# taz.de -- Wir müssen hier raus | |
> GENTRIFIZIERUNG Das Max-Taut-Haus in Kreuzberg hat eine lange Tradition | |
> als Haus für Kreative. Grafikerin Katja Clos arbeitete elf Jahre dort, | |
> nun wurde ihr gekündigt. Warum, erzählt sie hier | |
Bild: Katja Clos | |
von Gabriele Goettle | |
Katja Clos, Dipl. Grafikdesignerin. Aufgewachsen in Neustadt an der | |
Weinstraße. Nach dem Abitur 1983 bis 1986 Ausbildung als | |
Druckvorlagen-Herstellerin. Danach ab 1987 Grafikdesignstudium in Dortmund, | |
1994 Diplom. Praktikum in der Grafikabteilung des Süddeutschen Rundfunks | |
in Stuttgart, danach Arbeit als freie Mitarbeiterin. Durch eine | |
Zufallsbekanntschaft kam sie als freie Mitarbeiterin zu einem Team beim | |
Hessischen Rundfunk, zog 1994 nach Frankfurt/Main, wo sie bis 1998 blieb, | |
arbeitete für Sat. 1 in Mainz, immer als selbstständige Grafikerin. Lernte | |
in Frankfurt den Vater ihrer Tochter kennen, einen Regisseur aus Berlin. | |
Übersiedelung nach Berlin. Sie begann, Filmplakate zu erstellen und war in | |
der Ausstattungsgrafik tätig; arbeitete in diversen kleinen Räumen in | |
Gewerbehinterhöfen in Kreuzberg. Kam 2006 über eine Anzeige zum | |
Max-Taut-Haus, war begeistert und zog ein. Sie macht seit 25 Jahren | |
Filmgrafik und Covergestaltung für Magazine, befasst sich mit | |
Kommunikationsdesign, TV-Design, Corporate Design. Für das | |
Frage-Antwort-Buch „Alles über meine Mutter“ (2007) von Susanne Fröhlich | |
und Constanze Kleis war sie für Bilder und Gestaltung zuständig; dies war | |
ihr erstes Projekt im Taut-Haus. Katja Clos wurde 1964 geboren, ihr Vater | |
war Kaufmann, in den siebziger Jahren war er Verkäufer für Computer, | |
angestellt bei der Firma Olivetti. Die Mutter war Stenografin, arbeitete | |
aber nach der Geburt der Kinder als Hausfrau. | |
Das Max-Taut-Haus, ehemals „Warenhaus der Konsumgenossenschaft“, steht in | |
Berlin-Kreuzberg am Oranienplatz. Es hat große, schön gegliederte, | |
waagerechte Fenster, eine Fassade aus Muschelkalkplatten in warmen Farben | |
und besteht aus einem L‑förmigen, siebengeschossigen Gebäude, an das sich | |
ein neungeschossiges Turmgebäude anschließt. Anfang der 30er Jahre wurde es | |
unter Einbeziehung des Eckhauses, des 1904 erbauten „Warenhauses für | |
Damenmoden Maassen“, nach Plänen der Architekten Max Taut und Franz | |
Hoffmann errichtet. Bereits kurze Zeit später wurden die | |
Konsumgenossenschaften und das Warenhaus von den Nazis als „ | |
jüdisch-marxistisch“ bekämpft. Die Konsumgenossenschaften wurden in | |
NS-Organisationen überführt und 1941 endgültig enteignet. Das Taut-Haus | |
wurde umgebaut zu einem Bürogebäude für die „Deutsche Arbeitsfront“. Im | |
Krieg brannte das Eckgebäude des ehemaligen Kaufhauses Maassen aus. Es | |
wurde 1951 als Zweckbau wiedererrichtet und nach der Jahrtausendwende von | |
einem privaten Investor gekauft und nach historischer Vorlage restauriert. | |
Taut-Haus und Maassen-Kaufhaus stehen als Ensemble unter Denkmalschutz. | |
Katja Clos empfängt Elisabeth Kmölniger und mich an einem sommerlich heißen | |
Vormittag in ihrem Atelier in der obersten Etage des Max-Taut-Hauses am | |
Oranienplatz Nr. 4. Gastfreundlich werden wir mit Verbenentee und | |
französischem Gebäck aus der Marheineke-Markthalle bewirtet, wir bewundern | |
die Aussicht, die Originalfensterrahmen (inzwischen mit | |
Schallschutzscheiben), dann beginnt sie zu erzählen: | |
„Als ich 2006 hier die Architektur des Hauses sah, war ich schon sehr | |
angetan. Und als ich dann die Räume gesehen habe, diese wunderbaren, | |
gegliederten Metallfenster, die man kippen kann, diesen Ausblick, da dachte | |
ich gleich: Das ist mein Format! Wie im Film, Cinemascope. Und es erinnerte | |
in gewisser Weise ein bisschen an Neustadt, wo ich als Jugendliche immer | |
auf den Weinberg hochging, nur zum Runtergucken. Dort schaute ich in die | |
Ebene. Hier über die Dächer der Stadt. Ich war begeistert und seitdem bin | |
ich hier, also seit elf Jahren. | |
## Die Werbeagentur Heimatvergrößert sich | |
Und nun soll das plötzlich zu Ende sein. Es ist eigentlich unvorstellbar! | |
Es war eine ganz tolle Zeit, weil es tolle Leute sind und tolle Räume, die | |
Projektateliers. Eigentlich sind wir ja so etwas wie eine Gewerbe-WG. Es | |
gibt sieben Ateliers hier auf dieser Etage und unten drunter sind noch mal | |
fünf. Sie sind so zwischen 30 und 150 Quadratmeter groß. Und die Räume sind | |
für uns auch deshalb so toll, weil sie gewissermaßen ‚ausdehnbar‘ und | |
‚schrumpfbar‘ sind. Also wenn man ein großes Projekt hat und noch zwei drei | |
Leute braucht, die basteln, schneiden und kleben, für Filmarbeiten zum | |
Beispiel, dann lässt sich der Platz ausdehnen. Man kann sich das teilen. | |
Und das alles bestand eben insgesamt 30 Jahre mit wechselnder Besetzung. | |
Nachher wird noch mein Kollege Detlev Pusch dazukommen, er ist am längsten | |
hier. 30 Jahre! Also er hat noch mal eine andere Perspektive, und er ist | |
ein ganz toller Grafiker, hat übrigens das erste Anti-Aids-Plakat gemacht | |
in der BRD. | |
Es ist wichtig, auch mal einen Blick darauf zu werfen, was entsteht | |
eigentlich an gesellschaftlich und historisch Relevantem in solchen Räumen. | |
Es entstand viel. Das hier waren sehr lebendige ‚Projekt-Ateliers‘, und das | |
wird nun alles zerstört! Es gab einen Hauptmieter – wie das bei WG-artigen | |
Konstruktionen oft so ist –, der hat damals hier gearbeitet als Designer, | |
war inzwischen aber nach Basel gezogen. Und ihm wurde als Hauptmieter auch | |
gekündigt. Angeblich, weil die Werbeagentur Heimat, die hier im Haus | |
bereits diverse Räume gemietet hat, unsere Räume nun auch mieten möchte. | |
Wie wir erfuhren, haben die Eigentümer schon zugesagt. Das ist eigentlich | |
alles, was wir erfahren haben.“ | |
Wir vergewissern uns, dass diese Werbeagentur sich tatsächlich „Heimat“ | |
nennt. | |
Frau Clos nickt lebhaft und sagt: „Ja. Das ist eine bekannte Werbeagentur, | |
die schon viele Preise bekam für ihre Arbeiten. Es ist die Agentur, die | |
damals die Werbung für Hornbach gemacht hat – Sie können sich sicher noch | |
daran erinnern – mit dem Hammer aus Panzerstahl.“ (Kampagne der | |
Werbeagentur Heimat für den Baumarkt Hornbach. 2012 kaufte der Baumarkt | |
Hornbach einen tschechischen BMP-1-Schützenpanzer, Baujahr 1984, der bis | |
1990 im Einsatz der tschechoslowakischen Volksarmee war, danach in | |
Privatbesitz, und fertigte daraus 7.000 limitierte Hämmer. Werbespruch: | |
„Geboren aus Panzerstahl. Gemacht für die Ewigkeit.“ Mitte 2013 kamen die | |
Hämmer auf den Markt, waren im Handumdrehen ausverkauft und haben heute | |
Sammlerwert. Anm. G. G.) | |
„Na ja“, sagt Frau Clos“, die haben eine sehr ‚männliche‘ Herangehen… | |
gelinde gesagt. Aber weshalb sie sich Heimat nennen, weiß man eigentlich | |
nicht so richtig. Der Chef, mit dem ich auch einmal gesprochen habe, kommt | |
aus Süddeutschland. | |
Jedenfalls haben wir hier die Kündigung erhalten, letztes Jahr, kurz vor | |
Weihnachten, aus heiterem Himmel. Zum 30. Juni 2017. Das war ein Schock! | |
Mein erster Gedanke war: Das kann nicht sein, da ist was schiefgelaufen, | |
ein Missverständnis liegt vor, wir müssen jetzt nur schnell ein Gespräch | |
führen, dann ist wieder alles in Ordnung. Dann haben wir versucht, Kontakt | |
aufzunehmen. Per E-Mail, per Telefon, per Brief, per Einschreiben. Wir | |
wussten nicht ganz genau, wer die Eigentümer sind, es gibt wohl eine | |
Eigentümergemeinschaft. Aber es ist uns nicht gelungen, Kontakt | |
aufzunehmen. Keine Antwort. Und die Werbeagentur Heimat haben wir auch | |
versucht zu kontaktieren. Damals auch vergeblich. | |
Drei Monate haben wir überhaupt keinen Kontakt bekommen. Dann haben wir uns | |
entschlossen, wir entwickeln jetzt eine Strategie, eine neue Idee. Wir | |
überlegten, wer wir eigentlich sind, wo wir sind und was wir hier gemacht | |
haben und weiterhin machen möchten. Wir sind lauter selbstständige | |
Designer, Architekten und Landschaftsarchitekten und wir haben hier Räume, | |
wo man mit zwei bis drei Leuten arbeiten kann. Das ist eine handhabbare | |
Größe. Und das ist genau das, was in Berlin immer mehr verschwindet, solche | |
Räume, in denen zu erschwinglichen Mieten kleine Kreative vernetzt arbeiten | |
können. Und da entsteht ja auch was! Wir werden zwar hier raus müssen, wir | |
wollen uns aber dafür einsetzen, dass diese Strukturen unbedingt erhalten | |
bleiben, in der Stadt und auch hier im Haus. Wir haben also etwas | |
entwickelt, das Max Taut Art Lab, um ein solches Projekt voranzubringen. | |
Die Idee dahinter ist, diesen Standort hier für kleinere Kreativschaffende | |
zu erhalten und für Künstler. Und zwar dadurch, dass die ganze Gebäudeseite | |
hier vom Senat und vom Kulturwerk des BBK (Bundesverband Bildender | |
Künstlerinnen und Künstler, Anm. G. G.) angemietet und im Rahmen des | |
Atelier-Anmietprogramms subventioniert und mietpreisgebunden vergeben wird. | |
Wir haben bei anderer Gelegenheit auch schon mal mit Martin Schwegmann, dem | |
neuen Atelierbeauftragten des BBK, gesprochen und er fand die Idee | |
interessant und schickt uns einen Erfassungsbogen. Es geht natürlich nicht | |
ohne den Eigentümer. Der muss es wollen. Und er muss verstehen, dass, wenn | |
in diesen Prozess des Verschwindens von solchen Arbeitsmöglichkeiten für | |
kleine Kreativschaffende nicht eingegriffen wird, nichts übrig bleibt. Dann | |
bleibt auch von der viel zitierten Kreuzberger Mischung nichts übrig. Das | |
also ist die Idee und auch die Forderung hinter Max Taut Art Lab. | |
## „Beachtliche Initiative, doch leider zu spät“ | |
Die haben wir den Vermietern in einem Brief unterbreitet. Und da haben wir | |
die erste Reaktion überhaupt nach dreieinhalb Monaten bekommen. Wir bekamen | |
einen Brief – dort an der Wand hängt er – da steht sinngemäß: ‚Beachtl… | |
Initiative, doch leider zu spät. Die Flächen gehen an eine Firma im Haus.‘ | |
Und er schrieb auch noch, dass wir – da wir Untermieter sind oder waren – | |
keine eigenen Vertragsbeziehungen zum Besitzer haben. | |
Ja, das ist juristisch richtig. Aber zugleich ist das auch der Punkt. | |
Vieles ist juristisch völlig okay, aber in keiner Weise in Ordnung und | |
vertretbar: Steuerfluchtinseln, Share-Deal-Geschäfte, bei denen Wohnungen | |
verkauft werden, die angeblich gar keine sind, sondern Anteile an Firmen, | |
weil man die Steuer spart.“ (Umwandlung von Immobilien in Firmen, um beim | |
Verkauf die Grunderwerbssteuer zu sparen, die in Berlin bei 6 Prozent | |
liegt. Man bedient sich des Sachverstandes von Finanzanwälten und findigen | |
Buchhaltern, um zum eigenen Vorteil die Gesetzeslücken zu füllen. Anm. G. | |
G.) „Also, das ist rechtlich alles okay, die Stadt kann nichts machen und | |
kriegt nicht mal ihre 6 Prozent. Ich finde, das ist ein Skandal. Diese | |
Leute verändern die Stadt, die Profitinteressen bestimmen das soziale Leben | |
und Zusammenleben und der Staat hat nicht mal die Steuern, um die Folgen – | |
also Mangel an preiswertem Wohnraum – abzumildern. Wo ist denn da die | |
soziale Bindung des Eigentums, steht das nicht im Grundgesetz, dass | |
Eigentum auch verpflichtet und dem Wohle der Allgemeinheit dienen soll? | |
Allerdings muss ich sagen, dass unsere Vermieter jetzt nicht zu den ganz | |
Schlimmen gehören. Es ging hier 30 Jahre lang recht gut, es wurde nicht | |
versucht, unsere Mieten hochzutreiben. Aber jetzt, ganz plötzlich, die | |
Abkehr davon. Vielleicht, weil die beiden Eigentümer – wie wir inzwischen | |
hörten – nun alte, 80-jährige Herren geworden sind. Vielleicht wurden sie | |
gierig, vielleicht warten Erben, ich weiß es nicht. | |
Ich finde aber, dass Vermietung etwas ist, wo man eine gewisse | |
Verantwortung hat. Sie haben doch die Wahl! Sie könnten ja ebenso gut ein | |
Kunstprojekt fördern, das ist doch was Positives. Das wäre doch auch ein | |
Gewinn, ein Gewinn für den Bezirk. Wir haben ihnen das vorgeschlagen und | |
sie haben erstmals reagiert, aber eben nicht, indem sie uns den | |
Hauptmietvertrag anboten und Verhandlungen, sondern nur durch die | |
Mitteilung, die Flächen seien bereits vergeben. | |
Aber nach der Vorstellung unseres Konzepts hat plötzlich die Werbeagentur | |
Heimat angerufen und uns ein Gespräch angeboten.“ (Die Werbeagentur hat 250 | |
MitarbeiterInnen und wurde 1999 gegründet. Hat sich mit ihrem | |
provozierenden Schräger-Humor-Konzept zu einer der fünf führenden | |
Werbeagenturen Deutschlands für Großkunden hochgearbeitet. Standorte: | |
Berlin, Hamburg, Wien und Zürich. Anm. G. G.) | |
„Wir hatten gar nicht mehr mit einer Reaktion gerechnet. Wir sind ungefähr | |
25 Personen in 11 Ateliers, die haben sie eingeladen zum Gespräch. Ein paar | |
Leute von uns saßen dann bei der Heimat am Besprechungstisch, mit dem Chef | |
der Werbeagentur und seiner Assistentin. Er hat dann eigentlich nur | |
richtigstellen wollen, dass die Agentur Heimat nicht die Böse ist, als die | |
sie dargestellt wird. Er sagte: Wir wollen uns einfach nur erweitern, aber | |
es sei natürlich nicht korrekt, dass man uns einfach ignoriert. Sie werden | |
uns vielleicht ein Angebot machen. Das Gespräch verlief moderat. Und wir | |
haben wieder etwas Hoffnung geschöpft. | |
## Der doppelteQuadratmeterpreis | |
Drei Wochen später, als nichts kam, haben wir mal nachgefragt, und sie | |
sagten: Ja, schicken Sie uns doch mal eine Liste mit den Personen, die | |
unbedingt bleiben wollen, und wie viele Quadratmeter die denn dann brauchen | |
würden. Daraufhin haben wir uns hier zusammen gesetzt, 5. und 6. Etage, | |
haben sogar noch gestritten und so weiter – ist ja egal. Wissen Sie, was | |
die uns dann letztlich für ein Angebot machten? Wir können als Untermieter | |
der Heimat – zunächst für ein Jahr, und zwar für den doppelten | |
Quadratmeterpreis – ein Drittel unserer derzeitigen Fläche behalten. Also | |
da würden wir erstens gar nicht alle reinpassen und es wäre für uns auch zu | |
teuer. Wir mussten das Angebot also ablehnen. Das kann ja durchaus sein, | |
dass es irgendwie freundlich gemeint war von denen, aber diese groß | |
gewordenen Start-ups, die vergessen oftmals, dass sie auch mal klein | |
angefangen haben und dass man nicht einfach so viel Geld verdient und zur | |
Verfügung hat wie sie. | |
Wir haben dann einen Brief an die Eigentümer geschrieben und gesagt: So, | |
wir haben die ganze Zeit damit gewartet, an die Öffentlichkeit zu gehen, | |
weil wir dachten, dass es doch noch zu einer gütlichen Lösung kommen | |
könnte. Das scheint aber nicht der Fall zu sein, also gehen wir jetzt an | |
die Öffentlichkeit. Wir hatten nach der Hälfte der Fläche gefragt. Es kam | |
aber keine Reaktion. Und wir sagten uns, wenn wir schon rausfliegen hier, | |
dann möchten wir wenigstens, dass es bekannt wird, und auch, dass | |
öffentlich wird, dass wir uns wehren. Und wir möchten, dass die Struktur | |
erhalten bleibt, deshalb machen wir weiter mit Max Taut Art Lab. | |
Als ersten Schritt in die Öffentlichkeit haben wir dann Briefe hier im Haus | |
in alle Briefkästen geschmissen und geschrieben, wer Interesse hat, soll | |
uns kontaktieren. Es kamen dann auch zwei Mieter. Die vom FSK-Kino haben | |
sich gemeldet.“ (Abkürzung für „Flugsessel-Kino“, die ersten Sitze des | |
unabhängigen Filmkunstkinos stammten aus einem ausgemusterten | |
Lufthansaflugzeug. Anm. G. G.) „Und es kam die Agentur, die den Wahlomat | |
erfunden hat, den die Bundesagentur für politische Bildung einsetzt. Das | |
hat uns gefreut, aber die Anteilnahme war jetzt nicht so großartig, | |
insgesamt, wie wir erhofft hatten. | |
Unser nächster Schritt an die Öffentlichkeit sah so aus, dass wir – auch | |
übers Internet – Leute eingeladen und ein Fest gemacht haben. Es wurden | |
Plakate und Flyer gedruckt. Es war interessant, dass einerseits Max | |
Taut-Fans kamen. Aber auch viele Menschen, die hier mal in den siebziger | |
und achtziger Jahren gearbeitet haben, als Künstler, sind gekommen. Wir | |
haben auch die Berühmtheiten eingeladen, aber die kamen natürlich nicht. | |
Wim Wenders war hier mal Mieter, im Turm, und die Filmemacherin Ulrike | |
Oettinger hat auch hier gedreht auf der Wendeltreppe, der Fotograf Jim | |
Rakete hat hier gearbeitet. Wir haben die Presse eingeladen und auch Leute | |
hier aus dem Haus. Und die von vorne waren natürlich auch eingeladen, aus | |
der Denkerei von Bazon Brock und Peter Sloterdijk. Und wir haben Andrej | |
Holm eingeladen sowie den grünen Baustadtrat von Friedrichshain-Kreuzberg, | |
Florian Schmidt. Von denen kam niemand, auch von der Presse nicht. Aber es | |
war ein schönes Fest und wir haben viel Zuspruch erhalten und Solidarität | |
erlebt. | |
Und ich sagte mir, es sind ja hier in Kreuzberg auch viele tolle Sachen | |
entstanden, beispielsweise gleich hier am Moritzplatz die | |
Prinzessinnengärten, dieses tolle Bürgerprojekt, aus dem ein wunderbar | |
funktionierender Gemeinschaftsgarten mit mobiler Landwirtschaft | |
hervorgegangen ist.“ (Existiert seit 2009 auf einer Bombenbrache in der | |
Größe eines Fußballfeldes – Anm. G. G.) „Oder das Aufbau Haus, gleich | |
gegenüber, da entstand ein tolles Zentrum für Kreative.“ (Seit der | |
Fertigstellung 2011 Sitz der Aufbau-Verlags-Gruppe, es gibt dort unter | |
anderem ein Theater, einen Buchladen, Restaurants, Cafés, die | |
Design-Akademie, das Kaufhaus Modular für Künstlerbedarf, ein Kulturzentrum | |
der Sinti und Roma und viele Ateliers, Werkstätten und Büros für | |
Architekten, Goldschmiede, Designer, Grafiker usw. – Anm. G. G.) „Also so | |
ein Konzept mit einer Mischung aus Kunst, Kultur und auch Gewerbe, das ist | |
ja durchaus realisierbar. Und dann gibt es um das ehemalige | |
Blumen-Großmarktgelände herum Baugruppen, die Genossenschaften beinhalten. | |
Auch die taz baut ja dort neu. Also, wir haben hier durchaus Projekte, bei | |
denen es eine Bürgerbeteiligung gibt und wo mehr Kommunikation stattfindet | |
als anderswo, wo nur der Kommerz regiert. Und das ist es, was wir wollen: | |
eine nachhaltige Stadtentwicklung im Sinne der Menschen, die da leben und | |
arbeiten.“ | |
## Aufklärungsarbeit zu frühen Aids-Zeiten | |
Der bereits angekündigte Detlev Pusch, ein älterer Herr, grau meliert mit | |
gestutztem Bart, kommt kurz vorbei und erzählt ein wenig von seiner Arbeit | |
hier in all den Jahren: „Ja, eine lange Zeit! 1985 bin ich hier | |
reingekommen, da hatte ich eigentlich bereits das erste Plakat zu Aids | |
produziert. Die nächsten fünf Jahre habe ich Aufklärungsarbeit für die | |
Deutsche Aidshilfe gemacht, Plakate, Faltblätter, Broschüren. | |
Als die Aidskrise losging, war das eine tödliche Krankheit.“ Herr Pusch | |
lächelt und sagt: Ich war – wie sagt man so schön – Volontär und hab mich | |
auch mit Aids beschäftigt und habe ein professionelles Netzwerk aufgebaut. | |
Auch die Bundesregierung hatte erkannt, dass sie sich auch finanziell | |
engagieren muss. Und was nicht bezahlt wurde, das machte man damals dann | |
halt umsonst. Die Deutsche Aidshilfe war zuständig für Homosexuelle, | |
Prostituierte und Drogenkonsumenten. Für alles andere die Bundesregierung, | |
die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Dann habe ich über 25 | |
Jahre die Öffentlichkeitsarbeit hier fürs Schwule Museum gemacht und | |
parallel dazu habe ich für die NGBK (Neue Gesellschaft für Bildende Kunst) | |
sehr viele Kunstkataloge gestaltet. Auch für verschiedene Museen. Heute | |
sind es fast nur noch Bücher, in letzter Zeit vor allem Fotobücher. | |
Das Schöne an dieser Geschichte hier waren die Arbeitsbedingungen. Ich habe | |
angefangen in einem ganz kleinen Raum und habe im Laufe der Jahre | |
eigentlich alle Ateliers bespielt irgendwann. In den ganzen Jahren gab es | |
nur geringe Mieterhöhungen. Also es war alles bestens. In dieser Zeit habe | |
ich meine sämtlichen Arbeiten gemacht und fast mit jedem kooperiert. Vorn | |
gab es eine Setzerei, Illustratoren, Fotografen, und man hat fast jedes Mal | |
was zusammen gemacht. Das war praktisch, man hatte alles im Haus. | |
Ich kann auf einen langen Zeitraum zurückblicken. Ich weiß, was das für ein | |
Verlust ist, wenn solche Strukturen gekappt werden durch den Entzug der | |
Räume. Das gilt nicht nur für uns, es ist ja inzwischen in der ganzen Stadt | |
diese Verdrängung im Gang. Es hat schon vor vielen Jahren angefangen, 1987 | |
gab’s hier diese erste Kübel-Aktion gegen das Feinschmecker-Restaurant | |
Maxwell, in das ja dann gleich Scheiße reingekippt wurde. Danach zogen sie | |
nach Wilmersdorf. Vor der Wende waren eigentlich in der Oranienstraße nur | |
Apotheken, Spielhallen und Secondhandläden. Die Veränderungen gingen erst | |
nach der Wende richtig los. Und da gab’s dann auch den Prozess, dass die | |
ganzen Clubs, die es gab, teilweise schließen mussten oder verdrängt | |
wurden, hinaus an den Rand der Stadt. Und damals war es schon mit diesem | |
Wowereit-Spruch, ‚Berlin ist arm aber sexy‘, nicht mehr weit her. Und das | |
Bunte, das noch in Resten existiert, wird auch verloren gehen. | |
Aber wenigstens regt sich immer mehr Widerstand, durch die Leute selbst, | |
durch Gruppen und Initiativen, wie zum Beispiel das Bündnis Zwangsräumung | |
verhindern! oder Bizim Kiez.“ (Das Bündnis Zwangsräumung verhindern! | |
besteht seit 2012 und engagiert sich energisch gegen Verdrängung. Für und | |
mit den Betroffenen organisieren sie Blockaden und Besetzungen. Die | |
Nachbarschaftsinitiative Bizim Kiez, im Sommer 2015 hervorgegangen aus dem | |
Protest gegen die Kündigung des türkischen Gemüseladens Bizim Bakkal | |
(„Unser Laden“), der seit 28 Jahren in der dritten Generation dort ansässig | |
war, organisiert weiterhin Protest und Widerstand gegen die Verdrängung . | |
Anm. G. G.) | |
## Die Vernetzung des Widerstandes | |
„Es gibt jetzt die Demo für den kleinen türkischen Späti, der ausziehen | |
soll, da werden wir auch hingehen. In manchen Fällen haben die lautstarken | |
Proteste gewirkt, beim Café Filou, und auch der Buchladen Kisch & Co. hat | |
die Kündigung zum 31. Mai mit knapper Not erst mal überstanden. Und der | |
Widerstand im Zusammenhang mit dem NKZ (Neues Kreuzberger Zentrum) hat dazu | |
geführt, dass die Wohnanlage nicht an einen privaten Investor verkauft | |
wurde, sondern an eine landeseigene Wohnungsbaugesellschaft.“ | |
Detlev Pusch verabschiedet sich, Katja Clos schenkt noch einmal Tee nach | |
und sagt nachdenklich: „Wir können das doch nicht einfach so hinnehmen, | |
dass die Großen sich hier ungehindert ausbreiten mit ihrem Geld und die | |
kleinen Künstler und Grafiker müssen an den Stadtrand ausweichen oder auf | |
einen Co-Working-Büroplatz oder sogar zu Hause in ihrer Wohnküche | |
arbeiten.“ Auf die Frage, was nun werden soll, sagt sie: „Also das | |
Wichtigste ist, dass wir es öffentlich gemacht haben, dass wir zeigen, es | |
gibt auch hier einen massiven Verdrängungsprozess. Und dass wir uns | |
vernetzt haben mit anderen Betroffenen. Ich werde zum Beispiel mitlaufen | |
bei einer Demo im Grunewald gegen die Bauwerk-Immobilien GmbH, zu der das | |
Bündnis aufgerufen hat. Wir fordern den Verbleib ihrer gekündigten Mieter | |
in Kreuzberg, einem Späti und einer Änderungsschneiderei. Wenn man direkt | |
vor die Haustür kommt, werden sie nämlich nervös im Grunewald. | |
Also wir wollen was tun für andere und für uns. Ich möchte nicht, dass hier | |
alle resigniert ihre Sachen packen und jeder alleine und schweigend | |
verschwindet. Wir sind an die Öffentlichkeit gegangen, wir haben die | |
Unterstützung von solidarischen Menschen, es wurden Unterschriften | |
gesammelt, wir haben Kontakt mit Bizim Kiez und mit dem Bündnis | |
Zwangsräumung verhindern! Es wird noch eine Aktion geben nächste Woche, | |
Genaueres will ich dazu im Moment nicht sagen. Also, wenn wir am 30. Juni | |
das Haus verlassen müssen, dann hoch erhobenen Hauptes!“ | |
26 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Goettle | |
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