# taz.de -- Ein Hoch auf die Reizüberflutung! | |
> Festival Die Autorentheatertage am Deutschen Theater haben begonnen: Am | |
> Eröffnungsabend gehörte „Paradies fluten“ von Thomas Köck, eine | |
> Inszenierung aus Stuttgart, zu den ersten Gastspielen | |
Bild: Ein Durcheinander, aber kein Chaos: „Paradies fluten“ | |
von Nora Voit | |
Am Anfang liegt auf der Bühne ein aus Autoreifen zusammengeschobener Wal. | |
Eine Plane. Ein Seil. Eine Box mit Holzperlenvorhang. Ekstatisch tanzende | |
Performer und Performerinnen tragen wenig Stoff und Knieschoner. Bevor man | |
sich fragen kann, welche theatrale Symbolik die haben, ist es auch schon | |
klar: vermutlich gar keine. Sie dienen schlichtweg dem Schutz der bis zur | |
Erschöpfung ausgebeuteten Tanzkörper. | |
„Paradies fluten“, das Stück des vielfach preisgekrönten Dramatikers Thom… | |
Köck, ist der erste Teil einer „Klimatrilogie“, die Geschichten erzählt v… | |
der menschengemachten Ausbeutung der Natur und sich selbst. Sprachgewaltig | |
nimmt sich Köck darin einen durchkapitalisierten Weltmarkt und deren | |
Subjekte vor. Mit seinem Text war der aus Österreich stammende Autor 2015 | |
zum Heidelberger Stückemarkt eingeladen, im Jahr darauf erhielt er den | |
Kleist-Förderpreis für junge Dramatiker. Jetzt ist er damit zu den | |
Autorentheatertagen ins Deutsche Theater nach Berlin gekommen. | |
Die Inszenierung der Regisseurin Marie Bues und der Choreografin Nicki | |
Liszta ist eine Koproduktion des Theaters Rampe und vom Backsteinhaus aus | |
Stuttgart. Sie führt durch ein „Museum des Kapitalismus“, das schon, bevor | |
es in das Theater hineingeht, auf dem in Weißweinschorle getauchten Platz | |
vor dem Deutschen Theater begehbar ist. | |
Gezeigt werden Exponate aus „lebender Biomasse“, zwischen 1890 und heute, | |
Opfer und Gewinner des freien Marktes: Darunter ist ein deutscher | |
Architekt, der im brasilianischen Dschungel für Nicht-indigene | |
Kautschuk-Barone das Opernhaus Teatro Amazonas baut und damit ein Stück | |
europäische Kulturgeschichte in eine fremde Welt erzwingen will. (Ihn kennt | |
man aus Werner Herzogs Film „Fitzcarroldo“.) Weiter trifft man auf einen | |
Familienvater, der sich den Traum von der Selbstständigkeit mit der eigenen | |
Autowerkstatt verwirklicht, und dessen Tochter. Die ist Tänzerin und fragt | |
sich, wann sie denn endlich auf eigenen Beinen stehen wird, und ob beim | |
Eintreffen dieses Moments das Leben nicht schon vorbei sei. | |
Den beiden Regisseurinnen gelingt es, die Textflut, die an mancher Stelle | |
vor lauter Tiefsinn flüchtig vorbeirauscht, auf mehrere Bildebenen zu | |
bringen. Als Zuschauer weiß man oft gar nicht, wo man hinschauen und | |
hinhören soll. Da zitieren und monologisieren durchweg starke | |
Performer*innen, sie klettern dabei und hängen von den Wänden bis zum Ende | |
ihrer Kräfte. Da wird mit Wörtern so lange um sich geworfen, bis die | |
Absurdität jeder einzelnen Silbe deutlich wird: quer-fi-nan-ziert und | |
Selbst-stän-dig-keit und Ho-no-rar-ba-sis. Kurz vor der Kapitulation ist | |
angesichts der vielen Eindrücke immer auch der Zusehende. „Paradies fluten“ | |
ist ein Durcheinander, aber kein Chaos. Abwechslungsreich getragen von drei | |
Musikern an Bass, Schlagzeug, Klarinette, Synthesizer oder Ukulele. | |
Die Performance baut Köcks Text-Sinfonie zu einem Gesamtkunstwerk aus. Den | |
insgesamt 13 Tänzer*innen, Schauspieler*innen und Musikern wird darin | |
gleichberechtigt viel Raum zugestanden. Und damit ein Gegenkonzept zum | |
kolonialistischen „Das-sind-wir-und-das-seid-ihr“-Prinzip entworfen, dem | |
man in diesem Museum auch begegnet. Seinen konfliktreichen Höhepunkt | |
erreicht es, als die Bühne mithilfe von Autoreifen in zwei Teile geteilt | |
wird: auf der einen Seite die Schauspieler*innen, auf der anderen Seite die | |
Tänzer*innen. Wir hier, ihr dort. Jeder spricht die Sprache, auf die er die | |
Antwort kennt. Oder hat doch ein spiritueller Ratgeber Recht, der sagt: | |
„Whereever you go, there you are“? | |
Wer flutet hier wen womit? Die Geschichte die Gegenwart? Die Tänzer*innen | |
fluten den Raum mit Bewegungen mit Bewegungen, die Schauspieler*innen mit | |
Text. Irgendwann leuchtet der Zuschauerraum in Reizüberflutungs-Rot. Mit | |
einer furiosen Abschiedsrede im Futur II – das, so sagt man, bald | |
ausgestorben worden sein wird – endet der Abend. Er ist witzig und klug, | |
untermalt mit liebevoll gemachter Livemusik, kurzweilig, toll. | |
16 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Nora Voit | |
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