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# taz.de -- Endlich er selbst sein
> Petition der Woche Jannis wurde als Frau geboren und möchte ein Mann
> werden. Seine Krankenkasse will eine spezielle OP dafür nicht übernehmen
Von Robin Köhler
Es ist ein Brief, der die Welt von Jannis Mitte September auf den Kopf
stellt. An einem Samstagvormittag steht er mit dem Schreiben zwischen
seinen Eltern im Wohnzimmer. Seine Hände zittern zu sehr, um den Umschlag
zu öffnen.
Der Inhalt wird darüber entscheiden, ob die letzten zwei Jahre voller
Arztbesuche und Bürokratie zu seinem großen Traum führen oder vergebens
waren. Nachdem Jannis den Brief der Krankenkasse überflogen hat, bricht er
in Tränen aus.
Jannis möchte nicht, dass sein Nachname in der Zeitung steht. Er ist ein
schmächtiger 20-Jähriger mit Lippenpiercing und dunklen Haaren, dessen
Leben von Unsicherheit bestimmt ist. Jede Begegnung mit einem Fremden,
jedes Treffen in der Öffentlichkeit lassen ihn an sich zweifeln: Merken die
Leute was? Komme ich männlich genug rüber?
Als Jannis geboren wurde, hatte er weibliche Geschlechtsorgane. Eine
Tatsache, die ihn im Laufe seines Lebens immer unglücklicher machte. Als
Kind wollte er lieber mit „Jungssachen“ spielen, in Katalogen schaute er
sich Kleidung von Männern an und beim Schuhkauf weigerte er sich,
Mädchenschuhe zu probieren. Mit 15 Jahren sieht er im Fernsehen eine
Dokumentation über Transmenschen. „Das bin ich“, denkt er und glaubt
endlich zu verstehen, was anders an ihm ist.
„Meine Familie konnte sich das schon denken“, erzählt Jannis in einem Café
in Halle. Direkt neben ihm sitzt sein bester Freund Lenny, mit dem er immer
wieder Blicke austauscht, bevor er auf Fragen antwortet. Während Familie
und Freunde Jannis unterstützen, ist das in der Schule anders: In der
elften Klasse nehmen Ausgrenzung und Beschimpfungen so zu, dass seine Noten
schlechter werden und Jannis die Schule abbricht. „Was für die meisten
Menschen ein normales Leben ist, ist für Transgender ein täglicher Kampf“,
sagt er.
Mit 18 beginnt er seine körperliche Verwandlung zum Mann. Er lässt seinen
Namen ändern und fängt an, Testosteron zu nehmen. Er muss psychologische
Gutachten und Chromosomen-Analysen einholen, mit Gerichten sprechen und zum
Facharzt für Hormone gehen. Sein großes Ziel: eine geschlechtsangleichende
Operation. Der Brief an jenem Septembermorgen enthält die Entscheidung der
Krankenkasse, ob er medizinisch für eine Operation infrage kommt.
Seine gesetzliche Versicherung stimmt zu, sie wird die Eingriffe zahlen,
die über 70.000 Euro kosten können. Doch Jannis’ anfängliche Euphorie wäh…
nur kurz, denn die Knappschaft-Krankenkasse stellt Bedingungen: Jannis soll
sich nicht in der von ihm ausgesuchten Potsdamer Sanssouci-Klinik operieren
lassen. Die Privatklinik gehört mit mehr als 800 Frau-zu-Mann-OPs zu den
weltweit erfahrensten. Sie hat eine Methode entwickelt, die Eingriffe
gleichzeitig mit mehreren Teams durchzuführen. Ansonsten benötigt eine
Geschlechtsangleichung mehrere OPs und zieht sich bis zu zwei Jahre hin. In
Potsdam könnte Jannis nach vier Wochen das Krankenhaus verlassen.
Wenn Jannis an die vielen Operationen denkt, steigt Panik in ihm hoch. Mehr
OPs bedeuten mehr Risiken. Angst vor Arztbesuchen hatte er schon immer,
zwischenzeitlich war er wegen Panikattacken in Therapie. Für seinen größten
Wunsch will er nur zu Fachleuten, denen er wirklich vertraut. „Die anderen
Kliniken haben den Eingriff teilweise erst zweimal gemacht“, sagt er.
Sein Freund Lenny will Jannis helfen. Wenige Tage nach der Absage startet
er eine [1][Online-Petition], um die Krankenkasse zum Umdenken zu bewegen.
„Helft mir dabei, meinem Freund einen Start in sein neues Leben zu
ermöglichen“, bittet er im Netz. Fast 8.000 Menschen haben schon
unterschrieben.
Die Sanssouci-Klinik gibt auf Nachfrage an, dass auch gesetzliche Kassen
schon komplett oder in Teilen die Behandlung in ihrer Klinik bezahlt haben.
Die Knappschaft-Krankenkasse zeigt sich davon bisher unbeeindruckt: „Wir
empfehlen Versicherten, sich mit den von uns genannten zugelassenen
Krankenhäusern in Verbindung zu setzen, um eine Vertrauensbasis
aufzubauen.“
Obwohl die Geschlechtsangleichung sein größter Traum ist, kommt das für
Jannis unter diesen Umständen nicht infrage.
30 Sep 2017
## LINKS
[1] http://www.change.org/p/knappschaft-krankenkasse-genehmigen-sie-die-kosten%…
## AUTOREN
Robin Köhler
## TAGS
Petition
Transgender
Geschlechtsangleichung
Transexualität
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