# taz.de -- Kämpferisch mit Kamera | |
> NachkriegsfilmDie Oldenburgerin Esther Gronenborn geht in ihrem Film „Ich | |
> werde nicht schweigen“ der Vergangenheitder Psychiatrie in Wehnen auf den | |
> Grund | |
Bild: Hinter verschlossenen Türen: Martin Wuttke und Nadja Uhl in „Ich werde… | |
von Morticia Zschiesche | |
Oldenburg im Jahr 1948 – Deutschland hat sich aus seinen Kriegstrümmern | |
aufgerappelt und seine unrühmliche Vergangenheit zur Seite geschoben. Die | |
Straßen sind ordentlich gefegt, der Swing klingt beschwingt über den | |
Bürgersteig, auf dem Kinder wieder Fußball spielen und die Menschen emsig | |
ihrem Alltag nachgehen. | |
So beginnt die ZDF/arte-Produktion „Ich werde nicht schweigen“ von Esther | |
Gronenborn, die im Sommer auf dem Filmfest Emden-Norderney Premiere | |
feierte. Man ahnt schon, dass dieses vermeintliche Nachkriegsidyll sehr | |
bald umschlagen wird. Wenn sich die Kamera hinter diese sauberen Fassaden | |
begibt und die Heldin, die junge Kriegswitwe Margarethe Oelkers (Nadja | |
Uhl), dabei begleitet, wie sie versucht Unrecht öffentlich zu machen und | |
Schuldige zu stellen. | |
Der Film ist angelehnt an Erlebnisse der Großmutter von Esther Gronenborn. | |
Diese hat die Regisseurin mit ihrem Co-Autor Sönke Lars Neuwöhner zu einem | |
handwerklich soliden Nachkriegsdrama ausgearbeitet. Und obwohl der Film | |
fast ausschließlich in Tschechien gedreht wurde, führt er den Zuschauer in | |
die Geburtsstadt von Gronenborn, nach Oldenburg. | |
Erzählt werden zwei Geschichten: Zum einen die der Heil- und Pflegeanstalt | |
Wehnen, die im Film wie in Realität eine erst 1996 aufgedeckte | |
Euthanasie-Vergangenheit während des Dritten Reichs aufweist. Im Kampf um | |
ihre Witwenrente gerät die verzweifelte Mutter zweier Kinder durch einen | |
Komplott hinter die düsteren Tore dieser Einrichtung, in der auch ihr Mann | |
tätig war. Gebrochen und gedemütigt beginnt mit Hilfe der Tochter eines | |
anderen Opfers ihr Kampf um Rehabilitation, bis sie auf noch viel größeres | |
Unrecht stößt, das im Krieg durch den autoritären Leiter der Klinik, Dr. | |
Ahrens (Rudolf Kowalski), und seinen Arzt Dr. Gruner (Marek Harloff) | |
verursacht wurde. | |
Zum anderen ist es die ebenso bewegende Geschichte über perfide Macht- und | |
Diffamierungsmechanismen der traumatisierten Deutschen der Nachkriegszeit. | |
Dieser Zwangsgemeinschaft ist das Vertrauen verloren gegangen. Misstrauen, | |
Neid, Egoismus und Vorurteile dominieren. Die einen sind erpressbar und | |
hilfsbedürftig, die anderen machen daraus ein Geschäft und kontrollieren | |
ihre Mitmenschen – eine Blockwart-Mentalität, die noch ganz den autoritären | |
Strukturen des Unrechtregimes und seiner Herrschenden unterworfen ist. | |
Wie leicht sich dabei Personen ausgrenzen ließen, die auch nur in Ansätzen | |
als „verrückt“ erklärt wurden, kann man erahnen. Eine fast zärtliche | |
Annäherung an Insassen der Heil- und Pflegeanstalt findet sich im Film in | |
der Figur der Erna, die überzeugend von Eleonore Weisgerber verkörpert | |
wird. Dieser zweiten Geschichte hätte es gut getan, sich nicht auf die | |
üblichen Konstellationen des Genres zu beschränken, sondern die | |
spannenderen Nuancen in der Figurenzeichnung auszubauen. So blicken wir | |
hier wie so oft in Aufarbeitungsfilmen im Fernsehen auf die klare Zuordnung | |
von Opfer-Täter, gutem Deutschen-bösem Nazi oder Widerständler-Mitläufer, | |
die dem Zuschauenden natürlich auch ein Stück weit die filmische Rezeption | |
von Krieg erleichtern. | |
Interessanter wird es aber erst, wenn Ambivalenzen in den Figuren | |
aufflackern wie beim vermeintlich hilfsbereiten Nachbarn Windhorst, der | |
sich als Windhund entpuppt und von Martin Wuttke brillant in Szene gesetzt | |
wird, oder der Chefarztehefrau Ahrens (Katja Flint), die zwischen Gut und | |
Böse changiert. | |
Was es heißt, gesellschaftliche Konflikte ohne Personenschemata zu | |
erzählen, hat die Regisseurin Esther Gronenborn schon 2000 in ihrem | |
preisgekrönten Regie-Debüt alaska.de bewiesen, der damals den Deutschen | |
Filmpreis für die beste Regie gewann. Angesichts virulenter | |
Jugendkriminalität in den Vorstädten bemüht sich der Film mit einer | |
beeindruckenden Bildsprache und überzeugender (Jung-)Schauspielerführung | |
erfolgreich um eine Erklärung der Gewaltspirale, ohne mit erhobenem | |
Zeigefinger zu agieren – eine Binnensicht, die bis heute hochaktuell ist. | |
Umso mehr freut es, dass Esther Gronenborn, die 1968 geboren wurde, bis | |
heute im Geschäft geblieben ist und aktuell ihr 20-jähriges Jubiläum als | |
Filmschaffende für Kino- und Fernsehproduktionen feiert. | |
Dass dieser Erfolg nicht selbstverständlich ist, zeigt der | |
Diversitätsbericht 2015 des Bundesverbands Regie: Nur 15 Prozent der | |
Kinofilme entstanden in diesem Jahr unter weiblicher Regie und nur zehn | |
Prozent der Fördergelder gingen an Frauen, obwohl fast die Hälfte der | |
Regie-Hochschulabschlüsse von Frauen gemacht werden – ein Bias, der in der | |
Öffentlichkeit durch die Wahrnehmung einzelner erfolgreicher Regisseurinnen | |
wie Maren Ade kaum wahrgenommen wird. | |
Esther Gronenborn, die im Verbund „Pro Quote Regie“ mit anderen weiblichen | |
Regieschaffenden organisiert ist, gibt sich im Leben wie in ihren Filmen | |
kämpferisch. Und auch in ihrem neuesten Film demonstriert sie mit ihrer | |
Heldin in vielen Momenten, wie sehr wir eine weibliche Sicht in Film- wie | |
in Fernsehproduktionen benötigen. | |
Ausstrahlung von „Ich werde nicht schweigen“, 8. 9. 2017 , 20.15 Uhr auf | |
arte | |
7 Sep 2017 | |
## AUTOREN | |
Morticia Zschiesche | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |