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# taz.de -- Was passiert, wenn der Druck schwindet?
> Kanada In Deutschland wird über das bedingungslose Grundeinkommen noch
> diskutiert. Andere Länder sammeln praktische Erfahrungen: In Kanada gab
> es bereits in den 1970er-Jahren einen ersten Versuch, der nun wieder
> aufgelegt wird
Bild: Internationale Beispiele zeigen: Auch mit Grundeinkommen hören die Leute…
Von Philipp Steffens
Dauphin liegt am nördlichen Rand der Prärie in der kanadischen Provinz
Manitoba. Große Getreidefelder umgeben die Stadt, im Nordosten liegt der
gleichnamige See, im Süden ist der Riding-Mountain-Nationalpark, im Westen
der Duck-Mountain-Landespark. Die Stadt mit ihren rund 8.000 Einwohnern
entstand aus zwei Siedlungen, die sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts um
eine Bahnlinie bildeten und zusammenwuchsen. Bis heute trennen die Gleise
Dauphin in zwei Hälften.
Dauphin hat in der Sozialforschung eine besondere Bedeutung. In den
Siebzigern war hier der Mittelpunkt eines umstrittenen Experiments, denn
die kanadische Regierung testete „Mincome“, ein Grundeinkommen für alle
Bewohner der Stadt und der näheren Umgebung. Der Feldversuch verlief
allerdings nicht reibungslos: Das Budget war zu klein, und ein
Regierungswechsel in der Provinzhauptstadt Winnipeg sorgte für ein
vorzeitiges Ende des Experiments. Eine Analyse der gewonnenen Daten fand
erst Jahrzehnte später statt.
Das Besondere an dem Experiment in Dauphin war, dass zum ersten Mal eine
ganze Stadt und umliegende Gebiete die Möglichkeit bekamen, ein
garantiertes Einkommen zu beziehen. Vorherige Studien in Nordamerika
beobachteten kleinere Gruppen und erfassten nicht, wie sich ein
garantiertes Einkommen auf ein größeres soziales Geflecht auswirkt.
In Dauphin hatte das eine entscheidende Auswirkung: Jugendliche blieben
länger in der Schule und stiegen erst später ins Berufsleben ein. „Mincome
ermöglichte es den Familien, ihre Kinder in der Schule weiter zu
unterstützen. Anstatt die Schule mit 16 Jahren zum Arbeiten zu verlassen,
wie es die meisten Jungs aus Geringverdienerfamilien machten, blieben sie
an der High School, bis sie einen Abschluss bekamen“, sagt Evelyn Forget.
Die Ökonomin ist Professorin an der University of Manitoba in Winnipeg und
veröffentlichte 2011 eine wissenschaftliche Auswertung des Experiments.
Forget fand heraus, dass es bei Schülern einen Multiplikatoreffekt gab. Je
mehr Freunde eines Jugendlichen in der Schule blieben, desto höher war die
Wahrscheinlichkeit, dass er auch bis zum High-School-Abschluss
weitermachte. Ohne die Zusage, dass jeder in Dauphin ein Einkommen bekommt,
wäre dieser Effekt nicht beobachtbar gewesen.
Personen, die bereits staatliche Hilfen empfingen und kein Einkommen
hatten, sahen wenig Änderung in ihren Zuschüssen. Aber wer vorher keinen
Anspruch auf soziale Leistungen hatte, jedoch in prekären Umständen
arbeitete, profitierte von dem Programm. Auch Senioren und Arbeitssuchende
standen besser da.
Forget schaute sich auch die Auswirkungen des Grundeinkommens auf die
Gesundheit der Probanden an. Sie stellte fest, dass weniger Arbeitsunfälle
passierten, weniger Menschen ins Krankenhaus mussten und psychische
Krankheiten zurückgingen.
Die Produktivität blieb während des Tests bei Erwachsenen fast konstant.
Männer, die in den Siebzigern meist die Hauptverdiener einer Familie waren,
gingen nicht signifikant weniger arbeiten. Frauen hingegen blieben länger
in Mutterschutz oder pflegten Verwandte, sie reduzierten also ihre
Arbeitszeit. Das könnte jedoch historisch begründet sein, meint Evelyn
Forget: „In den Siebzigern traten Frauen erstmals zahlreich ins
Arbeitsleben ein. Viele betrachteten ihren Teilzeitjob aber nur als
Zuverdienst für die Familie. Ich glaube, das wäre heute anders.“
Knapp vierzig Jahre nach Mincome wagt Kanada nun einen neuen Versuch,
diesmal in der benachbarten Provinz Ontario. Für den neuen Test wurden
zufällig 4.000 Menschen aus Hamilton, Thunder Bay und Lindsay ausgesucht.
Sie sind zwischen 18 und 64 Jahren alt und verfügen über ein geringes
Einkommen. Einzelne können für drei Jahre bis zu 17.000 kanadische Dollar
jährlich bekommen, Paare bis zu 24.000 Dollar. Jeder selbst verdiente
kanadische Dollar reduziert die staatliche Hilfe um 50 Cents, so wie es
auch bei dem Experiment in Dauphin war. So wird sichergestellt, dass Arbeit
immer lukrativer ist als Nichtstun. Die Finanzierung wurde neu ausgelegt,
mit 150 Millionen Dollar stehen inflationsbereinigt ungefähr dreimal so
viele Mittel zur Verfügung wie für Mincome in den Siebzigern.
Der neue Versuch in Ontario möchte die Ergebnisse aus Dauphin verifizieren.
Die Premierministerin der Provinz, Kathleen Wynne, erklärte, dass das
Experiment herausfinden soll, ob ein Grundeinkommen einen positiven Effekt
für die Empfänger hat und ob „dieser neue Ansatz ihnen die Fähigkeit gibt,
ihr Potenzial zu entfalten“.
9 Sep 2017
## AUTOREN
Philipp Steffens
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