# taz.de -- Drohnenkrieg: Das Testgelände türkischer Drohnen | |
> Seit September 2016 setzt die Türkei selbst produzierte Drohnen im | |
> Südosten des Landes ein. Alle Todesopfer werden als PKK-Terroristen | |
> bezeichnet. | |
Bild: Eine Drohne kurz vor ihrem Abflug | |
Mehmet Temel. So hieß jener Mann, der am 31. August durch einen türkischen | |
Drohnen-Angriff getötet wurde. Tatort war das Dorf Ogul in der abgelegenen | |
Provinz Hakkari nahe der irakischen Grenze. Temel, 35 Jahre alt, war | |
verheiratet – und ein Zivilist, genauso wie die drei weiteren Menschen, die | |
durch den Angriff in der Kurdenregion verletzt wurden. Dies behauptete die | |
HDP-Abgeordnete Bedia Ozgokce auf einer Pressekonferenz, die kurz darauf in | |
Hakkari stattfand. Für Özgökce ist klar, dass es sich hierbei um ein | |
Kriegsverbrechen der türkischen Armee handelt. | |
Doch weder Regierung noch Militär wollen davon etwas wissen. Für sie ist | |
klar, dass sie abermals „Terroristen“ getötet haben, wie es auch seitens | |
des Büros des Provinzgouverneurs am Tag darauf hieß. „Die drei Kinder | |
meines Sohns sind nun vaterlos. Sie haben unser Opferfest [Anmerkung: | |
Islamisches Opferfest am 1. September] zur Hölle gemacht“, meinte | |
stattdessen die Mutter des Opfers. | |
Seitdem im Sommer 2015 der Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der | |
militant-marxistischen PKK wieder aufgeflammt ist, herrscht Krieg im | |
Südosten der Türkei. Seitdem werden weite Teile jener Kurdengebiete, die | |
mutmaßlich unter PKK-Kontrolle stehen, vom türkischen Militär großflächig | |
bombardiert. Laut der Regierung in Ankara hat das Militär bereits 10.000 | |
„Terroristen“ getötet oder gefangen genommen. Von zivilen Opfern ist keine | |
Rede. Währenddessen kritisieren Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty | |
International das Vorgehen des türkischen Militärs und berichten von | |
Massenvertreibungen und einer „kollektiven Bestrafung“ der lokalen | |
Bevölkerung. | |
Im Konflikt zwischen Ankara und der PKK kamen erstmals bewaffnete Drohnen | |
aus türkischer Eigenproduktion zum Einsatz. Noch vor wenigen Jahren wurde | |
die Drohnen-Technologie der Türkei aus Israel eingekauft. Doch im | |
vergangenen September verkündete Selcuk Bayraktar, Cheftechniker des | |
türkischen Waffenproduzenten Baykar Technologies und Schwiegersohn von | |
niemand anderem als Präsident Erdogan, via Twitter den allerersten Einsatz | |
der Bayraktar TB2, einer Drohne, die „zu einhundert Prozent türkisch und | |
original“ sei. Führende türkische Staatsmedien [1][berichteten kurz darauf | |
stolz von der ersten, bewaffneten Drohne der Türkei,] die bei | |
„Terror-Operationen“ zum Einsatz kam. | |
## Alle Opfer als PKK-Terroristen bezeichnet | |
Seitdem berichtet die türkische Regierung regelmäßig von den Erfolgen der | |
Bayraktar TB2, die – so scheint es – zum neuen Trumpf des Militärs geworden | |
ist. Laut der offiziellen Narrative tötet die Drohne nur Terroristen und | |
sonst niemanden. Opfer wie Mehmet Temel werden konsequent verdrängt. Im | |
Neusprech Ankaras sind sie praktisch nicht vorhanden, sie existieren nicht. | |
Dies ist zu Recht mit Skepsis zu betrachten. Genauso wie bei allen anderen | |
Drohnenangriffen ist auch bei türkischen nicht bekannt, wen sie töten. Vor | |
allem Regierungsangaben und offizielle Statements sind in diesem Kontext | |
besonders kritisch zu betrachten. | |
Ähnliche Szenarien spielten sich in den letzten Monaten immer wieder ab. Im | |
Oktober 2016 meinte das türkische Verteidigungsministerium, durch | |
Drohnenangriffe in Hakkari mindestens 72 Menschen getötet zu haben. Sowohl | |
das Militär als auch die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu Agency | |
bezeichneten sämtliche Opfer als „PKK-Terroristen“. Selbiges Szenario | |
wiederholte sich im darauffolgenden November, als mindestens 19 Menschen in | |
Sirnak getötet wurde und sechs weitere im Nordirak getötet wurden. Sowohl | |
das Militär als auch die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu Agency | |
[2][bezeichneten sämtliche Opfer als „PKK-Terroristen“] – ohne einen | |
einzigen Beweis dafür vorzulegen. | |
## Rhetorik ähnelt der US-Strategie | |
Sowohl die Praxis als auch die Rhetorik ist nicht unbekannt. De facto wurde | |
beides einfach von den USA, die ihren globalen Drohnenkrieg weiterhin führt | |
und ausweitet, übernommen. Seit Beginn des US-Drohnenkrieges behaupten CIA, | |
Pentagon und das Weiße Haus immer wieder, dass ihre vermeintlich präzisen | |
Drohnen ausschließlich „Terroristen“ töten. Dabei bedienen sie sich sehr | |
vagen Definition. 2012 wurde etwa bekannt, dass laut Weißem Haus jede | |
männliche Person im wehrfähigen Alter im Umfeld eines Drohnenangriffs als | |
„feindlicher Kombattant“ gilt. Demnach können auch Kinder in den | |
betroffenen Regionen als „Terroristen“ abgestempelt werden. Die türkische | |
Regierung scheint in den Kurdengebieten ähnlich vorzugehen. | |
Hinzu kommt die Kritik an die Drohnentechnik an sich. Die besten | |
bewaffneten Drohnen der Welt, die gegenwärtig aus den USA und Israel | |
stammen, sind alles andere als präzise. Laut dem Bureau of Investigative | |
Journalism, einer in London ansässigen Journalisten-Gruppierung, die den | |
US-Drohnenkrieg beobachtet, [3][wurden lediglich vier Prozent der | |
Drohnenopfer in Pakistan als Al-Qaida-Mitglieder identifiziert.] | |
## Unabhängige Beobachter notwendig | |
Laut Micah Zenko, einem Analysten des US-amerikanischen Denkfabrik „Council | |
of Foreign Relations“, ist [4][die Wahrscheinlichkeit, dass Drohnenangriffe | |
Zivilisten töten, zwanzig Mal höher als bei klassischen Luftangriffen.] | |
Zenko kam zu diesem Schluss nachdem er die Daten von amerikanischen | |
Drohnen-Angriffen in Somalia, Jemen und Pakistan mit jenen von | |
Luftangriffen im Irak und in Syrien verglichen hatte. Warum sollte dies bei | |
türkischen Drohnen, die technisch weitaus unterlegener sind, anders sein? | |
Wie bei anderen Staaten sind auch im Fall des türkischen Drohnen-Programms | |
unabhängige Beobachter notwendig. Nur durch diese Weise können mögliche | |
zivile Opfer identifiziert werden. Transparenz und Unabhängigkeit sind in | |
diesen Tagen in der Türkei allerdings kaum zugegen. Besonders im kurdischen | |
Südosten des Landes, der zum Drohnen-Testgelände geworden zu sein scheint, | |
wird seitens Regierung und Armee versucht, eine freie und kritische | |
Berichterstattung zu unterbinden. Die Regierung Recep Tayyip Erdogans will | |
keineswegs die mediale Deutungshoheit verlieren. Andernfalls zerfällt die | |
geschaffene Narrative wohl wie ein Kartenhaus. | |
22 Sep 2017 | |
## LINKS | |
[1] http://www.dailysabah.com/turkey/2016/09/04/turkeys-domestically-made-armed… | |
[2] http://aa.com.tr/en/turkey/aerial-drones-kill-19-pkk-terrorists-in-se-turke… | |
[3] https://www.thebureauinvestigates.com/stories/2014-10-16/only-4-of-drone-vi… | |
[4] https://www.cfr.org/blog/us-airstrikes-iraq-and-syria-versus-drone-strikes-… | |
## AUTOREN | |
Emran Feroz | |
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