Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Cumhuriyet-Prozess: Eine richtige, vier falsche Entscheidungen
> Am dritten Verhandlungstag im Prozess gegen Cumhuriyet-Mitarbeiter wurde
> der Autor Kadri Gürsel freigesprochen. Das Gericht gestand, dass es
> „Probleme bei der Anklageschrift“ gibt.
Bild: Cumhuriyet-Mitarbeiter während der Anhörung der Zeugen
Immerhin eine richtige Entscheidung traf das Gericht in Istanbul am Montag:
der Kolumnist der Zeitung Cumuriyet, Kadri Gürsel, darf nach 331 Tagen das
Gefängnis verlassen.
Zu Beginn der dritten Anhörung im Prozess gegen 17 Mitarbeiter der Zeitung
standen erneut dutzende Menschen vor dem Justizpalast in Istanbul und
solidarisierten sich mit den Angeklagten. Doch auch ein Gegner mischte sich
dieses Mal unter die Leute: Ein ehemaliger Reporter von Ahsen TV, einem
regierungstreuen Fernsehsender, provozierte die Wartenden vor dem Gericht
und nannte sie „Vaterlandsverräter“. Nach einigem Tumult wurde er von der
Polizei weggebracht.
## Staatsanwalt fordert Fortsetzung der Haft
Nach der letzten Anhörung, die im Juli im Gefängnis von Silivri stattfand,
entließen die Richter mehrere Angeklagte. Nicht entlassen wurden der
Investigativjournalist Ahmet Şık, der Chefredakteur Murat Sabuncu, der
Kolumnisten Kadri Gürsel, der Anwalt Akın Atalay und der Buchhalter Emre
İper. Auch am Ende der dritten Anhörung forderte die Staatsanwalt die
Fortsetzung der Haft aller Angeklagten.
An diesem Montag wurden vier weitere Zeugen angehört, die bisher noch nicht
angehört wurden. Einer von ihnen war Alev Coşkun, ehemaliges
Vorstandsmitglied der Cumhuriyet-Stiftung. Zuvor hatten ehemalige
Cumhuriyet-Mitarbeiter gefordert, dass die Stiftung an sie übertragen
werden sollte, weil es bei Mitgliederabstimmungen zu Unregelmäßigkeiten
gekommen sei. Die Cumhuriyet-Stiftung ist der Eigentümer der gleichnamigen
Zeitung.
Coşkun wiederholte den Vorwurf, dass es im April 2013 bei einer Abstimmung
der Stiftung Regelverstöße gegeben habe. Er habe daraufhin gemeinsam mit
Kolleginnen und Kollegen im Februar 2016 Anzeige erstattet und der Prozess
sei zu ihren Gunsten entschieden worden.
## Vermischung zweier Prozesse
Allerdings betonte Coşkun, dass diese Angelegenheit nichts mit dem
gegenwärtigen Prozess zu tun habe und davon strikt getrennt werden sollte.
„Meine Freunde sind keine Terroristen. Sie sind auch keine Mitglieder der
Gülen-Sekte. Ich fordere, dass ihr Prozess ohne ihre weitere Inhaftierung
fortgesetzt wird.“
Ein weiterer Zeuge im Prozess, Rıza Zelyut, Autor der Zeitung Aydınlık
Gazetesi, sagte, dass er niemanden mit der Mitgliedschaft der
Gülen-Organsiation belasten werde. Dennoch bestehe er darauf, dass versucht
worden sei, durch die Stiftung Macht über die Cumhuriyet zu erlangen. Es
sei nicht normal, dass auf der Website einer Zeitung „acht Nachrichten über
die HDP und Demirtas (Chef der prokurdischen Partei HDP und derzeit im
Gefägnis)“ gleichzeitig laufen könnten.
Außerdem behauptete er von sich, der beste Kolumnist der Türkei zu sein.
Auf die ablehnenden Reaktionen aus den Zuschauerrängen im Gerichtssaal
reagierte er mit erhobenem Zeigefinger: „Ich bin ein Autor von Mustafa
Kemal Atatürk. Ich kann es mit euch allen aufnehmen.“
## Ein Hauch Menschenliebe
Nachdem alle Zeugen vernommen wurden, verlasen die Anwälte ihre
Verteidigungsschriften. „Wenn Sie einen Hauch Menschenliebe in sich haben,
lassen Sie alle Angeklagten frei“, sagte Anwalt Köksal Bayraktar. Richter
Dağ antwortete: „Sie können unsere Menschenliebe nicht bemessen“. Doch da…
passierte etwas sehr Außergewöhnliches: Richter Dağ gestand, dass die
Anklageschrift problematisch sei.
Bevor das Gericht sein Urteil verkündete, hatten die regierungsnahen
Zeitungen Star und Milliyet das Urteil bereits verkündet: die weitere
Inhaftierung der Angeklagten. Als einer der Anwälte das dem Richter vorlas,
brach Unruhe aus. Die Zuschauer zeigten ihre Handys dem Richter, auf dem
Screenshots der Meldung zu sehen waren. Ahmet Şık, der prominenteste
Angeklagte, warf dem Gericht vor, Informationen an „bestimmte Medien“
herauszugeben. Der Richter ließ am Ende wissen, dass er Anzeige gegen die
Zeitung Star erstatten werde.
## Freispruch für Gürsel
Schließlich entschied das Gericht, den Kolumnisten Kadri Gürsel
freizulassen. Dieser hatte dem Richter zuvor gesagt, dass er keinen
weiteren Grund sehe, in Haft zu bleiben, da bis auf einen, keiner der
Zeugen seinen Namen auch nur erwähnt hatte. Und der, der ihn erwähnte,
hatte lediglich gesagt, dass er seine Artikel gelesen habe.
Das Gericht begründete die Freilassung Gürsels damit, dass es keinen
Verdacht gebe, er könne Druck auf Zeugen oder Angeklagte ausüben oder
Beweise fälschen.
Die nächste Anhörung findet am 31. Oktober 2017 im Istanbuler Justizpalast
von Çağlayan statt.
25 Sep 2017
## AUTOREN
Gülten Sarı
## TAGS
taz.gazete
Pressefreiheit in der Türkei
Pressefreiheit in der Türkei
taz.gazete
## ARTIKEL ZUM THEMA
25 Monate Haft für Journalistin: Härter wegen „Terrorpropaganda“
Nach der Verurteilung der türkisch-finnischen Journalistin Ayla Albayrak
wird in Skandinavien gefordert, die türkische Regierung anzugehen.
Günter Wallraff in der Türkei: Solidarität mit inhaftierten Kollegen
Mit Preisgeld im Gepäck: In der Türkei besucht Journalist Günter Wallraff
die Zeitung „Cumhuriyet“ und Angehörige inhaftierter Kollegen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.