# taz.de -- 15. Juli in Nürnberg: Alle Welt gegen die Türken | |
> Auch in Bayern wurde der Jahrestag des Putschversuchs gefeiert. Mit | |
> Märtyrer-Geschichten, Koranlesungen und karierten Jacketts. | |
Bild: Fernsehturm von Nürnberg | |
In den Straßen von Nürnberg laufen am Samstagnachmittag vereinzelt | |
Personen, die sich Türkeifahnen wie ein Cape um den Hals gebunden haben. | |
Hupen von Autokorsos ertönen in der Stadt. Auf den Stühlen im Konferenzsaal | |
des Nürnberger Maritim Hotels liegen für die Besucher schon rotweiße | |
Papierfähnchen zum Schwenken bereit. | |
Denn ein Jahr nach dem gescheiterten Putschversuch wird der 15. Juli nicht | |
nur in der Türkei als “Tag der Demokratie und Nationalen Einheit“ gefeiert. | |
Auch in diversen europäischen Städten wie Nürnberg finden | |
Gedenkveranstaltungen statt. | |
Die Konferenz im Rahmen des „Märtyrer-Gedenk-Programms“ im Maritim-Hotel | |
wurde vom Türkischen Konsulat Nürnberg und der UETD (Union of European | |
Turkish Democrats) organisiert. Auch Mitglieder von Institutionen wie dem | |
Verein der Selbstständigen Geschäftsmänner (MÜSIAD), dem Türkischen | |
Islam-Dachverband DITIB und der Türkischen Föderation Deutschland sind vor | |
Ort. | |
Vor der Konferenz wurden die Gäste in „VIP“-Limousinen zum Hotel gebracht. | |
Rund um die Auto wurden Slogans wie „Gott ist groß, die Türken kommen!“ | |
gerufen. | |
## „Veteranen“ als Ehrengäste | |
Zu den Rednern des Abends zählt unter anderen der türkische Konsul in | |
Nürnberg, Yavuz Kül. Als Ehrengäste sind die Angehörigen des am 15. Juli | |
2016 verstorbenen Serhat Önder, einige verletzte „Veteranen“ jener Nacht | |
und der AKP-Abgeordnete aus Izmir, Hamza Dağ, geladen. Zu Beginn der | |
Veranstaltung singt man die Nationalhymne, am Ende wird aus dem Koran | |
gelesen. Die Reden zeichnen vor allem das Bild der „mächtigen Türkei“. | |
Präsident Erdoğans Name fällt häufig mit dem Zusatz „Held“, oder gar | |
„Führer des Jahrhunderts“. Für die Putschisten dagegen verwendet man | |
Synonyme wie „Verräter“ und „Feiglinge“. | |
## „Gemeinde“ wird zu „Terrororganisation“ | |
13 der 15 Jahre Regierungszeit der AKP waren von engen Beziehung zu | |
Anhängern der Gülenbewegung geprägt. Weil die beiden Seiten sich jedoch bei | |
der Machtverteilung in staatlichen Institutionen nicht einigen konnten, | |
wurde diese Beziehung immer angespannter. Nachdem Ende 2013 aus Gülen-nahen | |
Kreisen dann Beweismittel für Korruptionsfälle innerhalb der AKP ans | |
Tageslicht kamen, wurden die Gülenisten endgültig zum Feind erklärt. | |
Statt „Gülen-Gemeinde“ sagte man fortan „Fetullah Gülen Terrororganisat… | |
(abgekürzt FETÖ). Ihren letzten Trumpf haben die Mitglieder dieser | |
Gemeinde, die auch vor allem als Offiziere in der Armee organisiert waren, | |
im vergangenen Jahr mit dem Putschversuch gezogen. Der Putsch wurde | |
verhindert. Doch die Folgen wiegen schwer. | |
## Hexenjagd gegen Kritiker | |
249 der Bürger*innen, die in der Putschnacht von Erdoğan zur Verteidigung | |
auf die Straßen gerufen wurden, verloren ihr Leben – indem sie von Panzern | |
überrollt oder von Soldaten erschossen wurden. 2393 wurden verletzt. Gleich | |
im Anschluss an diese Nacht begannen staatliche Operationen nicht nur | |
innerhalb der Armee, sondern in allen staatlichen Institutionen. | |
Die AKP-Regierung sah eine Chance in diesem Unglück und startete in diesem | |
Zuge eine Hexenjagd gegen alle oppositionellen Kreise im Land. Tausende | |
Menschen wurden festgenommen. Beamten, die nichts mit dem Putschversuch zu | |
tun hatten, verloren ihre Jobs. 160 Journalist*innen landeten hinter | |
Gittern. | |
Die türkische Opposition hört nicht auf, Fragen zum Hergang des | |
Putschversuchs zu stellen. Die Diskussionen darum, warum der Putschversuch | |
nicht schon früher verhindert wurde, da scheinbar im Vorfeld Einzelheiten | |
diesem Vorhaben bekannt waren, hören nicht auf. Auf der einen Seite geht | |
die Regierung gegen diese Kritiker*innen vor, auf der anderen Seite | |
schreibt sie an ihrem [1][Heldenepos] weiter. | |
## Neid auf die Türkei | |
„Dieser Putsch wurde von Allah verhindert“, lautet einer der Slogans, die | |
am Samstag von der Bühne in Nürnberg ertönen. Überhaupt folgt die Rhetorik | |
des Abends eindeutig dem Sprachstil Erdoğans. Hinter dem Putschversuch, so | |
heißt es weiter, steckten auch Europa, die USA und imperialistische Mächte. | |
Zu den Diskussionsthemen gehören indessen auch die temporären | |
AKP-Auftrittsverbote in Deutschland. Abgeordneter Dağ erklärt: „Europa | |
beneidet uns. Dieses Verbot ist nur die Fortführung des seit vielen Jahren | |
gegen die Türkei geführten Kampfes.“ Auffällig auch, dass das von Erdoğan | |
häufig getragene karierte Jackett an diesem Abend sehr beliebt unter den | |
Besuchern ist. | |
Nachdem zum Ende noch ein Film gezeigt wird, der den am 15. Juli 2016 | |
verstorbenen Bürger*innen gedenkt, ziehen die Teilnehmer*innen weiter vor | |
das Türkische Konsulat, wo um 22 Uhr die “Demokratie-Wache“ beginnt. Der | |
gesamte Tag folgt der Glorifizierung der “gegen die F-16 Jets kämpfenden | |
Türken“. Die in Europa errichteten Bühnen unterschieden sich somit kaum von | |
den Feierlichkeiten am Samstagabend in der Türkei. | |
17 Jul 2017 | |
## LINKS | |
[1] https://gazete.taz.de/article/?article=!5430863 | |
## AUTOREN | |
Erk Acarer | |
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