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# taz.de -- Das Fließen der Körperteilchen
> Theater Wie tanzt man den Urknall? Die Butoh-Tänzerin Yuko Kaseki
> erforscht mit dem Theater Thikwa die Leere, die Stille und den Beginn
Bild: „ur.kunft“ im Theater Thikwa
Acht Performerinnen und Performer, Menschen mit und ohne Behinderung, sind
auf der mondleeren Bühne zu sehen, beziehungsweise zu hören: sie klicken
und schnalzen und surren. Am Anfang ist das Nichts. Langsam formen sie sich
zu menschgewordenen energiegeladenen Teilchen, die sich abstoßen und
anziehen, aneinander reiben und ausweichen. Momente der Kollision. Am
Anfang ist das Chaos?
Um Schöpfung geht es in der Tanz-Performance „ur.kunft“, um die Anfänge v…
Dingen, deren Entwicklung, und deren Ende. Um Fragen ohne Antworten. Fragen
nach dem Ursprung, Fragen nach den Grenzen physischer Ausdrucksmöglichkeit
des Individuums und der Kraft einer Gruppe.
Lesen mag sich das mal religiös, mal philosophisch. Mal denkt man an
bildgewaltige Science-Fiction-Welten wie in Stanley Kubricks Meisterwerk
„2001: Odyssee im Weltraum“. „Also mich erinnert das alles an Aliens“, …
ein Zuschauer, und findet damit Worte, ohne lange zu suchen. Auch die
spacigen Kostüme in fließendem Grau, verschnürt mit Gurten, wie man sie aus
Kindersitzen kennt, unterstützen diese Atmosphäre, die sich irgendwo
zwischen Urzeit und Endzeit bewegt.
Die Regisseurin Yuko Kaseki, Butoh-Tänzerin und Choreografin aus Japan,
lässt in ihre Produktion mit dieser inklusiven Theatergruppe japanisches
Traditionstheater und Tanz genauso einfließen wie modernen
Improvisationstanz. Zusammen mit ihrem Partner Hikaru Inagawa gibt sie als
Teil der Gruppe neben starken Solos immer nur Impulse, denen die
Performerinnen und Performer auf ihre Art und Weise folgen. Jedem und jeder
wird so seine eigene Expressivität zugestanden, sein eigener Raum gegeben.
Die Performance lebt von ausdrucksstarken Individuen, wie den jungen
Performerinnen Lia Massetti und Anne-Sophie Mosch, beide haben das
Down-Syndrom, oder Tim Petersen, der die Tanzenden königlich erhaben mit
rituellen Gesängen an- und begleitet.
Manchmal fließen die Körperteilchen so zäh durch den Raum, dass man nicht
weiß, wohin mit der eigenen Aufmerksamkeit. Ein bisschen erinnert das an
die traditionsreichste Theaterform Japans, das No-Theater. Im Mittelteil
dann reißt alles auf, das Licht wird warm, wir sind in der Gegenwart oder
in einer auf Videoleinwand verzerrten Version davon – in einer Art
Castingshow. Vorstellungsrunde. Dialoge wie „Wie heißt deine Mutter?“ –
„Mutter!“ lockern die Trägheit der collagenartigen Inszenierung auf.
## Vom Kollektiv aufgenommen werden
Auch die Musik des mehrfach preisgekrönten griechischen Komponisten Antonis
Anissegos, die sperrig-kakofonisch an Zwölftonmusik erinnert, oder
dröhnend-technoid an lange Nächte im Club, ergänzt die Gruppe ganz
wunderbar. Klänge aus dem All, mehr Soundflächen als Melodien, Gewebe, die
entstehen und wieder verschwinden, wabern durch den Raum.
Am Ende zerschellt die Science-Fiction-Welt im berstenden Strobo-Licht, ist
jeder sein eigener Performer. Und wird vom Kollektiv aufgenommen, wenn er
es braucht. Das ist, was man sich von einer inklusiven Gesellschaft
wünscht. Nora Voit
„ur.kunft“ am 9. und 10. Juni, sowie vom 14. bis 17. Juni, 20 Uhr, im
Theater Thikwa.
9 Jun 2017
## AUTOREN
Nora Voit
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