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# taz.de -- Ein Abend zur jüngeren deutschen Geschichte
> Theater Die junge Dramatikerin Nele Stuhler, die die Mauer nie kannte,
> inszenierte in den Sophiensælen ihr Stück „Mauerschau“
Nele Stuhlers Geburtsdatum ist der 13. August 1989. Der Jahrestag des
Mauerbaus im Jahr des Mauerfalls. In ihrem Stück „Mauerschau“, das zuletzt
vier Abende in den Sophiensaelen zu sehen war (aber nun erst mal nicht
weiter gespielt wird), beschäftigt sich die Dramatikerin und Regisseurin
mit der Frage, was es bedeutet, an den mentalen Überbleibseln der Berliner
Mauer sozialisiert worden zu sein.
Ein semitransparenter Büro-Vorhang teilt die Bühne in vorne und hinten –
oder Ost und West? Mit der Behauptung, Nele Stuhler zu sein, führt die
junge Schauspielerin Paula Thielecke charismatisch durch diesen „Abend
jüngerer deutscher Geschichte“. Sie lässt Zeitzeuginnen zu Wort kommen,
zitiert Heiner Müller und Christa Wolf, diskutiert mit sich selbst oder
ihrer phlegmatischen Mutter in Form eines Mauerwürfels, die viel sagt, ohne
irgendetwas zu sagen, aber im Unterschied zu ihr die DDR noch selbst erlebt
hat. Sie hält sozialromantische Reden von der Arbeitsteilung im Sommercamp
und singt schräge Arbeiterlieder. Mit dem Hinweis, die DDR bitte nicht zu
positiv darzustellen, mischt sich zwischendurch der ehemalige
Geschichtslehrer ein. Intelligent und komisch, teilweise etwas verstaubt an
Ostalgie und Theoriebrocken festhaltend, dokumentiert die „Mauerschau“ den
Rest der Mauer in unseren Köpfen.
Nele Stuhler wuchs in Ostberlin auf, studiert Angewandte
Theaterwissenschaften in Gießen und szenisches Schreiben in Graz. Ihre
ersten Theaterarbeiten entstanden im Rahmen des Kollektivs P14, der
Jugendbühne der Volksbühne Berlin – dort war sie unter anderem an
Produktionen des Theatermachers René Pollesch beteiligt.
Zusammen mit Stephan Dorn und Falk Rößler bildet sie seit 2011 das
Kollektiv FUX, das mit seinen zwischen Performance, Sprechtheater und
Kleinkunst schwebenden Formaten bereits in den Münchner Kammerspielen sowie
am Schauspielhaus Wien zu sehen war. Theaterintern gelten die drei als
vielversprechende Newcomer, in der Theater Heute waren sie bereits 2014 als
Nachwuchskünstler des Jahres nominiert. Stuhler erhielt für ihr Stück
„Fische“ den Münchner Förderpreis für deutschsprachige Dramatik.
Die Theatermacherin ist bald genau so viele Jahre alt, wie es die Mauer
gab. Das ist nur eine von vielen Parallelen, die ihren persönlichen
Mikrokosmos mit Geschichtsschnipseln der DDR zusammenpuzzeln. Als die
27-Jährige ihr neues Stückkonzept einem bekannten deutschen Dramatiker
vorstellt, kommentiert dieser nur: „Schwierig, schwierig, schwierig.“ Das
zentrale Dilemma: Wie umgehen mit Geschichte, wenn man selbst nicht dabei
war?
In seiner Monologform, seinen unendlichen Wiederholungen erinnert die
Inszenierung an klassisches Diskurstheater. Klassisch dabei im besten Sinne
und deshalb angesichts des Alters der Regisseurin ungewöhnlich. Die
„Mauerschau“ ist auch ein Generationenstück, das von der Unsicherheit mit
dem diskursiven Umgang von jüngerer Geschichte erzählt. Von den vielen
Stimmen von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die, mal moralisierend, mal
gelangweilt perpetuierend, versuchen, einen Überblick in Form eines großen
Ganzen zu schaffen und doch an der eigenen Subjektivität vermeintlich
scheitern. Zum „Zeitzeug“ wird auch die Mauer selbst – als sprechendes,
dekonstruierbares Objekt auf der Bühne.
Beim Lesen von biografischen Spuren mit dem Vorhaben, immer und alles
differenziert betrachten zu wollen, enden die Protagonistin und ihre
Gesprächspartnerinnen und -partner in einem Vakuum. Am Ende steht die
Erkenntnis: Für die, die eben nicht mehr als Mauerkinder bezeichnet werden,
die, die nicht mehr zur „Generation Ost“ gehören, ist und bleibt die Mauer
ein mythischer Ort.
Nora Voit
28 Jun 2017
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Nora Voit
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