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# taz.de -- Von Duckmäusertum und Gesinnungsschnüffelei
> Mit ihrem Stück zum Radikalenerlass feiern Shakespeare Company und Uni
> Bremen zehn Jahre „Aus den Akten auf die Bühne“
Bild: Bringt altes Papier zum Sprechen: die Bremer Shakespeare Company
Von Paulina Hemesath
Ein Mann zieht eine Akte aus einem braunen Pappkarton. Der Name „Holzer“
steht darauf. Am Bühnenrand liest er mit lauter Stimme: „Die Zeit: April
1971. Horst Holzer wird zum Professor für Soziologie an die Universität
Bremen berufen!“. Er geht ruhig zu seinem Platz und setzt sich. Am
Nebentisch liest unvermittelt eine Frau aus einer anderen Akte vor:
„Mitteilung des Senats, Juli 1971: Die Ernennung Holzers wird vom Bremer
Senat abgelehnt. Grund dafür ist die Mitgliedschaft Holzers in der
Deutschen Kommunistischen Partei.“ Holzers soeben auf der Bühne verhinderte
Soziologieprofessur war das erste Berufsverbot für einen „Radikalen“ in
Bremen. Das Bundesland hat schon vor der Verabschiedung des sogenannten
Radikalenerlasses hart durchgegriffen.
Die szenische Lesung „Staatsschutz, Treuepflicht, Berufsverbot. Ein
vergessenes Kapitel der westdeutschen Geschichte“ haben Uni Bremen und
Shakespeare Company im Rahmen der Projektreihe „Aus den Akten auf die
Bühne“ erarbeitet. Seit zehn Jahren inszenieren sie historische Dokumente
auf der Bühne.
Nach Entnazifizierung Bremer Frauen oder Ausweisungen „lästiger Ausländer“
nun also der Radikalenerlass. Diese Empfehlung von Kanzler Willy Brandt und
den Ministerpräsidenten aus 1972 sollte Mitglieder „extremistischer“
Organisationen aus dem öffentlichen Dienst heraushalten. Gemeint waren
damit vor allem linke „Verfassungsfeinde“.
Projektleiterin Eva Schöck-Quinteros ließ Studierende des Fachbereichs
Sozialwissenschaften zwei Semester lang mit entsprechenden Quellen
arbeiten. Die Shakespeare Company half dabei, diese Briefe, Zeitungsartikel
oder Flugblätter auf die Bühne zu bringen. So wie diesen Pappkarton namens
„Holzer“. Die doch sehr unterschiedlichen Quellen treten über die
Konfrontation miteinander in den kritischen Dialog. So stellte die Uni das
Verschwinden von Holzers Schriften aus der Universitätsbibliothek in einem
Dokument als „langfristige Ausleihe der Bücher“ dar. Studierende
antworteten in einem offenen Brief darauf, dass es sich viel mehr um einen
bewussten Einzug von Büchern handle.
Die Schauspieler*innen der Company spielen je mehrere Rollen. Meist lesen
sie tatsächlich nur aus diesen von den Studierenden aufgearbeiteten Akten
vor. Nur selten verlassen sie das Material und geben Signale: „Protest!“
ruft mal einer mit rotem Schal um den Hals. Und es geht zurück ans Papier,
zwei lange Stunden dauert das.
Neben Horst Holzer kommen drei weitere „Radikale“ auf den Tisch. Lehrer wie
Frank Behrens, der mit Schüler*innen über Verstaatlichung von
Produktionsmitteln diskutiert hat. Oder Antje Linder, die ehemalige
Regierungsrätin beim Bildungssenator: Ihr wurde die Zulassung auf
Rechtsanwaltschaft enthoben, weil sie kommunistische Zeitungen in Bremen
verteilt hatte.
Auch die Folgen des „Radikalenerlasses“ für die Allgemeinheit kommen aus
den Akten zur Sprache: Stellen im öffentlichen Dienst blieben unbesetzt. Es
kam zu Duckmäusertum bei Menschen mit Berufswunsch im öffentlichen Dienst,
der Vorwurf „Gesinnungsschnüffelei“ stand bei vielen Behörde im Raum. Auch
wenn sich die Regierung angesichts dessen schon viel früher von dem Erlass
distanzierte, wurde er doch erst im Jahr 2012 offiziell abgeschafft.
Dass das Thema heute noch brisant ist, fiel den Studierenden allerdings
schon vorher auf. Heute gehe es „eben um die Rechten, statt mit den
Linken“, sagt einer. Auch hier, so sagt er, müsse man sich überlegen, wie
man mit diesen Menschen im öffentlichen Dienst umgeht. Dieses Problem kennt
auch Projektleiterin Schöck-Quinteros. Im Vorfeld der Aufführung sagte die
Historikerin, dass man sich mit diesem Thema auch heute mehr
auseinandersetzen sollte. Auch wenn es hier zunächst nur um 40 Jahre alte
Akten geht.
Weitere Aufführungen: 17. 10., 23. 11. und 19. 12., 19.30 Uhr, Theater am
Leibnizplatz,
7 Oct 2017
## AUTOREN
Paulina Hemesath
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