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# taz.de -- Bildungsmisere in Bremerhaven: Dienstags schulfrei für Klasse 2b
> Dramatischer Lehrermangel in Bremerhaven: Einzelne Schulen mussten ganze
> Klassen tageweise nach Hause schicken. SPD-Chef Günthner gesteht Fehler
> ein.
Bild: Klasse leer: In Bremerhaven fällt Unterricht tageweise aus.
BREMERHAVEN taz | Der Brief an die Eltern der Altwulsdorfer Grundschule in
Bremerhaven hatte es in sich. „Leider müssen wir ihnen mitteilen, dass der
Krankenstand aktuell sehr hoch ist“, hieß es da Anfang vergangener Woche.
Um die Ausfälle der Lehrer gleichermaßen zu verteilen, möge immer eine
Klasse zu Hause bleiben: am Dienstag die Klasse 2b, Mittwoch die 3a,
Donnerstag und Freitag folgten 4a und 4c.
Es ist nicht das erste Mal, dass der Krankenstand in Altwulsdorf zu einem
dramatischen Unterrichtsausfall führt. Und nicht die erste Schule. Vor den
Herbstferien sah es etwa an der Oberschule am Ernst-Reuter-Platz ähnlich
aus. Der bundesweite Lehrermangel trifft Bremerhaven besonders stark.
Anfang des Schuljahres blieben hier 35 Lehrerstellen unbesetzt. In
Krankheitsfällen, wie nun an der Altwulsdorfer Schule, gibt es keine
Aushilfslehrer, die einspringen könnten.
## „Wir stellen ein“
Bremerhaven ist als Arbeitsplatz schlicht nicht attraktiv. Dabei wird schon
einiges versucht: Wer einen Lehrer in die Stadt vermittelt, bekommt eine
Prämie von bis zu 500 Euro, erklärt Schuldezernent Michael Frost. Für
diejenigen die sich verpflichten, später in Bremerhaven zu arbeiten, gibt
es Stipendien fürs Lehramtsstudium.
Frost fasst es in einem Satz zusammen: „Wir stellen jederzeit Lehrer ein.“
Manche Eltern glaubten, es liege am Geld. „Aber das Geld ist in diesem Fall
nicht das Problem. Wir finden einfach nicht genügend ausreichend
qualifizierte Bewerber.“ Die Situation in der Altwulsdorfer Schule
zumindest werde nun wohl etwas besser: Einige Lehrkräfte würden kurzfristig
Stunden aufstocken und am Donnerstag fange eine neu eingestellte Lehrkraft
direkt dort an. Für die anderen Schulen ist der Aushilfspool weiter leer.
„Wir sind auf Kante genäht“, sagt Frost.
Während es laut Frost zumindest bei den Lehrerstellen nicht am Geld hapert,
kritisiert die Lehrergewerkschaft GEW massive Kürzungen bei den Mitteln für
Investitionen und Lernmittel. Damit es im nächsten Haushalt nicht zu
weiteren Kürzungen kommt, ruft die Gewerkschaft für Donnerstag zu Protesten
vor der Stadtverordnetenversammlung auf.
## Investitionsetat: null Euro
Die veranschlagten 650.000 Euro an Investitionsbedarf wurden 2016 komplett
nicht bewilligt, erklärt Frost. Haushaltskonsolidierung, Schuldenbremse –
der Schuletat war bei den Investitionen von Sparmaßnahmen ebenso betroffen
wie andere Bereiche der Stadt. 2017 wurden im Frühjahr zumindest 360.000
Euro für die Schulen nachbewilligt.
Eine Referendarin, die an einer Bremerhavener Schule arbeitet, erklärt die
Situation so: „Wir haben in einer Klasse für 18 Schüler acht Bücher im
Schrank, die sie zudem nicht mit nach Hause nehmen dürfen. Wenn dann noch
der Kopier-Etat gedeckelt wird, wie soll man da noch unterrichten?“
Von einem „dramatischen Einschnitt“ spricht auch Frost. Es gehe nicht nur
um Schulbücher, sondern auch um die PC-Ausstattung oder um Werkstattgeräte
in den Berufsschulen: „Ohne investive Mittel lässt sich nicht mehr
zeitgemäß unterrichten.“ Und die Ausstattung gehöre auch zu den Dingen, die
einen Arbeitsplatz für Lehrer attraktiv machten.
## „Sündenfall“ der Koalition
Bei der SPD scheint man einzulenken. „Bildung soll im nächsten kommunalen
Haushalt ein Schwerpunkt werden“, sagte Bremerhavens SPD-Chef Martin
Günthner in der Nordsee-Zeitung. Laut Günthner sei es „ein Sündenfall“
gewesen, dass die Große Koalition in Bremerhaven bei den Sachmitteln für
die Schulen gekürzt habe. Der stellvertretende Landeschef Elias
Tsartilidies wird im gleichen Bericht mit dem Vorschlag zitiert,
Unterrichtsstunden wegen des Lehrermangels etwa im Fach Deutsch zu
reduzieren.
## Ausfall „katastrophal“
Sülmez Doğan, grüne Schulpolitikerin aus Bremerhaven, kann diesen Vorschlag
kaum fassen. Deutsch sei gerade das Fach, in dem man am wenigsten
reduzieren sollte, sagte sie der taz. Insgesamt sei der Unterrichtsausfall
für Bremerhaven, als Stadt mit großer Kinderarmut, „katastrophal“: „Das
geht gar nicht, es gibt genug alleinerziehende Frauen, die arbeiten müssen
und darauf angewiesen sind, dass ihre Kinder zur Schule gehen.“
Kristina Vogt, Vorsitzende der Bremer Linksfraktion, sieht auch das Land
Bremen in der Pflicht. „Neben dem Schuldezernenten Frost ist auch
Bildungssenatorin Bogedan in der Verantwortung, hier für schnelle Abhilfe
zu sorgen.“ Vogt schlägt vor, die Aufstockung von Teilzeitstellen als
Modell zu entwickeln.
Bei der Bildungssenatorin sei die Situation in Bremerhaven Thema, sagt
deren Sprecherin. Bei den Referendariaten, für die das Land zuständig sei,
habe man bereist aufgestockt. Bei der Lehrergewinnung aber sei die Kommune
Bremerhaven autark.
Protestkundgebung der GEW: Donnerstag (26.10.2017), 14 Uhr vor der VHS,
Eingang Loydstraße, Bremerhaven
25 Oct 2017
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
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Lehrermangel
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