzen der | |
verschiedenen Wirklichkeiten komplett. | |
Gebannt folgt man dem strudelartigen Verlauf des Dialogs, und ein wenig | |
fühlt man sich wie eine der Tierpuppen oben auf der Empore des Kater Blau, | |
wie eine stille Beobachterin im selben Raum, fast unsichtbar, doch ganz nah | |
am Geschehen, und als es heißt: „I think we stop here“, denkt man zuerst, | |
es sei Vanda, die das sagt. | |
Doch es ist Gossmann, als Regisseurin, die die Probe beendet. | |
„Venus in Fur“ von David Ives am 26., 27. Oktober und 16., 17. November, | |
jeweils 20 Uhr im Kater Blau, Holzmarktstraße 25 | |
26 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Julika Bickel | |
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