| # taz.de -- Filmstart „Ana, mon amour“: Wo Gefühle sich verkanten | |
| > Realistische Bilder machen noch keine Realität: Der Spielfilm „Ana, mon | |
| > amour“ von Cãlin Peter Netzer verquickt Liebe und Psychose. | |
| Bild: Mircea Postelnicu und Diana Cavallioti in „Ana, mon amour“ | |
| Toma begegnet beim Literaturstudium Ana. Eine traumhafte Frau. Der | |
| rumänische Regisseur Cãlin Peter Netzer hat seinen neuen Film nach ihr | |
| benannt: „Ana, mon amour“. Einmal sitzt Ana mit Toma in der Vorlesung, es | |
| geht um Surrealismus. Ein namenloser Dozent spricht und theoretisiert. Ana | |
| blickt ganz entrückt irgendwo an die Decke, während Toma eifrig mitschreibt | |
| und immer wieder einer attraktiven Mitstudentin Blicke zuwirft. Diese | |
| Unbekannte wird danach nie wieder im Film auftauchen. | |
| Später sitzt der gealterte Toma nach dem Sex neben Ana auf dem Bett. Im | |
| Hintergrund ist ihr Rücken zu sehen, während sie sich erhebt und anzieht. | |
| Ihre langen dunklen Locken sind verschwunden und einer strengen Blondierung | |
| gewichen. Es ist, als wäre sie nicht mehr dieselbe, fast eine Fremde. Und | |
| das wird Toma bis in seine Träume beschäftigen. | |
| Das alles geschieht in einem Film aus Rumänien – dem Land, wo das | |
| Träumerische in den realitätsnahen Festivalerfolgen der vergangenen Jahre | |
| kaum eine Rolle spielte. Die rumänischen Schriftsteller Leonid Dimov und | |
| Dumitru Țepeneag schrieben einmal: „Ein surrealistischer Maler beschreibt | |
| seinen Traum – ganz im Gegensatz zum surrealistischen Dichter. Statt Sklave | |
| seiner Halluzinationen zu werden, nutzt er die Regeln des Traums, um ein | |
| luzides Kunstwerk zu schaffen.“ | |
| Basierend auf dem bewussten Umgang mit träumerischen Regeln, gründeten die | |
| beiden die Gruppe der Oneiristen, die sich im Rumänien der 1960er Jahre | |
| gegen die Politik auflehnten und dabei auf den französischen Surrealismus | |
| bezogen. Ihnen schlossen sich Leute an, die versuchten, gegen einen | |
| dominanten Realismus in der Literatur ihrer Zeit das Träumerische auf neue | |
| Art und Weise in realistische Weltentwürfen einzunisten. Cãlin Peter Netzer | |
| führt dieses Spiel mit deutlichem Bezug zum gegenwärtigen rumänischen | |
| Festivalkino nun fort, dessen Popularität er mit begründet hat. | |
| Netzer konstruiert eine bodennahe Geschichte, deren Ebenen ganz unmerklich | |
| durcheinandergeraten. Schnell tauchen Vermischungen auf. Das Politische im | |
| Privaten, das Heilige im Weltlichen, das Kapitalistische im | |
| Psychologischen, das Wahnsinnige im Alltäglichen. Die Familien der | |
| Liebenden werden ganz archetypisch betrachtet: Etwa Tomas Vater, der seine | |
| Frau schlägt, weil sie zu Kriegszeiten einen Deutschen liebte. Er ist ein | |
| Rassist und religiöser Fanatiker, durch und durch totalitär, der mit seiner | |
| Ehe eigentlich lange abgeschlossen hat und seinem Sohn Kreuze an die | |
| Zimmerwände hängt. | |
| Ana dagegen wuchs bei ihrem Stiefvater auf und schlief lange mit ihm im | |
| Bett. Seit ihrer Jugend leidet sie unter Angstzuständen, bekommt | |
| Panikanfälle in öffentlichen Räumen. Als sie die Medikamente ins Delirium | |
| führen, bekommt sie Placebos verschrieben und soll die Dosis immer weiter | |
| erhöhen. Dann zerfließen immer weiter die Zeitebenen, und Schnitte | |
| überspringen bald unkommentiert Jahre. Verschollene tauchen auf. Und | |
| Angstzustände ergreifen irgendwann auch Toma, in Form von Eifersucht. | |
| Oft rüttelt der Film an der Integrität von Liebe selbst. Bei einer frühen | |
| Begegnung des Paares erotisiert der Film mit einer fast unangenehm | |
| aufdringlichen Kamera Anas Psychose. Toma wird vom tröstenden Freund zum | |
| Liebhaber; diese Vermischung wird sich niemals wieder auflösen. Die Gefühle | |
| der beiden verkanten sich über die Jahre in Analysen, Traumdeutungen und | |
| verqueren Rollenbildern, die Ana und Toma durch ihre Elternhäuser | |
| verinnerlicht haben. | |
| ## Ein Durcheinander | |
| Nachdem Toma beim ersten Besuch in Anas Zuhause den Pyjama ihres | |
| sonderbaren Ziehvaters tragen musste, meint er: „Kleider machen keine | |
| Leute“. Genau wie realistische Bilder eben noch keine Realität machen. | |
| Verbunden sind sie aber. Einiges wird auf so eine Art einfach eingeworfen, | |
| kreist um die Figuren und ihre Beziehungen. | |
| Ein Weichenmoment ist, wenn Toma bei seinem Psychologen zur Toilette in den | |
| Keller geht und gleich in der nächsten Szene ein Toilettengang zum | |
| dramatischen Exzess wird. Nur der Drang verknüpft als Assoziation noch die | |
| Szenen, die Geschichte beginnt abzuflachen. Ana liegt im Sanitätszelt und | |
| kann kaum stehen, von draußen dringt bedeutungsschwanger eine Predigt durch | |
| die dünnen Kunststoffplanen. Dann wird sie, halb im Delirium, an der | |
| Menschenmenge vorbeigeführt, die einigen vortragenden Geistlichen vor der | |
| Kirche huldigen will. Eine kollektive Ehrerbietung und ein Moment der | |
| Massenpanik. | |
| Da gehen die Stimmungen durcheinander. Wie wenn Ana nach einem harten | |
| Zusammenbruch im Krankenhaus sitzt und die Ärzte ihre Mandel-Fehlbildung | |
| plötzlich ganz faszinierend finden. Grelles Licht leuchtet in ihrem Rachen, | |
| und Toma sieht von Weitem durch ein kreisrundes Guckloch, wie sie lachen | |
| muss. Irgendwie ist der Film entrückt, auch in seiner Theorie-Obsession. | |
| „Wir sind aus der Zeit“, meint der Psychologe gegen Ende. Tomas Rücken ist | |
| schweißnass. | |
| 24 Aug 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Dennis Vetter | |
| ## TAGS | |
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