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# taz.de -- Wir müssen hier raus
> GENTRIFIZIERUNG Das Max-Taut-Haus in Kreuzberg hat eine lange Tradition
> als Haus für Kreative. Grafikerin Katja Clos arbeitete elf Jahre dort,
> nun wurde ihr gekündigt. Warum, erzählt sie hier
Bild: Katja Clos
von Gabriele Goettle
Katja Clos, Dipl. Grafikdesignerin. Aufgewachsen in Neustadt an der
Weinstraße. Nach dem Abitur 1983 bis 1986 Ausbildung als
Druckvorlagen-Herstellerin. Danach ab 1987 Grafikdesignstudium in Dortmund,
1994 Diplom. Praktikum in der Grafikabteilung des Süddeutschen Rundfunks
in Stuttgart, danach Arbeit als freie Mitarbeiterin. Durch eine
Zufallsbekanntschaft kam sie als freie Mitarbeiterin zu einem Team beim
Hessischen Rundfunk, zog 1994 nach Frankfurt/Main, wo sie bis 1998 blieb,
arbeitete für Sat. 1 in Mainz, immer als selbstständige Grafikerin. Lernte
in Frankfurt den Vater ihrer Tochter kennen, einen Regisseur aus Berlin.
Übersiedelung nach Berlin. Sie begann, Filmplakate zu erstellen und war in
der Ausstattungsgrafik tätig; arbeitete in diversen kleinen Räumen in
Gewerbehinterhöfen in Kreuzberg. Kam 2006 über eine Anzeige zum
Max-Taut-Haus, war begeistert und zog ein. Sie macht seit 25 Jahren
Filmgrafik und Covergestaltung für Magazine, befasst sich mit
Kommunikationsdesign, TV-Design, Corporate Design. Für das
Frage-Antwort-Buch „Alles über meine Mutter“ (2007) von Susanne Fröhlich
und Constanze Kleis war sie für Bilder und Gestaltung zuständig; dies war
ihr erstes Projekt im Taut-Haus. Katja Clos wurde 1964 geboren, ihr Vater
war Kaufmann, in den siebziger Jahren war er Verkäufer für Computer,
angestellt bei der Firma Olivetti. Die Mutter war Stenografin, arbeitete
aber nach der Geburt der Kinder als Hausfrau.
Das Max-Taut-Haus, ehemals „Warenhaus der Konsumgenossenschaft“, steht in
Berlin-Kreuzberg am Oranienplatz. Es hat große, schön gegliederte,
waagerechte Fenster, eine Fassade aus Muschelkalkplatten in warmen Farben
und besteht aus einem L‑förmigen, siebengeschossigen Gebäude, an das sich
ein neungeschossiges Turmgebäude anschließt. Anfang der 30er Jahre wurde es
unter Einbeziehung des Eckhauses, des 1904 erbauten „Warenhauses für
Damenmoden Maassen“, nach Plänen der Architekten Max Taut und Franz
Hoffmann errichtet. Bereits kurze Zeit später wurden die
Konsumgenossenschaften und das Warenhaus von den Nazis als „
jüdisch-marxistisch“ bekämpft. Die Konsumgenossenschaften wurden in
NS-Organisationen überführt und 1941 endgültig enteignet. Das Taut-Haus
wurde umgebaut zu einem Bürogebäude für die „Deutsche Arbeitsfront“. Im
Krieg brannte das Eckgebäude des ehemaligen Kaufhauses Maassen aus. Es
wurde 1951 als Zweckbau wiedererrichtet und nach der Jahrtausendwende von
einem privaten Investor gekauft und nach historischer Vorlage restauriert.
Taut-Haus und Maassen-Kaufhaus stehen als Ensemble unter Denkmalschutz.
Katja Clos empfängt Elisabeth Kmölniger und mich an einem sommerlich heißen
Vormittag in ihrem Atelier in der obersten Etage des Max-Taut-Hauses am
Oranienplatz Nr. 4. Gastfreundlich werden wir mit Verbenentee und
französischem Gebäck aus der Marheineke-Markthalle bewirtet, wir bewundern
die Aussicht, die Originalfensterrahmen (inzwischen mit
Schallschutzscheiben), dann beginnt sie zu erzählen:
„Als ich 2006 hier die Architektur des Hauses sah, war ich schon sehr
angetan. Und als ich dann die Räume gesehen habe, diese wunderbaren,
gegliederten Metallfenster, die man kippen kann, diesen Ausblick, da dachte
ich gleich: Das ist mein Format! Wie im Film, Cinemascope. Und es erinnerte
in gewisser Weise ein bisschen an Neustadt, wo ich als Jugendliche immer
auf den Weinberg hochging, nur zum Runtergucken. Dort schaute ich in die
Ebene. Hier über die Dächer der Stadt. Ich war begeistert und seitdem bin
ich hier, also seit elf Jahren.
## Die Werbeagentur Heimatvergrößert sich
Und nun soll das plötzlich zu Ende sein. Es ist eigentlich unvorstellbar!
Es war eine ganz tolle Zeit, weil es tolle Leute sind und tolle Räume, die
Projektateliers. Eigentlich sind wir ja so etwas wie eine Gewerbe-WG. Es
gibt sieben Ateliers hier auf dieser Etage und unten drunter sind noch mal
fünf. Sie sind so zwischen 30 und 150 Quadratmeter groß. Und die Räume sind
für uns auch deshalb so toll, weil sie gewissermaßen ‚ausdehnbar‘ und
‚schrumpfbar‘ sind. Also wenn man ein großes Projekt hat und noch zwei drei
Leute braucht, die basteln, schneiden und kleben, für Filmarbeiten zum
Beispiel, dann lässt sich der Platz ausdehnen. Man kann sich das teilen.
Und das alles bestand eben insgesamt 30 Jahre mit wechselnder Besetzung.
Nachher wird noch mein Kollege Detlev Pusch dazukommen, er ist am längsten
hier. 30 Jahre! Also er hat noch mal eine andere Perspektive, und er ist
ein ganz toller Grafiker, hat übrigens das erste Anti-Aids-Plakat gemacht
in der BRD.
Es ist wichtig, auch mal einen Blick darauf zu werfen, was entsteht
eigentlich an gesellschaftlich und historisch Relevantem in solchen Räumen.
Es entstand viel. Das hier waren sehr lebendige ‚Projekt-Ateliers‘, und das
wird nun alles zerstört! Es gab einen Hauptmieter – wie das bei WG-artigen
Konstruktionen oft so ist –, der hat damals hier gearbeitet als Designer,
war inzwischen aber nach Basel gezogen. Und ihm wurde als Hauptmieter auch
gekündigt. Angeblich, weil die Werbeagentur Heimat, die hier im Haus
bereits diverse Räume gemietet hat, unsere Räume nun auch mieten möchte.
Wie wir erfuhren, haben die Eigentümer schon zugesagt. Das ist eigentlich
alles, was wir erfahren haben.“
Wir vergewissern uns, dass diese Werbeagentur sich tatsächlich „Heimat“
nennt.
Frau Clos nickt lebhaft und sagt: „Ja. Das ist eine bekannte Werbeagentur,
die schon viele Preise bekam für ihre Arbeiten. Es ist die Agentur, die
damals die Werbung für Hornbach gemacht hat – Sie können sich sicher noch
daran erinnern – mit dem Hammer aus Panzerstahl.“ (Kampagne der
Werbeagentur Heimat für den Baumarkt Hornbach. 2012 kaufte der Baumarkt
Hornbach einen tschechischen BMP-1-Schützenpanzer, Baujahr 1984, der bis
1990 im Einsatz der tschechoslowakischen Volksarmee war, danach in
Privatbesitz, und fertigte daraus 7.000 limitierte Hämmer. Werbespruch:
„Geboren aus Panzerstahl. Gemacht für die Ewigkeit.“ Mitte 2013 kamen die
Hämmer auf den Markt, waren im Handumdrehen ausverkauft und haben heute
Sammlerwert. Anm. G. G.)
„Na ja“, sagt Frau Clos“, die haben eine sehr ‚männliche‘ Herangehen…
gelinde gesagt. Aber weshalb sie sich Heimat nennen, weiß man eigentlich
nicht so richtig. Der Chef, mit dem ich auch einmal gesprochen habe, kommt
aus Süddeutschland.
Jedenfalls haben wir hier die Kündigung erhalten, letztes Jahr, kurz vor
Weihnachten, aus heiterem Himmel. Zum 30. Juni 2017. Das war ein Schock!
Mein erster Gedanke war: Das kann nicht sein, da ist was schiefgelaufen,
ein Missverständnis liegt vor, wir müssen jetzt nur schnell ein Gespräch
führen, dann ist wieder alles in Ordnung. Dann haben wir versucht, Kontakt
aufzunehmen. Per E-Mail, per Telefon, per Brief, per Einschreiben. Wir
wussten nicht ganz genau, wer die Eigentümer sind, es gibt wohl eine
Eigentümergemeinschaft. Aber es ist uns nicht gelungen, Kontakt
aufzunehmen. Keine Antwort. Und die Werbeagentur Heimat haben wir auch
versucht zu kontaktieren. Damals auch vergeblich.
Drei Monate haben wir überhaupt keinen Kontakt bekommen. Dann haben wir uns
entschlossen, wir entwickeln jetzt eine Strategie, eine neue Idee. Wir
überlegten, wer wir eigentlich sind, wo wir sind und was wir hier gemacht
haben und weiterhin machen möchten. Wir sind lauter selbstständige
Designer, Architekten und Landschaftsarchitekten und wir haben hier Räume,
wo man mit zwei bis drei Leuten arbeiten kann. Das ist eine handhabbare
Größe. Und das ist genau das, was in Berlin immer mehr verschwindet, solche
Räume, in denen zu erschwinglichen Mieten kleine Kreative vernetzt arbeiten
können. Und da entsteht ja auch was! Wir werden zwar hier raus müssen, wir
wollen uns aber dafür einsetzen, dass diese Strukturen unbedingt erhalten
bleiben, in der Stadt und auch hier im Haus. Wir haben also etwas
entwickelt, das Max Taut Art Lab, um ein solches Projekt voranzubringen.
Die Idee dahinter ist, diesen Standort hier für kleinere Kreativschaffende
zu erhalten und für Künstler. Und zwar dadurch, dass die ganze Gebäudeseite
hier vom Senat und vom Kulturwerk des BBK (Bundesverband Bildender
Künstlerinnen und Künstler, Anm. G. G.) angemietet und im Rahmen des
Atelier-Anmietprogramms subventioniert und mietpreisgebunden vergeben wird.
Wir haben bei anderer Gelegenheit auch schon mal mit Martin Schwegmann, dem
neuen Atelierbeauftragten des BBK, gesprochen und er fand die Idee
interessant und schickt uns einen Erfassungsbogen. Es geht natürlich nicht
ohne den Eigentümer. Der muss es wollen. Und er muss verstehen, dass, wenn
in diesen Prozess des Verschwindens von solchen Arbeitsmöglichkeiten für
kleine Kreativschaffende nicht eingegriffen wird, nichts übrig bleibt. Dann
bleibt auch von der viel zitierten Kreuzberger Mischung nichts übrig. Das
also ist die Idee und auch die Forderung hinter Max Taut Art Lab.
## „Beachtliche Initiative, doch leider zu spät“
Die haben wir den Vermietern in einem Brief unterbreitet. Und da haben wir
die erste Reaktion überhaupt nach dreieinhalb Monaten bekommen. Wir bekamen
einen Brief – dort an der Wand hängt er – da steht sinngemäß: ‚Beachtl…
Initiative, doch leider zu spät. Die Flächen gehen an eine Firma im Haus.‘
Und er schrieb auch noch, dass wir – da wir Untermieter sind oder waren –
keine eigenen Vertragsbeziehungen zum Besitzer haben.
Ja, das ist juristisch richtig. Aber zugleich ist das auch der Punkt.
Vieles ist juristisch völlig okay, aber in keiner Weise in Ordnung und
vertretbar: Steuerfluchtinseln, Share-Deal-Geschäfte, bei denen Wohnungen
verkauft werden, die angeblich gar keine sind, sondern Anteile an Firmen,
weil man die Steuer spart.“ (Umwandlung von Immobilien in Firmen, um beim
Verkauf die Grunderwerbssteuer zu sparen, die in Berlin bei 6 Prozent
liegt. Man bedient sich des Sachverstandes von Finanzanwälten und findigen
Buchhaltern, um zum eigenen Vorteil die Gesetzeslücken zu füllen. Anm. G.
G.) „Also, das ist rechtlich alles okay, die Stadt kann nichts machen und
kriegt nicht mal ihre 6 Prozent. Ich finde, das ist ein Skandal. Diese
Leute verändern die Stadt, die Profitinteressen bestimmen das soziale Leben
und Zusammenleben und der Staat hat nicht mal die Steuern, um die Folgen –
also Mangel an preiswertem Wohnraum – abzumildern. Wo ist denn da die
soziale Bindung des Eigentums, steht das nicht im Grundgesetz, dass
Eigentum auch verpflichtet und dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll?
Allerdings muss ich sagen, dass unsere Vermieter jetzt nicht zu den ganz
Schlimmen gehören. Es ging hier 30 Jahre lang recht gut, es wurde nicht
versucht, unsere Mieten hochzutreiben. Aber jetzt, ganz plötzlich, die
Abkehr davon. Vielleicht, weil die beiden Eigentümer – wie wir inzwischen
hörten – nun alte, 80-jährige Herren geworden sind. Vielleicht wurden sie
gierig, vielleicht warten Erben, ich weiß es nicht.
Ich finde aber, dass Vermietung etwas ist, wo man eine gewisse
Verantwortung hat. Sie haben doch die Wahl! Sie könnten ja ebenso gut ein
Kunstprojekt fördern, das ist doch was Positives. Das wäre doch auch ein
Gewinn, ein Gewinn für den Bezirk. Wir haben ihnen das vorgeschlagen und
sie haben erstmals reagiert, aber eben nicht, indem sie uns den
Hauptmietvertrag anboten und Verhandlungen, sondern nur durch die
Mitteilung, die Flächen seien bereits vergeben.
Aber nach der Vorstellung unseres Konzepts hat plötzlich die Werbeagentur
Heimat angerufen und uns ein Gespräch angeboten.“ (Die Werbeagentur hat 250
MitarbeiterInnen und wurde 1999 gegründet. Hat sich mit ihrem
provozierenden Schräger-Humor-Konzept zu einer der fünf führenden
Werbeagenturen Deutschlands für Großkunden hochgearbeitet. Standorte:
Berlin, Hamburg, Wien und Zürich. Anm. G. G.)
„Wir hatten gar nicht mehr mit einer Reaktion gerechnet. Wir sind ungefähr
25 Personen in 11 Ateliers, die haben sie eingeladen zum Gespräch. Ein paar
Leute von uns saßen dann bei der Heimat am Besprechungstisch, mit dem Chef
der Werbeagentur und seiner Assistentin. Er hat dann eigentlich nur
richtigstellen wollen, dass die Agentur Heimat nicht die Böse ist, als die
sie dargestellt wird. Er sagte: Wir wollen uns einfach nur erweitern, aber
es sei natürlich nicht korrekt, dass man uns einfach ignoriert. Sie werden
uns vielleicht ein Angebot machen. Das Gespräch verlief moderat. Und wir
haben wieder etwas Hoffnung geschöpft.
## Der doppelteQuadratmeterpreis
Drei Wochen später, als nichts kam, haben wir mal nachgefragt, und sie
sagten: Ja, schicken Sie uns doch mal eine Liste mit den Personen, die
unbedingt bleiben wollen, und wie viele Quadratmeter die denn dann brauchen
würden. Daraufhin haben wir uns hier zusammen gesetzt, 5. und 6. Etage,
haben sogar noch gestritten und so weiter – ist ja egal. Wissen Sie, was
die uns dann letztlich für ein Angebot machten? Wir können als Untermieter
der Heimat – zunächst für ein Jahr, und zwar für den doppelten
Quadratmeterpreis – ein Drittel unserer derzeitigen Fläche behalten. Also
da würden wir erstens gar nicht alle reinpassen und es wäre für uns auch zu
teuer. Wir mussten das Angebot also ablehnen. Das kann ja durchaus sein,
dass es irgendwie freundlich gemeint war von denen, aber diese groß
gewordenen Start-ups, die vergessen oftmals, dass sie auch mal klein
angefangen haben und dass man nicht einfach so viel Geld verdient und zur
Verfügung hat wie sie.
Wir haben dann einen Brief an die Eigentümer geschrieben und gesagt: So,
wir haben die ganze Zeit damit gewartet, an die Öffentlichkeit zu gehen,
weil wir dachten, dass es doch noch zu einer gütlichen Lösung kommen
könnte. Das scheint aber nicht der Fall zu sein, also gehen wir jetzt an
die Öffentlichkeit. Wir hatten nach der Hälfte der Fläche gefragt. Es kam
aber keine Reaktion. Und wir sagten uns, wenn wir schon rausfliegen hier,
dann möchten wir wenigstens, dass es bekannt wird, und auch, dass
öffentlich wird, dass wir uns wehren. Und wir möchten, dass die Struktur
erhalten bleibt, deshalb machen wir weiter mit Max Taut Art Lab.
Als ersten Schritt in die Öffentlichkeit haben wir dann Briefe hier im Haus
in alle Briefkästen geschmissen und geschrieben, wer Interesse hat, soll
uns kontaktieren. Es kamen dann auch zwei Mieter. Die vom FSK-Kino haben
sich gemeldet.“ (Abkürzung für „Flugsessel-Kino“, die ersten Sitze des
unabhängigen Filmkunstkinos stammten aus einem ausgemusterten
Lufthansaflugzeug. Anm. G. G.) „Und es kam die Agentur, die den Wahlomat
erfunden hat, den die Bundesagentur für politische Bildung einsetzt. Das
hat uns gefreut, aber die Anteilnahme war jetzt nicht so großartig,
insgesamt, wie wir erhofft hatten.
Unser nächster Schritt an die Öffentlichkeit sah so aus, dass wir – auch
übers Internet – Leute eingeladen und ein Fest gemacht haben. Es wurden
Plakate und Flyer gedruckt. Es war interessant, dass einerseits Max
Taut-Fans kamen. Aber auch viele Menschen, die hier mal in den siebziger
und achtziger Jahren gearbeitet haben, als Künstler, sind gekommen. Wir
haben auch die Berühmtheiten eingeladen, aber die kamen natürlich nicht.
Wim Wenders war hier mal Mieter, im Turm, und die Filmemacherin Ulrike
Oettinger hat auch hier gedreht auf der Wendeltreppe, der Fotograf Jim
Rakete hat hier gearbeitet. Wir haben die Presse eingeladen und auch Leute
hier aus dem Haus. Und die von vorne waren natürlich auch eingeladen, aus
der Denkerei von Bazon Brock und Peter Sloterdijk. Und wir haben Andrej
Holm eingeladen sowie den grünen Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg,
Florian Schmidt. Von denen kam niemand, auch von der Presse nicht. Aber es
war ein schönes Fest und wir haben viel Zuspruch erhalten und Solidarität
erlebt.
Und ich sagte mir, es sind ja hier in Kreuzberg auch viele tolle Sachen
entstanden, beispielsweise gleich hier am Moritzplatz die
Prinzessinnengärten, dieses tolle Bürgerprojekt, aus dem ein wunderbar
funktionierender Gemeinschaftsgarten mit mobiler Landwirtschaft
hervorgegangen ist.“ (Existiert seit 2009 auf einer Bombenbrache in der
Größe eines Fußballfeldes – Anm. G. G.) „Oder das Aufbau Haus, gleich
gegenüber, da entstand ein tolles Zentrum für Kreative.“ (Seit der
Fertigstellung 2011 Sitz der Aufbau-Verlags-Gruppe, es gibt dort unter
anderem ein Theater, einen Buchladen, Restaurants, Cafés, die
Design-Akademie, das Kaufhaus Modular für Künstlerbedarf, ein Kulturzentrum
der Sinti und Roma und viele Ateliers, Werkstätten und Büros für
Architekten, Goldschmiede, Designer, Grafiker usw. – Anm. G. G.) „Also so
ein Konzept mit einer Mischung aus Kunst, Kultur und auch Gewerbe, das ist
ja durchaus realisierbar. Und dann gibt es um das ehemalige
Blumen-Großmarktgelände herum Baugruppen, die Genossenschaften beinhalten.
Auch die taz baut ja dort neu. Also, wir haben hier durchaus Projekte, bei
denen es eine Bürgerbeteiligung gibt und wo mehr Kommunikation stattfindet
als anderswo, wo nur der Kommerz regiert. Und das ist es, was wir wollen:
eine nachhaltige Stadtentwicklung im Sinne der Menschen, die da leben und
arbeiten.“
## Aufklärungsarbeit zu frühen Aids-Zeiten
Der bereits angekündigte Detlev Pusch, ein älterer Herr, grau meliert mit
gestutztem Bart, kommt kurz vorbei und erzählt ein wenig von seiner Arbeit
hier in all den Jahren: „Ja, eine lange Zeit! 1985 bin ich hier
reingekommen, da hatte ich eigentlich bereits das erste Plakat zu Aids
produziert. Die nächsten fünf Jahre habe ich Aufklärungsarbeit für die
Deutsche Aidshilfe gemacht, Plakate, Faltblätter, Broschüren.
Als die Aidskrise losging, war das eine tödliche Krankheit.“ Herr Pusch
lächelt und sagt: Ich war – wie sagt man so schön – Volontär und hab mich
auch mit Aids beschäftigt und habe ein professionelles Netzwerk aufgebaut.
Auch die Bundesregierung hatte erkannt, dass sie sich auch finanziell
engagieren muss. Und was nicht bezahlt wurde, das machte man damals dann
halt umsonst. Die Deutsche Aidshilfe war zuständig für Homosexuelle,
Prostituierte und Drogenkonsumenten. Für alles andere die Bundesregierung,
die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Dann habe ich über 25
Jahre die Öffentlichkeitsarbeit hier fürs Schwule Museum gemacht und
parallel dazu habe ich für die NGBK (Neue Gesellschaft für Bildende Kunst)
sehr viele Kunstkataloge gestaltet. Auch für verschiedene Museen. Heute
sind es fast nur noch Bücher, in letzter Zeit vor allem Fotobücher.
Das Schöne an dieser Geschichte hier waren die Arbeitsbedingungen. Ich habe
angefangen in einem ganz kleinen Raum und habe im Laufe der Jahre
eigentlich alle Ateliers bespielt irgendwann. In den ganzen Jahren gab es
nur geringe Mieterhöhungen. Also es war alles bestens. In dieser Zeit habe
ich meine sämtlichen Arbeiten gemacht und fast mit jedem kooperiert. Vorn
gab es eine Setzerei, Illustratoren, Fotografen, und man hat fast jedes Mal
was zusammen gemacht. Das war praktisch, man hatte alles im Haus.
Ich kann auf einen langen Zeitraum zurückblicken. Ich weiß, was das für ein
Verlust ist, wenn solche Strukturen gekappt werden durch den Entzug der
Räume. Das gilt nicht nur für uns, es ist ja inzwischen in der ganzen Stadt
diese Verdrängung im Gang. Es hat schon vor vielen Jahren angefangen, 1987
gab’s hier diese erste Kübel-Aktion gegen das Feinschmecker-Restaurant
Maxwell, in das ja dann gleich Scheiße reingekippt wurde. Danach zogen sie
nach Wilmersdorf. Vor der Wende waren eigentlich in der Oranienstraße nur
Apotheken, Spielhallen und Secondhandläden. Die Veränderungen gingen erst
nach der Wende richtig los. Und da gab’s dann auch den Prozess, dass die
ganzen Clubs, die es gab, teilweise schließen mussten oder verdrängt
wurden, hinaus an den Rand der Stadt. Und damals war es schon mit diesem
Wowereit-Spruch, ‚Berlin ist arm aber sexy‘, nicht mehr weit her. Und das
Bunte, das noch in Resten existiert, wird auch verloren gehen.
Aber wenigstens regt sich immer mehr Widerstand, durch die Leute selbst,
durch Gruppen und Initiativen, wie zum Beispiel das Bündnis Zwangsräumung
verhindern! oder Bizim Kiez.“ (Das Bündnis Zwangsräumung verhindern!
besteht seit 2012 und engagiert sich energisch gegen Verdrängung. Für und
mit den Betroffenen organisieren sie Blockaden und Besetzungen. Die
Nachbarschaftsinitiative Bizim Kiez, im Sommer 2015 hervorgegangen aus dem
Protest gegen die Kündigung des türkischen Gemüseladens Bizim Bakkal
(„Unser Laden“), der seit 28 Jahren in der dritten Generation dort ansässig
war, organisiert weiterhin Protest und Widerstand gegen die Verdrängung .
Anm. G. G.)
## Die Vernetzung des Widerstandes
„Es gibt jetzt die Demo für den kleinen türkischen Späti, der ausziehen
soll, da werden wir auch hingehen. In manchen Fällen haben die lautstarken
Proteste gewirkt, beim Café Filou, und auch der Buchladen Kisch & Co. hat
die Kündigung zum 31. Mai mit knapper Not erst mal überstanden. Und der
Widerstand im Zusammenhang mit dem NKZ (Neues Kreuzberger Zentrum) hat dazu
geführt, dass die Wohnanlage nicht an einen privaten Investor verkauft
wurde, sondern an eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft.“
Detlev Pusch verabschiedet sich, Katja Clos schenkt noch einmal Tee nach
und sagt nachdenklich: „Wir können das doch nicht einfach so hinnehmen,
dass die Großen sich hier ungehindert ausbreiten mit ihrem Geld und die
kleinen Künstler und Grafiker müssen an den Stadtrand ausweichen oder auf
einen Co-Working-Büroplatz oder sogar zu Hause in ihrer Wohnküche
arbeiten.“ Auf die Frage, was nun werden soll, sagt sie: „Also das
Wichtigste ist, dass wir es öffentlich gemacht haben, dass wir zeigen, es
gibt auch hier einen massiven Verdrängungsprozess. Und dass wir uns
vernetzt haben mit anderen Betroffenen. Ich werde zum Beispiel mitlaufen
bei einer Demo im Grunewald gegen die Bauwerk-Immobilien GmbH, zu der das
Bündnis aufgerufen hat. Wir fordern den Verbleib ihrer gekündigten Mieter
in Kreuzberg, einem Späti und einer Änderungsschneiderei. Wenn man direkt
vor die Haustür kommt, werden sie nämlich nervös im Grunewald.
Also wir wollen was tun für andere und für uns. Ich möchte nicht, dass hier
alle resigniert ihre Sachen packen und jeder alleine und schweigend
verschwindet. Wir sind an die Öffentlichkeit gegangen, wir haben die
Unterstützung von solidarischen Menschen, es wurden Unterschriften
gesammelt, wir haben Kontakt mit Bizim Kiez und mit dem Bündnis
Zwangsräumung verhindern! Es wird noch eine Aktion geben nächste Woche,
Genaueres will ich dazu im Moment nicht sagen. Also, wenn wir am 30. Juni
das Haus verlassen müssen, dann hoch erhobenen Hauptes!“
26 Jun 2017
## AUTOREN
Gabriele Goettle
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