# taz.de -- Die Wahrheit: Buenos Aires, mon amour | |
> Alles soll ganz anders werden: auf den Spuren des nächsten G20-Gipfels in | |
> der argentinischen Megacity. Der Wahrheit-Politreport. | |
Bild: G20-Treffpunkt 2018 – das Elendsviertel Villa 31: Randalierer können k… | |
Drogeriemarktplünderung in Hamburg, Abfackeln von Familienkutschen: Der | |
nächste G20-Gipfel steht deshalb ganz im Zeichen neuartiger transnationaler | |
Treffen von Politikern. Im Stadtteil Retiro, direkt am Río de la Plata von | |
Buenos Aires gelegen, wird zur Zeit eigens für dieses Großevent ein | |
komfortables Containerdorf erbaut. Pikant ist die Wahl von Retiro: Das | |
Viertel ist sowohl für Prachtbauten samt betuchter Bewohner bekannt, als | |
auch für eines der größten Elendsviertel der Stadt, direkt hinter Zug- und | |
Busbahnhof gelegen. Die Rede ist von der Villa 31, auch Villa Miseria | |
genannt. | |
Der Transfer vom Flughafen in die rustikale Veranstaltungszone wird in | |
weißen Kleinbussen asiatischen Typs erfolgen, die hier Collectivos heißen. | |
Bis zu sieben Staatschefs oder Delegierte auf einmal passen in diese | |
kleinen Raumwunder. | |
Die Wahrheit hat sich bereits jetzt einen Überblick verschafft, was die | |
Welt nach dem Schanzenviertel in Flammen, 2018 in der argentinischen | |
Hauptstadt erwartet. Angekommen am Aeropuerto de Ezeiza, dem | |
internationalen Flughafen am südwestlichen Rande der Stadt, wühlen alle | |
erst einmal hektisch in ihrem Gepäck – kalt ist es hier, kälter als im | |
Flugzeug noch. Die Luft ist staubig, die Luft ist schlecht. Kaum zu | |
glauben, dass die Stadt nach der Heiligen Maria der Guten Luft benannt ist. | |
Wir winken ein Collectivo heran, erklären dem rauchenden Fahrer, der sich | |
uns als Bernadino vorstellt, wo es hingehen soll. Sofort ordnet er sich | |
hupend in den Verkehr ein. Eine plastische, viel zu bunte Figur der | |
Jungfrau Maria baumelt vom Rückspiegel, ihr Konterfei klebt in der | |
Heckscheibe, so groß, dass der Spiegel in seiner eigentlichen Funktion | |
hinfällig ist. Wie ein Wilder, aber sicher, manövriert uns Bernardino durch | |
den absurden Verkehr. | |
## Putin und Trump beim Queer-Tango | |
Vorbei geht es am „La Marshall“, dem ersten Queer-Tango-Salon der Stadt. | |
Hier werden, so haben wir vorab recherchiert, am Gipfelschlusstag Putin und | |
Trump gemeinsam die Hüfte schwingen. Die lokale Gipfelorganisation 2018 hat | |
sich gegen reines Zuhören bei diesem gesellschaftlichen Megaevent | |
entschieden. | |
„Wir wollen lateinamerikanische Lebendigkeit und Lebensfreude der Welt | |
zeigen“, sagte kürzlich Präsident Mauricio Macri der eher konservativen | |
Zeitung La Nación. „Ich bin zwar ein großer Fan von Beethovens Neunter, die | |
Darbietung in Hamburg war auch wirklich schön, aber das lange Stillsitzen | |
während eines klassischen Konzertes widerstrebt dem heißblütigen Wesen | |
eines Argentiniers.“ Richtig: Wenn sich die Staats- und Regierungschefs | |
auch 2018 sitzungstechnisch schon länger im Kreis gedreht haben, sollten | |
sie zum Finale nicht damit aufhören. | |
Nach dem Queer-Tango-Salon zeigt uns Fahrer Bernardino dann auf ungefragtem | |
Umweg die Plaza de Mayo, pulsierendes Herz von Buenos Aires mit hässlichen | |
neobarocken Verzierungen an der Kathedrale. Unter Tränen erzählt der | |
Bucklige während eines kurzen Motorschaden sämtliche Legenden über die jung | |
verschiedene primera dama, die First Lady Eva Evita Perón, die neben ihrem | |
Mann und Präsidenten Juan in den späten 40er Jahren Weltberühmtheit | |
erlangte. | |
Vor den G20-Turbulenzen in Hamburg wäre der Balkon des Präsidentenpalastes | |
Casa Rosada (nein, das ist nicht spanisch für Rote Flora), der auch an der | |
Plaza de Mayo (zu Deutsch Platz des Mais) liegt, ein würdiger Ort gewesen, | |
um die Ergebnisse eines G20-Gipfels zu präsentieren. Evita hielt hier | |
schließlich ihre letzte Rede. Damals gab es auch Unruhen, wie in Hamburg. | |
Für 2018 aber sehnt man sich endlich nach Harmonie. Wo Ergebnisse, falls es | |
denn welche gibt, präsentiert werden, ist in Buenos Aires zur Zeit noch | |
völlig unklar. | |
Als wir nach einer schier endlosen Fahrt den künftigen Gipfelort, das | |
Elendsviertel Villa 31, erreichen, haben wir befestigte Straßen schon | |
längst verlassen. Ein Gefühl von Freiheit macht sich breit, als wir uns von | |
den schmalen Sitzen des Collectivo-Gefährt erheben und dem Fahrer Bernadino | |
Lebewohl wünschen. | |
Ruhiger ist es hier als in der Innenstadt. Die Stille wird lediglich ab und | |
zu von Baugeräuschen durchbrochen. Arbeiter verlegen Glasfaserleitungen, | |
damit die Politiker 2018 auch einen Internetzugang haben. Bewusst habe man | |
sich für diese Gegend entschieden, erzählt uns Bauleiter José Camorro bei | |
einem Fernet auf Soda. Schließlich hätte man sich die Bilder aus Hamburg | |
ganz genau angeguckt, und hier, in der Villa 31, könnten mögliche | |
Randalierer kaum Schaden anrichten, weil eh schon alles kaputt sei. | |
## Schlafcontainer für alle | |
Dann zeigt uns Camorro noch die für die Politiker umfunktionierten | |
Frachtcontainer des nahen Hafens am Rio de la Plata. „Eigentlich darf da im | |
Moment noch keiner rein“ sagt er, besonders viel Überzeugungsarbeit müssen | |
wir aber nicht leisten. Die „Schlafcontainer“ sind minimalistisch, doch | |
schön eingerichtet. Hinter dem breiten Doppelbett trennt eine bunt | |
gestaltete Wand den Ruhebereich von sanitären Anlagen. Die Dusche ist | |
großzügig gehalten, sodass auch ein Peter Altmaier ausreichend Platz fände. | |
Alles ist ebenerdig. Eine kleine, feine Kochnische gibt es auch, wenngleich | |
Camorro sich kopfkratzend wundert, wozu: „Es wird doch Lunchpakete für alle | |
geben.“ | |
Für die Gipfelkonferenzen werden mehrere Frachtcontainer zu Räumen | |
aneinander gefügt und eine komplette Seite zur Fensterfront gemacht. Fast | |
entschuldigend erklärt der Bauleiter den PVC-Boden. Natürlich wäre Holz | |
schöner, aber „dann tragen die Politiker Sand herein, und allles | |
zerkratzt“. Und Schäden gelte es schließlich tunlichst zu vermeiden. | |
Wir haben genug gesehen, hübsch ist es, lauschig fast. Viel zu tun bleibt | |
noch bis zum Gipfel, aber die Jungs auf der Baustelle sind guter Dinge, | |
dass alles fertig wird. Der Río de la Plata ist nicht die Alster, klar, und | |
das Containerdorf mutet anders an als das Hamburger CCH. Alles wirkt | |
weniger durchgestylt, gerade das macht diesen Ort aber sympathisch. | |
Bevor wir uns wieder ein Taxi rufen, spazieren wir noch ein Stück durch die | |
Villa 31. Kinder spielen barfuß im Sand Fußball, alte Damen schieben Wägen | |
vor sich her, aus denen sie Zigaretten und Kaugummis verkaufen. Mindestens | |
ein Kruzifix hängt an den Gestellen. Hier und da klebt ein Foto von Papst | |
Franziskus auf den Hybriden aus Tante-Emma-Laden und Rollator, die im | |
Zweifel wohl auch weniger gut brennen als die Autos im Schanzenviertel. | |
Dann winken wir ein Collectivo heran, diesmal ist es ein tiefer gelegter | |
Kleinbus. Der junge Fahrer will wissen, warum wir in der Villa 31 waren. | |
Hier sei ja demnächst G20-Gipfel, sagen wir, und Politiker würden dann über | |
Klima und Freihandel verhandeln. „War das nicht gerade in Hamburg Thema?“, | |
fragt das schlaue Kerlchen. „Da hat es doch schon nichts gebracht.“ | |
24 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Jann-Luca Zinser | |
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