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# taz.de -- Sch(m)erzhafte Pointen
> STEGREIFMUSIK Regelmäßig lädt die Veranstaltungsreihe „4Fakultät“
> Musiker*innen verschiedener Genres zum gemeinsamen Improvisieren ein.
> Diesen Samstag geht der Free-Music-Clash in die fünfte Runde
Bild: Galerie-Ambiente statt Liveklub-Atmosphäre: Im Künstlerhaus Faktor lenk…
von Michele Avantario
Vor 15 Jahren erschien Felix Klopoteks „How They Do It“. Die Textesammlung
des Kölner Journalisten gehört bis heute zu den wenigen deutschsprachigen
Werken, in denen es ausschließlich um improvisierte Musik geht. Klopotek
beleuchtet darin verschiedene Ansätze, die sich seit dem Free Jazz der
1960er-Jahre herausgebildet haben. Die Palette der erwähnten Musiker*innen
reicht von Cecil Taylor und Peter Brötzmann über Eugene Chadbourne, Jim
O’Rourke und David Grubbs bis hin zu Mouse On Mars, Squarepusher und
Godspeed You Black Emperor!
Auch einem der konsequentesten Vertreter der europäischen Free Music, dem
2005 verstorbenen britischen Gitarristen Derek Bailey, ist ein ganzes
Kapitel gewidmet. Von ihm stammt folgender, sch(m)erzhaft-pointierter
Ausspruch: „Improvisation is not a name that opens any doors – except the
exit door.“
Selbst unter den als unzugänglich empfundenen Musikformen zählt die freie
Improvisation noch zu den schwierigsten. Viele Ohren assoziieren damit nur
heilloses „Gefrickel“, weil diese Musik auch ohne Metrum oder die
Wiederholung einprägsamer rhythmischer und melodischer Muster auskommt.
Eine gewisse Unberechenbarkeit gehört aber zum Wesen von improvisierter
Musik. Denn genau darum geht es ja: Interaktion statt Reproduktion,
Kollektivismus statt Hierarchie, persönliche Spontanität anstelle von
festen Rollen und verbindlichen Absprachen. No risk, no fun!
Das gilt nicht nur für die Ausführenden, sondern auch für die Zuhörenden,
die, wenn sie ein bisschen Konzentration mitbringen, einen ganz anders
gestrickten musikalischen Spaß erfahren können als das übliche Mitwippen zu
einem minutenlang unveränderten Beat und die Vorfreude auf den nächsten
Refrain.
Etwas Offenheit ist somit von Vorteil, um einen Abend der Konzertreihe
„4Fakultät“ angemessen goutieren zu können. Seit Februar 2016 wird hier
nämlich auf Konfrontation gesetzt. Das Konzept: vier Gruppen oder
Solomusiker treffen aufeinander. Das Konzert beginnt mit einer
Kollektivimpro aller Beteiligten. Dann spielt die erste Partei ein kurzes
Set von rund 15 Minuten und improvisiert anschließend mit der zweiten, die
daraufhin ihr Set spielt und per Impro an die nächste übergibt und so
weiter. Es gibt keine getrennten Bühnen und keine Umbaupausen. Das Ganze
geht zwei Mal reihum und endet wiederum mit einem Tutti.
„Die Improvisationen zwischen den Sets sollen mehr als nur Übergänge
darstellen“, erklärt Konstantin Bessonov, einer der Organisatoren von
„4Fakultät“. Es gehe nicht darum, sich bloß die Klinke in die Hand zu
reichen. Vielmehr bestehe der Anspruch, die Impros aus dem Stegreif zu
eigenen Stücken auszubilden, „instant composing“ sozusagen – und zwar un…
Musikern mit völlig unterschiedlichen Backgrounds, die zudem vor ihrem
ersten Zusammenspiel vielleicht gerade einmal ein paar wenige Worte
ausgetauscht haben. Die Mischung der eingeladenen Künstler divergiert mit
voller Absicht. Das macht ihre Begegnung umso spannender.
Die Liste der bisher bei „4Fakultät“ aufgetretenen Musiker*innen liest sich
ganz im Sinne von Klopoteks eingangs erwähntem Buch: Jazzer wie die
Saxofonistin Anna-Lena Schnabel und der Schlagzeuger Dirk-Achim Dhonau
waren dort ebenso zu Gast wie experimentelle Solo-Instrumentalisten oder
improvisationsaffine Künstler*innen, die in der elektronischen Musik zu
Hause sind. Die meisten stammen aus Hamburg oder arbeiten seit Jahren im
hiesigen Musik-Untergrund. Eine Bühne haben sie sich aber noch nie geteilt.
Am heutigen Samstagabend bietet sich die nächste Möglichkeit, dem
Impro-Genre-Clash beizuwohnen. Dann ist unter anderem das Duo John Hughes
(Kontrabass) und Chad Popple (Schlagzeug) mit von der Partie, bekannt aus
den Hamburger Free-Jazz-Projekten Piho Hupo, Deep Space X und Rocket No 9.
Ein weiteres Duo bilden an diesem Abend die Percussion-Tausendsassas Sven
Kacirek (Schlagzeug) und Charly Schöppner (Rahmentrommel). Den Reigen
vervollständigen zwei Solist*innen aus den Bereichen Fieldrecordings und
Noise-Elektronik, Nika Son und David Wallraf.
Noch ein Wort zum Ort des Geschehens: Die „4Fakultät“-Veranstaltungen
finden im Künstlerhaus Faktor statt. Die Location befindet sich nahe der
Sternbrücke und ist ein großer, schlichter, weißer Raum, der eindeutig eher
Galerie-Ambiente ausstrahlt als die Atmosphäre eines Live-Musikklubs. Es
gibt kein buntes Flackerlicht und keinerlei Möblierung. Vom Wesentlichen,
der dargebotenen Kunst, lenkt hier nichts ab, außer vielleicht ein
bescheidener Getränkeausschank. Und: Es gibt ein großes Eingangstor, das
überzeugten Improvisator*innen und ihren Unterstützer*innen weit offen
steht. Derek Bailey wäre begeistert!
Sa, 29. 7., 21 Uhr, Künstlerhaus Faktor, Max-Brauer-Allee 229
29 Jul 2017
## AUTOREN
Michele Avantario
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