# taz.de -- LGBTI+ Pride Istanbul: Böse T-Shirts, transphobe Tomaten | |
> Polizisten versperrten den Weg zur Pride. Trotzdem versammelten sich | |
> zahlreiche Aktivist*innen auf Istanbuls Straßen, um Präsenz zu zeigen. | |
Bild: Pride-Teilnehmer*innen werden nicht zum Treffpunkt durchgelassen | |
Trotz des von der Stadtverwaltung am Tag zuvor ausgesprochenen Verbots | |
gegen den Istanbul Pride Walk, versuchten am Sonntagabend gegen 17 Uhr | |
zahlreiche Aktivist*innen zum Treffpunkt des Marsches, dem Taksim-Platz, zu | |
gelangen. Polizisten versperrten jedoch alle Zugänge zur Einkaufsstraße | |
Istiklal Caddesi, wo der Walk alljährlich stattfindet, und LGBTI-Personen, | |
Feministinnen sowie vor allem Personen mit T-Shirts, die politische | |
Botschaften enthielten, wurden nicht durchgelassen. | |
So wie schon im vergangenen Jahr rief das Pride Komitee daraufhin über die | |
Sozialen Netzwerke dazu auf, dass die Teilnehmer*innen an möglichst vielen | |
Orten der Stadt Erklärungen verlesen sollten. | |
Vor dem Istanbul-Büro des Menschenrechtsvereins erklärten die Mitglieder | |
des Komitees: „Die Gründe, die von der Stadtverwaltung für das diesjährige | |
Pride-Verbot angegeben wurde, sind genau die Gründe, aus denen wir Jahr für | |
Jahr auf die Straße gehen. Wir haben keine Angst, wir sind hier. Wir werden | |
uns nicht ändern. Ihr müsst euch ändern! Denn ihr habt Angst, ihr werdet | |
euch gewöhnen müssen. Wir rufen die Revolution der Liebe und der | |
Geschlechter aus. Dreht durch, ayol!“ | |
## Auch Presse betroffen | |
Etwa 25 Personen wurden während der Pride festgenommen, am Abend kamen alle | |
wieder frei. Im Stadtteil Cihangir wollte eine Gruppe von Aktivist*innen | |
gerade einen Banner mit der Aufschrift „Gewöhnt euch, wir sind hier“ | |
öffnen, als die Polizei sie mit Tränengas und Gummigeschossen auseinander | |
trieben. Auch Journalist*innen, die von der Pride berichten wollten, wurden | |
von der Polizei bei ihrer Arbeit behindert. Gül Tüysüz, Korrespondentin von | |
CNN International, etwa musste ihre Live-Berichterstattung aufgrund des | |
polizeilichen Einschreitens unterbrechen. | |
Der niederländische Kameramann Bram Jansen, der für die Nachrichtenagentur | |
AP filmte, wurde kurzzeitig in Polizeigewahrsam genommen, weil er sich | |
nicht ausweisen konnte. Zudem waren ein EU-Ausschuss anwesend, um die Pride | |
zu beobachten, und Hakan Tas, Abgeordneter der Linken, reiste aus Berlin | |
an. | |
Die Istanbul Pride, die erstmals 1993 unter dem Titel „Sexuelle | |
Freiheits-Woche“ organisiert wurde, fand in diesem Jahr zum 25. Mal statt. | |
Verantwortlich zeichnen sich für die Organisation der LGBTI-Verein Lambda | |
Istanbul sowie eine jährlich wechselnde Gruppe von Ehrenamtlichen. Im | |
ersten Jahr der Pride wurde ein Großteil der Teilnehmer*innen festgenommen, | |
ausländische Teilnehmer*innen des Landes verwiesen. | |
## „Was läuft zwischen uns?“ | |
Im Jahr 2003 erst fand der erste Walk statt, bei dem die | |
Pride-Teilnehmer*innen als geschlossene Gruppe über die Istiklal Caddesi | |
laufen, der zentralen Fußgängerzone Istanbuls. Doch seit 2016 erteilt die | |
Stadtverwaltung keine Genehmigung mehr für den Walk. Und so lautete das | |
Thema der diesjährigen Pride: „Was läuft zwischen uns?“ | |
Im Vorfeld der Pride Woche sprachen wir mit den Komitee-Mitgliedern Lara | |
Özlen und Emre Demir. Özlen erzählt, dass der Plan vom vergangenen Jahr, | |
statt einer großen Veranstaltung, viele kleine zu machen, die über die | |
Stadt verteilt sind, sehr gut funktioniert hatte. „Wir merken, dass es | |
immer schwieriger wird, auf die Straße zu gehen, und so müssen wir | |
alternative Formen des Protests entwickeln.“ | |
Auf die Kritik, dass in den vergangenen Jahren die Pride jeweils während | |
des Fastenmonats Ramadan stattfand, antwortet Emre Demir: „Wir können uns | |
nicht mit irgendwelchen Religionen und deren besonderen Feiertagen | |
auseinandersetzen. Wir haben eine Vergangenheit und ein Anliegen, das wir | |
abseits aller Sensibilitäten gerade heute verteidigen müssen.“ | |
## Transpersonen ausgegrenzt | |
m vergangenen Jahr änderte sich noch eine Sache: Das Komitee änderte den | |
Namen von „LGBTI Pride Week“ in „LGBTI+ Pride Week“, mit der Erklärung… | |
unserer Bewegung sind alle Farben des Regenbogens vertreten.“ | |
Diese Erklärung ist vor allem deshalb wichtig, weil etwa im Vorfeld des | |
ersten Pride 1993, entschieden wurde, dass Transpersonen nicht an der | |
Veranstaltung teilnehmen dürfen, wie Aktivist Ilker Cakmak 2014 der | |
Onlineplattform bianet erzählte: „Eine Gruppe innerhalb des Komitees fand, | |
‚die Außenwahrnehmung von Homosexuellen ist negativ genug, wir müssen | |
versuchen, das zu berichtigen. Jeden Tag gibt es Nachrichten über | |
Trans-Terror, wir wollen uns nicht mit Trans-Sexarbeiter*innen auf der | |
gleichen Seite befinden‘. Schließlich wurde abgestimmt und die | |
Transaktivist*innen ausgeschlossen.“ | |
Dennoch bevorzugten es internationale Medien wie Reuters und DPA vom Marsch | |
als „Gay Pride“ zu sprechen, was in Istanbul auf große Kritik stieß. | |
Auch die diesjährigen „Hormon-Tomate“-Preisträger wurden bekannt gegeben. | |
Traditionell zeichnet das Pride Komitee nämlich bei einer Preisverleihung | |
Personen und Institutionen in der Türkei aus, die in besonderer Weise mit | |
homophobischem und transphobischem Verhalten von sich Reden machten. | |
Dieses Jahr zählten zu den Gewinner*innen unter anderen die Tageszeitung | |
Yeni Akit, Popsängerin Demet Akalın sowie die Fitnessstudio-Kette McFit. | |
26 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Michelle Demishevich | |
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