# taz.de -- Mission Gleichberechtigung | |
> FILM „Who is afraid of ideology? Pt I“ von Marwa Arsanios handelt von | |
> kurdischen Frauen im Widerstand – in Kreuzberg diskutierte man darüber | |
Wer hat Angst vor Ideologie? Das war die Frage, die das Kollektiv Super | |
Filme/Warehouse am Donnerstagabend beschäftigte. Im Kreuzberg Pavillon lud | |
man zum Screening von Marwa Arsanios’ Dokumentarfilm „Who is afraid of | |
ideology? Part I“. | |
Die Künstlerin beleuchtet darin die Selbstverwaltung kurdischer Frauen im | |
Widerstand. Vor allem in Rojava, jenem von kurdischen Organisationen | |
gehaltenen Landstrich in Nordsyrien, kämpfen die Fraueneinheiten der YPJ | |
(Yekîneyên Parastina Jin) militärisch für feministisch-demokratische Ziele. | |
## Ist es okay, eine Bergziege zu töten? | |
Der Dokumentarfilm „Who is afraid of ideology“ der 1978 geborenen | |
Künstlerin Marwa Arsanios zeichnet ein Tableau der Organisation der | |
Kämpferinnen im Krieg. Wie benutzt man eine Axt? Wie schützt man sich vor | |
dem IS? Ist es okay, eine Bergziege zu töten? Im Sinne der Ideologie der | |
kurdischen Guerilla werden diese Fragen politisch aufgeladen – bis vor | |
einem Bergpanorama Sätze von Kämpferinnen nachhallen wie: | |
„Selbstverteidigung kommt von der Natur selbst. Es ist etwas Organisches | |
und Normales – jede Existenz, egal ob menschlich oder nicht, stützt sich | |
darauf, sich selbst zu beschützen“. Im Kampf werden Berge und Blätter zu | |
Beschützern, zu Freunden auf einer gemeinsamen Mission, die | |
Gleichberechtigung heißt. | |
„Who is afraid of ideology?“ zieht seine Kraft nicht nur aus dem | |
Inbezugsetzen von Ökologie und Politik, sondern auch aus seiner Ästhetik. | |
Das Besondere an diesem Film ist, dass er gänzlich ohne Bilder heroisch | |
kämpfender Frauen auskommt. Arsanios setzt statt Gewalt überwiegend eine | |
schneebedeckte Gebirgslandschaft in Szene. Gefilmt worden sind diese | |
Aufnahmen im von der Künstlerin selbst nur als „Kurdistan“ bezeichnetes | |
Gebiet Anfang 2017, vermutlich in Nordsyrien. Ein karges Territorium, dem | |
eine fast romantische Friedlichkeit innewohnt. „It’s a very hopeful place�… | |
wird die Filmemacherin später im Publikumsgespräch sagen. | |
Marwa Arsanios’ hybride Werke aus Film, Installation und Performance waren | |
in Einzelausstellungen und Screenings vielerorts zu sehen – unter anderem | |
in New York, Rotterdam Lissabon und auf der Biennale in Venedig, wo die | |
gebürtige Amerikanerin 2012 den „Future Generation Art Prize“ gewann. 2009 | |
gründete sie zusammen mit ihrer Cousine in Beirut das Kollektiv „98Weeks“, | |
bei dem man 98 Wochen am Stück zu einem unterrepräsentierten Themenkomplex | |
recherchiert. Die Gruppe versteht sich als interdisziplinäres | |
Kunstkollektiv mit feministischer Grundhaltung. In diesem Rahmen entstand | |
die Idee zu einem als Onlineprojekt konzipierten Dokumentarfilm über | |
kurdische Widerstandskämpferinnen. | |
In ihrem knapp 22-minütigen Film inszeniert sich die Künstlerin in Bild und | |
Ton vor überstilisierten Naturaufnahmen als Moderatorin verschiedener | |
Stimmen. Auf der Tonspur hört man sie, wie sie aus Tagebüchern vorliest und | |
Interviews mit Kämpferinnen vor Ort führt. Auch diese nüchterne Distanz ist | |
es, die dabei einen Ideologiebegriff erwachsen lässt, der einem nicht so | |
starr und festgelegt erscheint. | |
## Wer hat schon Angstvor Demokratie? | |
Bei der Verbreitung ihrer Ideologie und der Akquirierung neuer Mitglieder | |
scheut die PKK-nahe kurdische Widerstandsbewegung – anders als andere | |
Milizen – weder die Kamera noch öffentliche Auftritte. Einige seiner | |
Mitglieder sind im Film zu sehen, aber nie kongruent zu hören. Dieses Motiv | |
des Stummschaltens bricht die Erzählung immer wieder auf. Man kann gar | |
nicht anders, als das Nichtgehörtwerden und seine Maschinerie dahinter | |
feministisch zu deuten. | |
Was die Kämpferinnen fordern, ist ein Ende der Unterdrückung der Frau, eine | |
Art staatenlose Demokratie. Und wer hat schon Angst vor Demokratie? An | |
diesem Abend entwickelt sich ein außergewöhnlicher Diskurs, der ein | |
Bewusstsein schafft für Feminismus, Demokratie, Ökologie – ohne zu | |
romantisieren oder zu leugnen, dass es sich beim „Kurdish autonomous | |
women’s movement“ um eine bewaffnete Guerilla handelt. | |
So endet der Film mit dem Still eines improvisierten Steinfriedhofs | |
inmitten der Gebirgslandschaft, der die Zukunft einiger Frauen voraussieht | |
– denn zwölf Kämpferinnen kamen im April 2017 bei türkischen Luftangriffen | |
im Nordosten von Syrien ums Leben. Nora Voit | |
Der Film im Netz: | |
walkerart.org/magazine/guerrilla-landscapes-marwa-arsanioss-who-is-afraid-o | |
f-ideology-part-i | |
5 Aug 2017 | |
## AUTOREN | |
Nora Voit | |
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