# taz.de -- Im Hinterhof zwischen zwei Kriegen | |
> Am Freitag startet Deutschlands teuerstes Serienprojekt bei Sky: „Babylon | |
> Berlin“, die Verfilmung des ersten Volker-Kutscher-Krimis um Kommissar | |
> Gereon Rath. Es ist der Versuch, durch eine Serie eine ganze Gesellschaft | |
> samt deren Motiven, historischen Katastrophen und umwälzenden Ereignissen | |
> zu erklären | |
Bild: Willkommen im düsteren Berlin: Volker Bruch als Gereon Rath | |
Von Jenni Zylka | |
Willste zu Mutti?“ Martialisch sieht es aus, wie der Glatzkopf, der dem | |
Fremden diese Frage hinwirft, in einem Berliner Hinterhof mit der Axt | |
blutiges Fleisch vom Knochen trennt. Doch der Angesprochene lässt sich | |
beherzt den Weg in einen Seitenflügel weisen. „Mutti“ wird oben, in einer | |
mit feuchter Wäsche vollgehängten, engen Wohnung, erst eines ihrer Kinder | |
wegschicken. Dann rafft die verlebte Frau die Röcke, um dem vermeintlichen | |
Kunden das anzubieten, was ihre Spezialität ist. Und staunt nicht schlecht, | |
weil er nur mit ihr reden möchte. | |
Denn Gereon Rath (Volker Bruch) ist kein Freier auf der Suche nach Sex. Er | |
ermittelt in einem Kriminalfall. „Der nasse Fisch“ war das erste Rätsel, | |
auf das Krimiautor Volker Kutscher seinen Exilkölner Kommissar ansetzte. | |
Und die serielle Verfilmung, die ab kommenden Freitag auf Sky und erst rund | |
ein Jahr später in der ARD zu sehen sein wird, legt – genau wie das | |
literarische Vorbild – einen Schwerpunkt auf die Erzählung der fiktionalen | |
Welt, dem zeitlichen und räumlichen Ort, in dem alles angesiedelt ist: | |
„Babylon Berlin“ zeigt die deutsche Hauptstadt im Schicksalsjahr 1929. | |
Einem Jahr zwischen zwei Kriegen, die für viele, die den ersten erlebten, | |
eh ein einziger waren – nicht nur für die traumatisierten Männer, die | |
„Kriegszitterer“ wie Gereon Rath, der seine körperlichen Symptome aus dem | |
posttraumatischen Belastungssyndrom nur mithilfe von Drogen unterdrücken | |
kann. Einem Jahr der Krisen, in der Weltwirtschaft und damit an (und in) | |
der Börse. Einem Jahr der Armut in verwanzten Hinterhofwohnungen, in denen | |
sich sorgenschwere Erwachsene und hoffnungslose Kinder durchgelegene Betten | |
teilen. Und einem Jahr der Vergnügungs- und anderweitig Süchtigen, die | |
diese durchgelegenen Betten gar nicht erst aufsuchten, sondern gleich die | |
Nächte zu Tagen machen. | |
Jene Welt hat immer einen großen Einfluss auf eine ausgedachte Handlung. | |
Doch für Krimis ist sie elementar: Die Handelnden müssen sie sehr gut | |
kennen, sie benutzen können, um zum Ziel zu kommen. Bei „Babylon Berlin“, | |
das nach jahrelanger Vorbereitung von den drei Regisseuren Tom Tykwer, | |
Hendrik Handloegten und Achim von Borries geschrieben und inszeniert wurde, | |
stimmt die Welt – jedes Detail, jede Stimmung, jeder Raum wirkt adäquat. | |
Vom mondänen „Moka Efti“-Nachtclub, in dem die Avantgarde der Zeit in | |
Ballet-Mécanique-Kostümen zu surrealen Thereminsounds auftritt, bis zur | |
traurigen Arbeiterbude mit krupp-hustenden Kindern; von der Jobbeschreibung | |
der Gelegenheitsprostituierten bis hin zu der des unter Druck stehenden | |
Polizeichefs. Und vom Straßenbild des vergleichsweise leeren | |
Alexanderplatzes, das vom trutzigen Polizeipräsidium „Rote Burg“ (am | |
heutigen „Alexa“-Standort) gesäumt wird, bis in den schon damals gelb | |
gefliesten U-Bahnhof Hermannplatz in Neukölln. | |
Jedenfalls scheint es so. Dabei haben sich die Regisseure in Zusammenarbeit | |
mit den Szenenbildnern Uli Hanisch und Kai Karla Koch für ihre 300 Drehorte | |
viel selbst ausgedacht und wenig Vorhandenes genutzt, haben auf dem | |
Babelsberger Studiogelände Fassaden, Gebäude, Wohnungen er- und | |
eingerichtet. Haben der Geschichte um einen Goldtransport, der nicht wie | |
geplant bei den oppositionellen Exilrussen ankommt, sondern irgendwie von | |
einer geheimnisvollen, singenden Verräterin mit undurchdringlichem | |
Theda-Bara-Gesicht (Severija Janušauskaitė) umgeleitet wird, die | |
größtmögliche Portion Glaubwürdigkeit mitgegeben. | |
„Plausibilität ist viel wichtiger als Authentizität“, sagt Tykwer denn au… | |
beim Gespräch mit den drei Regisseuren im Büro der Produktionsfirma X | |
Filme. Und Handloegten erklärt, dass Berlin „Ende der 20er-Jahre | |
fotografisch, literarisch und im Journalismus sehr gut dokumentiert“ sei. | |
Man konnte also immer wieder Kleinigkeiten hinzufügen, die das Ganze | |
erlebbar, die Vergangenheit der Stadt haptisch machen, wie den | |
„Gasriecher“, ein Beruf, auf den man während der Recherchen gestoßen sei. | |
Die Berufsdefinition schildert einen Mann, der mit einer langen Stange über | |
die Bürgersteige wandelte, die Nase ans obere Ende gedrückt, um etwaige | |
Lecks in den Leitungen zu erschnüffeln. | |
Der Gasriecher hat natürlich keine Rolle im Film. Aber er wurde dennoch in | |
einer kurzen Szene in der 13. Episode untergebracht. Einfach so, als | |
lebendig gewordene Zille-Illustration. | |
Diese liebevolle Detailtreue, die alle Mitarbeiter*innen der Produktion zu | |
verbinden scheint und bis ins Lettering des Vorspanns und die | |
Experimental-Kurzfilme des Nachspanns reicht, ging auf das Produkt über: | |
„Babylon Berlin“ ist ein rundum atmosphärisches Sittenbild, in das man am | |
liebsten einsteigen würde wie der Schornsteinfeger bei „Mary Poppins“ – | |
nicht, weil es damals so schön war, sondern um endlich zu erleben, wie es | |
sich anfühlte. | |
Der bislang teuersten deutschen Serienproduktion, deren Realisierungspläne | |
zwischendurch stark ins Wanken geraten waren, sieht man die über 38 | |
Millionen Euro (knapp 2,4 Millionen pro Folge) an: Der Production Value | |
steckt in den Massenszenen der riesen Tanzchoreografie im historischen | |
Nachtclub genau wie in Kleinigkeiten wie der vollgekritzelten und | |
gepinkelten Polizeipräsidiumslatrine. | |
Die Arbeit im Trio, die für zwei der drei Regisseure neu war – Tykwer hat | |
in Zusammenarbeit mit den beiden US-amerikanischen Drehbuchschreiberinnen | |
und Regisseurinnen Lana und Lilly Wachowski bereits die dramaturgisch etwas | |
fahrige Mystery-Serie „Sense 8“ für Netflix kreiert – scheint in diesem | |
Fall gut geklappt zu haben: „‚Babylon Berlin‘ ist größer als wir drei | |
zusammen“, sagt von Borries, und erzählt, wie man sich nach Drehorten | |
aufgeteilt und am Drehplan gestrickt habe, damit die logistische | |
Großleistung vollbracht werden konnte. Und dass das gemeinsame Urteilen bis | |
in den Schnitt und die Postproduktion heilsam gewesen sei – keiner von den | |
dreien, man ist sich einig, hätte so etwas allein hinbekommen. | |
Auch die Musik, die Tykwer gemeinsam mit seinem langjährigen musikalischen | |
Partner Johnny Klimek komponierte, stellt eine – im Wortsinn – eigene Note. | |
Sie orientiert sich strukturell eher an einem das Innere des Charakters | |
repräsentierenden, kongenialen Score wie ihn Cliff Martinez für Steven | |
Soderberghs „The Knick“ erdachte, als an der erwartbaren Klangwelt eines | |
Period Pieces, eines in einer historischen Vergangenheit angesiedelten | |
Abenteuers, das seine Zeitverwurzelung durch den Sound behauptet: Anstatt | |
die Folgen mit Swing, Charleston und den üblichen Gassenhauern und Couplets | |
zuzukleben, haben Tykwer und Klimek sich zwar an die damals vorhandene | |
Instrumentierung und das einstige Klangbild gehalten, aber in der | |
Ausführung versucht, das Heute vorauszuahnen. „Es gab elektronische | |
Elemente, Experimente, die nicht dokumentiert sind, weil sie eben keiner | |
aufnehmen konnte“, sagt Tykwer. „Gleichzeitig wollten wir, dass der Gestus | |
des Films nicht einfach Stummfilme imitiert, sondern dass die Spätmoderne | |
da auch schon hineinschwappt.“ | |
Bei den Charakteren, allen voran Bruch als Rath und Liv Lisa Fries als | |
seine sich zunehmend in der Männerwelt emanzipierende Freundin Charlotte | |
Ritter steht die Modernisierung aber noch aus: Sie stehen für eine Zeit, in | |
der man Dinge tat, erlebte, erlitt und erduldete – und nicht hinterfragte. | |
„Um Psychologie ging es damals nie“, findet Handloegten. „Ich fand es dar… | |
wichtig, dass im Film niemand über seine Gefühle redet. Das haben die Leute | |
einfach nicht gemacht.“ | |
Gereon Raths Kriegsversehrtentrauma, das in der literarischen Vorlage gar | |
nicht vorkommt, spiegelt somit nicht nur die Zeit, sondern ist eine | |
wichtige, beschreibende Schwäche seiner Person – Charlotte kann ihm | |
näherkommen, weil sie diese Schwäche entdeckt und akzeptiert. Und ohne die | |
Drogenabhängigkeit wäre Bruchs Rath, der kaum sein Kölsch raushängen lassen | |
darf und auch sonst außer einer versteckten Zielstrebigkeit nicht viele | |
Charakterzüge offenbart, zudem tatsächlich ein wenig zahm, angesichts der | |
aufregenden Schachzüge, Verwicklungen und Menschen um ihn herum. | |
An „Babylon Berlin“ hängen viele Erwartungen, doch es geht ab: Die | |
Koproduktion von ARD, Sky, X Filme und Beta Film, die die erste | |
Zusammenarbeit zwischen einem gebührenfinanziertem Sender und einem | |
Bezahlportal darstellt, wurde bereits in zehn Länder, darunter die USA, | |
verkauft. Sollten auch die Zuschauer*innen mitmachen, und entweder ihre | |
Aboanzahl, oder in einem Jahr die Quoten hochjagen, wäre das vielleicht für | |
öffentlich-rechtliche Sender endgültig ein Grund, sich mutiger und | |
leidenschaftlicher um ihre Serienprodukte zu kümmern, sie mehrgleisig und | |
nicht nur linear anzubieten – und nicht mit müden 50er-Jahre-Produktionen | |
wie „Charité“ aufzuwarten, das als inhaltlich extrem interessanter | |
Historienfilm durchaus ebenfalls die Voraussetzungen für eine mitreißende | |
serielle Erzählung gehabt hätte. | |
Denn was die großen Serien der 2000er wie Matthew Weiners „Mad Men“ so | |
relevant macht, ist nicht nur die Eleganz der Inszenierung und des Buchs, | |
die Tiefe der Charaktere und der – im Gegensatz zur von vielen | |
Außenaufnahmen geprägten Ausstattungsorgie „Babylon Berlin“ fast schon | |
zurückhaltende – Setbau. Es ist die Idee, durch eine Serie eine ganze | |
Gesellschaft samt deren Intentionen, Motiven, historischen Katastrophen und | |
umwälzenden Ereignissen zu erklären. Das Berlin des Jahres 1929 ist voll | |
davon. Was kurz danach in Deutschland passierte, und wie diese Ereignisse | |
bis heute das Land prägen, hängt als große, dräuende Fragestellung über der | |
Serie. | |
Und auch wenn eine fiktionale Erzählung eine solche Frage nie ganz | |
beantworten kann – sie darf nicht aufhören, es zu versuchen. | |
„Babylon Berlin“, ab Freitag, 13. Oktober, 20.15 Uhr, Sky 1 | |
7 Oct 2017 | |
## AUTOREN | |
Jenni Zylka | |
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