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# taz.de -- Sind Tiere Diven?
> Die Industriestadt Turin war Italiens erste Filmmetropole. Das großartige
> Filmmuseum dort beschäftigt sich zurzeit mit Tieren, die im Film von
> Anfang an eine Rolle spielten
Bild: Tiere auch hinter der Kamera: Szene aus „India – Matri Bhum“ von Ro…
Von Renata Stih
Es ist ein herrlichen Sommertag an der US-Atlantikküste, Menschen sind am
Strand, Kinder im Boot, da ist eine Haiflosse zu sehen, Panik entsteht, das
Boot mit den Kindern kentert und noch ein Boot mit einem Mann, dann sieht
man das Ungeheuer verschwommen im Wasser, der Mann klammert sich ans Boot,
wird in die Tiefe gezogen, ein Kind schaut dem Grauen zu und wir Zuschauer
dem Kind. Und sind schon gefangen von Stephen Spielbergs Horrorferienfilm
„Der weiße Hai“ („Jaws“, 1975), der Teil der Ausstellung „Bestiale �…
im Film“ ist, derzeit im Museo Nazionale del Cinema in Turin zu sehen.
Die Ausstellung untersucht die Bedeutung der tierischen Darsteller in der
Geschichte des Kinos. Schnell wird deutlich: Tiere spielten von Anfang an
Hauptrollen, dabei waren und sind sie am Erfolg der Produktion genauso
beteiligt wie die berühmtesten Stars. Hunde wie Rin Tin Tin und Lassie,
sprechende Pferde oder vermenschlichte Enten im Animationsfilm sind
Bestandteil der filmischen Erinnerungskultur, nicht zuletzt weil sie Kinder
und das Kind im Erwachsenen gleichermaßen ansprechen.
Quer durch alle Genres sind Tiere zu beobachten. Eine Frage, die sich dabei
aufdrängt, ob sie eigentlich schauspielern können, versucht die Ausstellung
in zahlreichen Interviews und Dokumentationen auf die Spur zu kommen.
Weiter möchte sie wissen, wer sie dressiert? Am Set betreut? Wie die Regie
mit ihnen umgeht? Sind tierische Schauspieler womöglich echte Diven?
Und dann sind da die Realien: der künstliche, mechanische Kopf des „Weißen
Hais“ (1975), hier zum Greifen nah, während man im Videoclip daneben einige
der furchterregendsten Filmszenen miterlebt. Auch die zerfetzte Jacke von
Hauptdarsteller Mitch aus Hitchcocks „Die Vögel“ („The Birds“, 1963) i…
ausgestellt, daneben ein Foto von Tippi Hedren und Rod Taylor mit
Vogelattrappen am Set.
Der im Kalten Krieg entstandene Science-Fiction-Film „Tarantula“ (1955) von
Jack Arnold zeigt Clint Eastwood als Piloten eines Napalmbombers, mit dem
die Riesenspinne doch noch bezwungen wird; Ronald Reagan posiert mit dem
populären Affen Bonzo (1951), während Marilyn Monroe in „Nicht
gesellschaftsfähig“ („The Misfits“, 1961) für das Überleben der Wildpf…
kämpft. Legendär ist die Titelsequenz von Saul Bass in „On the Wild Side“
(1962), wo die Kamera einer schwarzen Katze nachspürt, Sinnbild für das
wilde Leben der Hauptfigur (Jane Fonda). In einer abgeschirmten Sektion
befasst man sich sogar mit Tieren in Erotikfilmen.
Das Filmmuseum Turin residiert in der extravaganten Architektur der Mole
Antonelliana, benannt nach ihrem Architekten Alessandro Antonelli
(1798–1888). Der hatte den Ziegelbau, der mit seinen knapp 170 Meter hohen
Kuppel selbst den Kölner Dom überragt, im Auftrag der jüdischen Gemeinde
als neue Synagoge in der ersten Hauptstadt des wiedervereinigten
Königreichs Italien konzipiert. Doch die Kosten überstiegen die
Möglichkeiten der Gemeinde und so übernahm die Stadt Turin das Gebäude.
Sein stützenfreier, rund 80 Meter hoher Innenraum ist ein Erlebnis
ohnegleichen, geradezu wie gemacht für seine jetzige Verwendung als
Filmmuseum. Besonders faszinierend erlebt man dies in einer der 63 roten
Liegen, die in dem gigantischen Innenraum wie Sitzreihen im Kino angeordnet
sind. Von ihnen aus kann man auf zwei großen schwebenden Videoscreens die
Clips der präzise ausgewählten Filmszenen bewundern.
Entlang der Kuppel-Innenwände spult sich eine schmale Rampe hoch, wie eine
ausgezogene Filmrolle, auf der man sich spiralenförmig nach oben bewegt,
während man die Ausstellungsobjekte im Close-up studiert und gleichzeitig
die Totale des Raums erlebt. Man sollte sich Zeit nehmen für den Aufstieg
in diesen Parnass des Films, wobei der Facettenreichtum des
Ausstellungsmaterials beim Abstieg quasi als Rückblende noch einmal zu
erleben ist.
Die Vielfalt der multimedialen Installation ist eine kuratorische
Glanzleistung. Konzipiert wurde „Bestiale“ von Davide Ferrario and Donata
Pesenti Campagnoni, die aus den reichhaltigen Sammlungen des Turiner
Filmmuseums und Institutionen wie der Academy of Motion Pictures Arts and
Sciences in Los Angeles oder der Cinémathèque française schöpfen konnte.
Auch der Palm Dog Award ist mit von der Partie, der Preis, den die
Internationalen Filmfestspiele von Cannes seit 2001 jährlich dem besten
Hundedarsteller verleihen.
Das Museo Nazionale del Cinema ist bekannt für solche Wechselausstellungen.
2014 hatte es in „Best Actress – Oscars“ die seit 1929 mit dem Oscar
ausgezeichneten Schauspielerinnen und ihre Filme vorgestellt. Die Schau
entstand in Zusammenarbeit mit der Deutschen Kinemathek und war 2015 auch
im Berliner Filmmuseum zu erleben. Überhaupt ist das Museum ein Mekka für
Filmsüchtige, denn die wertvollen Sammlungen und historischen Archive mit
Mediathek und Bibliothek, mit über 1.000.000 Fotos, Filmen, Filmplakaten,
Artefakten, Filmskripten, Abspielgeräten, Kameras, sind in ihrer Fülle und
Vielschichtigkeit einzigartig und in der Dauerausstellung von dem Schweizer
Bühnenbildner François Confino im Dialog mit dem historischen Bauwerk
grandios inszeniert.
Im Mittelpunkt steht die ikonische Figur der „Cabiria“ aus dem
gleichnamigen Stummfilm von Giovanni Pastrone (1914), dessen Drehbuch
Gabriele d’Annunzio mitverfasste. Der Film, dessen Einfluss auf Fritz Langs
„Metropolis“ (1927) überdeutlich ist, entstand in Turin, denn die
Industriestadt war Italiens erste Filmmetropole, bevor Mussolini die
Cinecittà-Filmstudios in Rom einweihte.
„Bestiale“,bis 8. Januar, Museo Nazionale del Cinema, Turin
17 Oct 2017
## AUTOREN
Renata Stih
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