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# taz.de -- Der Labelname Amiga ist ein Synonym für Ostmusik. In der DDR war e…
Bild: Jörg Stempel, hier in seiner Wohnung, hat früher selbst aufgelegt. „I…
Interview Gunnar Leue Fotos Sebastian Wels
taz: Amiga ist 70 Jahre geworden. Selbst für viele Musikinteressierte
dürfte jedoch gelten: Amiga, das unbekannte Label aus Berlin. Schmerzt Sie
das?
Jörg Stempel: Wer im Westen sozialisiert oder auch einfach nicht mehr ganz
jung ist, kann mit dem Namen Amiga heute sicher wenig anfangen. Natürlich
gibt es auch unter den Westdeutschen Musikfreaks, die genau wissen, welches
Repertoire bei Amiga erschienen ist. In der Regel ist der Name einer
Plattenfirma für Konsumenten jedoch völlig uninteressant.
Na ja, wer in der DDR aufwuchs, für den ist Amiga quasi ein Synonym für
Ostschallplatte, wenn nicht für Ostmusik. Das (Ost-)Magazin Super Illu
verortet bei Amiga gar das musikalische Vermächtnis der DDR.
Das ist nicht ganz falsch, weil Amiga das komplette Programm der
Unterhaltungsmusik veröffentlichte: vom Kinderlied über Schlager und Jazz
bis zum Rock. Damit sind die Leute aufgewachsen, egal wie sie es fanden.
Der Schauspieler und Sänger Jan Josef Liefers hat zwei Alben mit Coversongs
veröffentlicht, die er „Soundtrack meiner Kindheit“ nannte, weil er die
Songs von Puhdys oder Lift als Jugendlicher aus dem Elternhaus kannte und
mit ihnen Erinnerungen verbindet. Flake von Rammstein erzählte neulich
wiederum, dass er als junger Punk in der DDR die Puhdys und Karat schon aus
Imagegründen gehasst habe. Heute gebe er aber zu, dass die Bands auch gute
Musik gemacht hätten. Im Rückblick wird die Musik oft neutraler bewertet,
stärker nach Qualität als nach Fankriterien.
Trotzdem muss man sagen, dass sich die musikalische Vielfalt der DDR nicht
komplett bei Amiga wiederfand. Wolf Biermann etwa oder ein Großteil der
Punkbandszene fehlen.
Die wichtigsten Punkbands sind Ende der 1980er sogar auf Amiga erschienen,
aber die Bandbreite dieser Szene haben die Veröffentlichungen nicht
widergespiegelt. Als Plattenfirma in der DDR befand sich Amiga in einer
besonderen Situation. Wer seine Musik in Rille gepresst haben wollte,
musste zu uns. Da gab es – wie in allen Medienbereichen – natürlich Dinge,
mit denen du als Künstler nicht durchkamst. Vor allem wenn es politisch
anti DDR ging. Allerdings war der Einfluss der Stasi auf die
Plattenproduktionen nicht annähernd so groß, wie oft behauptet wurde.
Wie meinen Sie das?
Dass jeder brisante Text vorher in einem Stasibüro landete, ist einfach
Bullshit. Bei uns war es jedenfalls nicht so, im Lektorat des DDR-Rundfunks
ging es da möglicherweise strenger zu. Aber das Klischee ist bis heute sehr
verbreitet, wozu auch undifferenzierte Artikel von Journalisten, die selbst
aus dem Osten stammen, beigetragen haben.
Dass es in der Musikveröffentlichungspraxis in der DDR Zensur gab, ist
unbestritten. Sie betraf selbst Erfolgsbands wie Silly, die von ihrem 85er
Album „Liebeswalzer“, das eigentlich „Zwischen unbefahrenen Gleisen“ he…
sollte, drei Songs runternehmen mussten, unter anderem „Tausend Augen“, das
allzu deutlich auf den Überwachungsstaat abzielte.
Natürlich gab es Tabus: die Mauer oder das direkte Vermitteln politischer
Botschaften. Hätten Silly die Texte der besagten Songs nicht geändert,
hätte ihnen das Karriereende gedroht – zumindest bei Amiga. Aber das
wollte niemand bei Amiga, auch nicht unser damaliger Chefredakteur René
Büttner. Nach einer harten Diskussion haben die Musiker die Songs so
verändert, dass die Grundaussage geblieben ist, die Veröffentlichung aber
nicht gefährdet war. Silly haben weitere tolle Alben produziert, deren
Texte immer hart an der Grenze des politisch Zulässigen lagen. Man muss
aber auch sagen, dass viele Künstler in der DDR selbst eine Schere im Kopf
hatten und wussten, wie weit sie ungefähr gehen konnten …
… oft reichten Andeutungen!
Stimmt, die wusste das Publikum schon zu entschlüsseln. Gegen Ende der DDR
fielen auch immer häufiger klare Worte. Ich denke da neben Silly an Pankow
oder City, die auf ihrem 1987er Album „Casablanca“ über das geteilte Berlin
sangen. Neben dem nationalen Programm wurden auf Amiga auch internationale
Künstler wie AC/DC mit „Highway to Hell“ oder Udo Lindenberg mit „Wozu s…
Kriege da“ veröffentlicht, die im Rundfunk verboten waren. Der wurde
nämlich viel stärker reglementiert als Amiga, weil er dem ZK der SED
unterstand. Unser Betrieb war ans Ministerium für Kultur angebunden und
eher kommerziell ausgerichtet. Wir mussten Gewinne abführen.
Nach meiner Erinnerung waren es vor allem Lizenzplatten aus dem Westen,
nach denen die Leute anstanden. Die meisten auf Amiga veröffentlichten
DDR-Bands hatten gegen Ende der DDR doch kaum noch interessiert.
Die Abkehr der Jugend von der DDR-Musik hatte schon Mitte der 1980er
begonnen, da halbierte sich der Albumverkauf vieler Bands.
Trotzdem hat Amiga die jungen wilden Bands wenig gefördert. Oder wollten
die meisten nicht, weil sie das Label als Teil des Systems betrachteten?
Die Musiker, die Amiga ablehnten, sind gar nicht erst zu uns gekommen.
Vielleicht auch aus der Ahnung heraus, dass sie mit ihrer Musik bei uns
schlechte Karten gehabt hätten. Mir ist jedoch kein Fall bekannt, wo eine
Band von uns abgelehnt wurde. Außerdem war es ja nicht so, dass wir die
Veränderungen im Musikkonsum nicht bemerkt hätten. Ich war ja nebenbei
auch Schallplattenunterhalter im Profibereich.
Wo haben Sie aufgelegt?
Im Haus des Lehrers, Krausnick-Club, Sophien-Club, auch bei Betriebsfeiern
in den Außenhandelsbetrieben, zu denen ich als Absolvent der Hochschule für
Ökonomie in Karlshorst noch Kontakte hatte.
Haben Sie da auch Amiga-Platten aufgelegt?
Klar, man musste ja die vorgeschriebene Quote von 60 Prozent Ost- und 40
Prozent Westmusik einhalten. Ein DJ-Kollege ist mal angeschissen worden,
weil jemand inkognito mitnotiert hatte. Ich hatte deshalb einen Trick. Ich
ließ mir im Amiga-Studio vom Tonmeister ein Pop-Medley nach „Stars on
45“-Vorbild zusammenbauen, wo wir alte Amiga-Schlager auf einen Discobeat
legten.
Und der Westmusikanteil?
Den habe ich mir von Westplatten auf Musikkassetten zusammengestellt. Ich
hatte ja einen guten Zugriff auf Originalplatten, da Amiga auch von den
Westlabels bemustert wurde. Außerdem hatte man mich als Amiga-Vertreter in
die Zollkommission geschickt …
… Zollkommission?
In der saßen auch zwei Vertreter von Rundfunk und Fernsehen; wir sollten
den Zöllnern sagen, ob die von ihnen aus dem Westen abgefangen Platten
bedenklich seien oder durchgelassen werden könnten. Bei Kiss-Platten mit
den SS-Runen oder Heinos „Schwarzbraun ist die Haselnuss“ gab es keine
Diskussionen, aber bei vielen anderen Bands waren die älteren Herren
Zollbeamten komplett ratlos. Wenn die ein Cover von The Cure sahen,
kriegten die einen Schreck und fragten, was die denn sängen. Ich sagte, ich
würde mir das mal anhören und die Platte morgen wiederbringen. So konnte
ich sie mir überspielen.
Dass zwischen West- und Ostberlin der Plattenschmuggel blühte, hatte ja vor
allem mit dem bescheidenen internationalen Amiga-Angebot zu tun. Dabei
hatte das Label nach seiner Gründung 1947 bis zum Mauerbau weithin einen
guten Ruf, oder?
Bis zum Mauerbau war es das populärste Label in ganz Berlin. Der
Nachkriegsschlager „Verzeihn Sie mein Herr, fährt dieser Zug nach
Kötzschenbroda“ – die deutsche Fassung von Glenn Millers Swing-Hit
„Chattanooga Choo Choo“ – wurde von dem Westberliner Bully Buhlan bei Ami…
eingespielt. Es war das Hauslabel des renommierten Radio Berlin
Tanzorchesters, bis die amerikanische Tanzmusik von der sowjetischen
Besatzungsmacht nicht mehr gewünscht war. Trotzdem hatte Amiga vor allem in
der Schlager- und Swingszene weiter einen guten Ruf. Nach dem Bau der Mauer
brach die Ost-West-Verbindung allerdings ziemlich zusammen. Trotzdem gab es
auch nach 1961 interessante Kooperationen.
Zum Beispiel?
Einige amerikanische Bluesmusiker, die in den USA wegen ihrer Texte gegen
Rassismus und den Vietnamkrieg nicht gespielt wurden, wurden bei Amiga
produziert. So das Album „Alabama Blues“ von J. B. Lenoir 1966. Oder
Konzertmitschnitte aus dem alten Friedrichstadtpalast von dem legendären
American-Folk-Blues-Festival, das die westdeutschen Konzertveranstalter
Horst Lippmann und Fritz Rau in ganz Europa ausrichteten. Fritz Rau hatte
auch dafür gesorgt, dass die beiden Brüder Rolf und Joachim Kühn 1964 ihr
legendäres Jazzalbum „Solarius“ bei Amiga aufnehmen konnten, obwohl Rolf
damals schon in Westberlin lebte.
Welche Rolle spielte, dass Amiga seinen Sitz in der Hauptstadt der DDR
hatte, die stets Schaufenster der Republik sein sollte?
Berlin war für jeden DDR-Künstler wichtig, der populär werden wollte. Hier
saßen nun mal die Medien. Die Hauptstadtfunktion hatte auf das
Amiga-Repertoire weniger Auswirkungen. Allerdings waren wir während der
750-Jahr-Feier von Berlin 1987 in dieses Kopf-an-Kopf-Rennen mit Westberlin
eingebunden. Das Eröffnungskonzert des Konzerthauses am Gendarmenmarkt im
Beisein internationaler Staatsmänner veröffentlichten wir auf einem
imposanten Doppelalbum mit aufwendigem Prägedruck. Außerdem mussten wir von
allen Westkünstlern, die 1987 in Ostberlin auftraten, eine Lizenzplatte
herausgeben.
Der Überbietungswettstreit zwischen West- und Ostberlin hatte ja damals
absurde Formen angenommen. Weil Bob Dylan die Waldbühne nicht halb voll
bekam, hat sich ihn einfach die DDR-Seite geschnappt und ein Megaevent als
FDJ-Friedenskonzert im Treptower Park veranstaltet.
Ich habe damals sogar als DJ im Vorprogramm von Bob Dylan aufgelegt, ein
unvergessliches Erlebnis.
In Westberlin gab es in den 80ern eine spannende Undergroundszene. Hatte
die irgendeinen Einfluss auf das Amiga-Programm ?
Nur indirekt. Bands wie Ideal waren natürlich auch im Osten populär, und
auf dem Höhepunkt der Neuen Deutschen Welle wurde die Musik auch von
DDR-Musikern kopiert, und Amiga veröffentlichte einige ihrer Hits. Oft
wurde ja der NDW angedichtet, dass damit die massenhafte Verbreitung
deutschsprachiger Popmusik begann. Pop- und Rockmusik auf Deutsch gab es
bei Amiga aber schon seit Ende der 1960er – politisch verordnet, um eine
Rockmusik sozialistischer Prägung zu kreieren. Das war natürlich Quatsch,
weil der deutsche Rock in Ost und West musikalisch zunächst vor allem ein
Plagiat der populären angloamerikanischen Musik war. Trotzdem sind bei
Amiga LPs mit großartigen deutschen Texten erschienen!
Zu den Spezies der Westberliner Subkulturszene gehörte der Brite Mark
Reeder, der in der Wendezeit bei Amiga eine LP der DDR-Band Die Vision
produzieren durfte. 1990 wollte er aus Amiga gern ein cooles Technolabel
für junge Ostkünstler machen.
Ich habe Mark erst kennengelernt, als ich von Amiga schon weg und
Vertriebsleiter Ost der BMG Ariola München war. Ich erinnere mich aber,
dass sein Label Masterminded For Success hieß, Abkürzung MFS.
Was schon deshalb nicht gut bei den Amiga-Partnern ankam, weil sie ans
Ministerium für Staatssicherheit erinnerte. Reeder hat das Label unter dem
Dach des Amiga-Nachfolgers Deutsche Schallplatte letztlich selbst aufgebaut
und Künstler wie Cosmic Baby und Dr. Motte produziert. Hat Amiga da eine
Chance vertan?
Kann sein, aber ich habe keine Ahnung, warum sein Label nicht größer
rauskam. Es war letztendlich eine sehr chaotische Zeit. Nach der Umwandlung
des VEB Deutsche Schallplatten/Amiga in die Deutsche Schallplatten GmbH war
die Firma schon im Oktober 1990 für einen Euro von der Treuhand verkauft
worden.
An einen Kieler Gebrauchtwagenhändler, der als Geschäftsführer Jorge Larsen
von der CBS einsetzte. Damit begann nicht etwa der Wiederaufstieg von
Amiga, sondern der Abstieg. Was lief schief?
Der Name Amiga war ja bereits zuvor eingefroren worden, weil er zu sehr mit
der DDR in Verbindung gebracht wurde. Der neue Anspruch lautete, „der
Kleinste unter den Majors“ zu sein. Ende 1993 kam jedoch die Insolvenz. Die
Firma BMG hat den Amiga-Katalog dann für 3,9 Millionen Mark erworben.
Und Sie mit der Ausschlachtung beauftragt?
Es ging nicht um Ausschlachtung, sondern um die Veröffentlichung unseres
Vinylkatalogs auf CD. Aber ich habe von Anfang an gesagt: Ich will auch
neue Produktionen mit unseren Künstlern aufnehmen. Was ich damals
unterschätzte, waren die westlichen Spielregeln für die notwendige
Medienpräsenz, was neue Produkte betraf. Diese ging bei Ostkünstlern, die
schon zu DDR-Zeiten bekannt waren, gegen null. Als wir 1997 das neue
City-Album promoteten, sagte der Musikchef des öffentlich-rechtlichen
SWR-Radios: „Ostbands spielen wir nicht.“
Dafür brachte die Ostalgiewelle im Osten die Puhdys, City und Karat wieder
hoch. Ist die Vermarktung von Amiga als Ostrock-Label langfristig nach
hinten losgegangen?
Fast 28 Jahre nach dem Mauerfall gibt es Amiga immer noch – auch mit neuen
Veröffentlichungen aus dem Backkatalog. Von circa 30.000 Songs ist
mindestens ein Viertel wert und würdig, in den Popkatalog der BRD
aufgenommen zu werden. Ich will nicht, dass Amiga auf „Alt wie ein Baum“,
„Am Fenster“ oder „Über sieben Brücken“ reduziert wird, wie es in den
TV-Ostalgieshows um die Jahrtausendwende gemacht wurde.
Wird das Amiga-Repertoire stellvertretend für die veröffentlichte Ostmusik
heute mehr gewürdigt?
Die Vorbehalte gegen Musik aus der DDR schwinden zunehmend. In dem
Oscar-gekrönten Film „Das Leben der Anderen“ gehörte sie zum Soundtrack.
Jüngst kamen auch zwei Macher von Absolventenfilmen der Filmakademie
Mannheim auf mich zu und ein Dokumentarfilmer, der einen Film über die
Wendezeit machte. Dazu gehört natürlich ein Soundtrack mit Amiga-Songs. Dem
Label die gebührende Aufmerksamkeit zukommen zu lassen liegt mir persönlich
sehr am Herzen, weil Musik, die Qualität hat, auch ihre adäquate
Anerkennung finden soll. Was mich ärgert, ist eine Bewertung nach
Himmelsrichtungen. Noch dazu, wenn Amiga-Musik als Ostgrütze abqualifiziert
wird, während gleichzeitig der Markt mit Produkten à la „Deutschland sucht
den Superstar“ geflutet wird, die die Welt nicht braucht.
Wird es im Hause Sony Music, zu dem Amiga heute gehört, eine 70-Jahr-Feier
geben?
Nö, wer soll das bezahlen? Dafür hat keiner Geld. Umso mehr freut mich,
dass Radio Eins eine lange Amiga-Nacht [am heutigen Samstag ab 21 Uhr; Anm.
d. Red.] sendet.
29 Jul 2017
## AUTOREN
Gunnar Leue
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