| # taz.de -- heute in hamburg: „Die Hanseaten sind eine konstruierte Gemeinsch… | |
| taz: Herr Tiedemann, sind Sie ein Hanseat? | |
| Markus Tiedemann: Möglicherweise besitze ich die ein oder andere als | |
| „hanseatisch“ geltende Eigenschaft, aber auf die Benennung als „Hanseat“ | |
| verzichte ich gerne. | |
| Ob ja oder nein: Woran würden Sie das festmachen – oder anders gefragt: Was | |
| ist es denn nun genau, dieses Hanseatische? | |
| Eine klare Definition dessen, wer oder was „hanseatisch“ ist, hat es nie | |
| gegeben. Zu den wiederkehrenden Inhalten des Begriffes gehören | |
| Charaktereigenschaften wie Nüchternheit und Pragmatismus, aber auch | |
| politische Ideale wie Toleranz und Internationalität. | |
| Und so ein Hanseat zu sein, das vertrug sich traditionell nicht damit, | |
| Arbeiter zu sein, und also: Sozialdemokrat? | |
| Vom 19. bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts beschränkte sich der Kreis der | |
| „Hanseaten“ nach vorherrschender Meinung noch auf die bürgerliche | |
| Oberschicht der Städte Bremen, Hamburg und Lübeck. Über ihren | |
| Unternehmergeist, ihren Sinn für das Gemeinwohl, aber auch ihren | |
| politischen Führungsanspruch definierte sich die wirtschaftliche Elite der | |
| Stadt als „Hanseaten“. Für eine nach Mitbestimmung strebende Arbeiterpartei | |
| war nach dieser Deutung kein Platz in der Gemeinschaft. | |
| Welche Rolle spielte die Hamburger SPD bei der Beseitigung des Widerspruchs | |
| – oder hat das am Ende Helmut Schmidt allein erledigt? | |
| Die Hamburger SPD hat in der Weimarer Republik und in der frühen | |
| Bundesrepublik besonderen Wert auf eine Zusammenarbeit mit bürgerlichen | |
| Parteien gelegt und damit bewusst die Sozialdemokratie an das „alte“ | |
| Hamburg herangeführt. Bereits die Bürgermeister Max Brauer und Paul | |
| Nevermann fingen an, das „Hanseatische“ auch für die Sozialdemokratie zu | |
| reklamieren. Durch diese Vorarbeit konnte Helmut Schmidt erst zum Hanseaten | |
| schlechthin aufsteigen. | |
| Das „Hanseatische“ ist geprägt worden, als die Hanse lange tot war. Demnach | |
| sehr viel später geprägt worden. Besteht da eine Verwandtschaft etwa mit | |
| einem Begriff wie „deutsch“, der ja lange Zeit auch mehr für eine Idee | |
| stand, für einen Wunsch, aber nicht für etwas tatsächlich Existierendes? | |
| Für die Zeit der Hanse existiert der Begriff „Hanseat“ tatsächlich noch | |
| nicht. Er ist eine Erfindung des späten 18. Jahrhunderts. Die Parallele zum | |
| Nationsbegriff ist insofern vorhanden, dass jeweils eine konstruierte | |
| Gemeinschaft beschrieben werden soll, deren Mitglieder zu unterschiedlichen | |
| Zeiten auch unterschiedlich festgelegt werden können. | |
| Interview Alexander Diehl | |
| Buchvorstellung „Gute Hanseaten – Sozialdemokraten“ mit Markus Tiedemann: | |
| 18.30 Uhr, Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, Beim Schlump 83 | |
| 26 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Alexander Diehl | |
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