# taz.de -- HerrlicherSchmutz | |
> Trivialkino Der Filmrauschpalast Moabit zeigt monatlich | |
> Wiederentdeckungen jenseits bürgerlicher Qualitätskriterien | |
Bild: Hedonistischer Anarchist: In Mario Bavas „Diabolik“(1968) führt ein … | |
von Thomas Groh | |
Das Bahnhofskino – Sehnsuchtsort einer Cinephilie, der das Gegenwartskino | |
zu sauber, zu verwaltet und zu sehr vom Lebensalltag enthoben ist. In der | |
alten BRD gab es viele solcher zwielichtiger Schuppen, die es den | |
Fahrgästen gestatteten, Wartezeiten mit Zerstreuung zu überbrücken. | |
Der Eintritt war günstig, die Filme liefen hintereinander weg, Kommen und | |
Gehen diktierten nicht die Filme, sondern der Fahrplan. Weshalb man | |
vorrangig erzählerisch wenig ausgefeilte Spektakel zeigte: Western, | |
Eastern, billige Thriller, Soft- und später auch harte Erotik oder | |
reißerische Pseudo-Dokus – oft günstig produzierte Filmkost aus Italien und | |
alles in zusehends runtergerockten Filmkopien. Herrlicher Schmutz – was | |
kümmerte es da schon, wenn man vom ersten Film den Anfang und vom zweiten | |
dann den Schluss nicht sehen konnte. | |
Diese erfrischend ambivalente Kinokultur ist vom Geschichtsverlauf längst | |
verweht. Die Kinos sind abgerissen oder umgewidmet, die Filme dem Vergessen | |
preisgegeben. Umso schöner, dass eine Gruppe idealistischer Cinephiler es | |
sich seit einiger Zeit zur Aufgabe macht, Berlin wieder ein bisschen was | |
vom Glanz dieser Tage zu verleihen: Die Reihe „Wir Kinder vom Bahnhofskino“ | |
verwandelt den sympathisch hemdsärmeligen Filmrauschpalast Moabit einmal | |
monatlich in Berlins erste Adresse für Wiederentdeckungen jenseits | |
bürgerlicher Qualitätskriterien. | |
Ein besonders ausgesuchtes Triple-Feature hat man sich für die nunmehr | |
zehnte Ausgabe zusammengestellt: Mit „Diabolik“ (Mario Bava, 1968), | |
„Argoman – der phantastische Supermann“ (Sergio Grieco, 1967) und | |
„Flashman“ (Ernesto Gastaldi, 1967) erinnert der Abend „Euro Superheroes�… | |
an eine Zeit, als Superheldenfilme noch keine schwerfälligen Opern aus | |
Hollywoods Rechenzentren waren, sondern handgemachtes Trivialkino aus | |
Italien – kunterbunt, von einer flokatihaften 60s-Fluffiness, mit schönen | |
Soundtracks, augenzwinkerndem Eskapismus und Männern in enganliegenden | |
Catsuits, die mithilfe von Trampolinen, Drähten und selbst gebastelten | |
Spezialeffekten Atemberaubendes vollzogen. | |
Wobei sich die Filme trotz Pop-Art-Overkill der Realität der späten 60er | |
nicht ganz verschließen. Bavas „Diabolik“ etwa basiert auf einer in Italien | |
populären, an den Superverbrecher Fantômas erinnernde Comicfigur, die es | |
sich im Film als hedonistischer Anarchist zur sportlichen Aufgabe macht, | |
Interpol an der Nase herumzuführen und zum Vergnügen des Publikums mit | |
immer neuen Tricks Europas Goldvorräte zu plündern – eine Art snobistischer | |
Robin Hood, der das mit dem „den Armen geben“ jedoch lieber sein lässt , um | |
stattdessen mit seiner Freundin (Marissa Mell) in einem Bett aus | |
Dollarnoten Liebe zu machen. | |
Ein schönes Zeitdokument von 1968, als man Autoritäten mit gehöriger | |
Skepsis begegnete und Hedonismus als subversive Strategie galt – so gibt es | |
mitten in „Diabolik“ eine hinreißende, von Maestro Morricone psychedelisch | |
unterlegte Kiffkeller-Szene, die in eine Razzia mündet. Vielleicht ist der | |
Film aber auch einer der letzten aus einer Phase politischer Zuspitzungen | |
in Europa, in denen sich eine Art Terrorist noch naiv als | |
sympathisch-verschmitzter Popheld imaginieren ließ. 1968 waren RAF und | |
Rote Brigaden eben noch nicht abzusehen. | |
Nicht zuletzt legte Bava, ein Meister ökonomischen Inszenierens und von | |
Haus aus Kameramann, ein Lehrstück dafür hin, wie sich aus relativ | |
bescheidenen Mitteln maximaler Effekt ziehen lässt: „Diabolik“ erstrahlt in | |
allen Farben des Regenbogens, feuert ein wunderbares | |
60s-Interieur-Feuerwerk ab und besticht neben seiner rasanten, satirisch | |
zugespitzten Geschichte vor allem durch seine zahlreichen optischen | |
Spielereien. All dies Gründe dafür, warum Bava heute als „Genre-Auteur“ | |
gilt, vor dem sich auch Kinomeister wie Tim Burton und Martin Scorsese in | |
Ehrfurcht verneigen. | |
Kurz: eine Wiederentdeckung, die gleichermaßen satt und hungrig macht auf | |
mehr. Meiden Sie wenigstens einmal die sterilen Multiplexe und laben Sie | |
sich eine Nacht lang an den verbotenen Früchten des Bahnhofskinos! | |
Bahnhofskino X – Euro Superheroes, Teil 1: Filmrauschpalast Moabit, Lehrter | |
Str. 35, 8. 9., 22 Uhr | |
7 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Thomas Groh | |
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