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# taz.de -- „Bis an die Grenzen der Zumutbarkeit zurückgehalten“
> CHRONIK Nach dem Schuss auf Benno Ohnesorg rechtfertigte das offizielle
> Berlin den Polizeieinsatz. Die Studenten seien selbst für den Toten
> verantwortlich, schrieb der Regierende Bürgermeister Heinrich Albertz
> (SPD). Erst Monate später trat er zurück
BERLIN taz | Am Morgen des 3. Juni, wenige Stunden nach dem Tod von Benno
Ohnesorg, gab Berlins Regierender Bürgermeister Heinrich Albertz (SPD) eine
Erklärung ab: „Die Geduld der Stadt ist am Ende. Einige Dutzend
Demonstranten haben sich das traurige Verdienst erworben, nicht nur einen
Gast der Bundesrepublik Deutschland beschimpft zu haben, sondern auf ihr
Konto gehen auch ein Toter und zahlreiche Verletzte. Ich sage ausdrücklich
und mit Nachdruck, dass ich das Verhalten der Polizei billige und dass ich
mich durch eigenen Augenschein davon überzeugt habe, dass sich die Polizei
bis an die Grenzen der Zumutbarkeit zurückgehalten hat.“
Vielleicht hätte sich der Riss, den der Tod Benno Ohnesorgs zwischen
etablierter Politik und außerparlamentarischer Opposition zur Folge hatte,
am 3. Juni noch kitten lassen. Mit Blumen des Regierenden Bürgermeisters am
Tatort, Worten des Bedauerns, dem Versprechen nach einer genauen
Untersuchung. Aber Albertz’verständnislose Worte zeigten, dass die Schüsse
am Vorabend mehr gewesen waren als der Ausraster eines einzelnen
Polizeibeamten.
Mohammad Reza Pahlavi, iranischer Diktator und Verbündete des Westens,
besuchte Deutschland im Rahmen einer längeren Europareise im Mai und Juni
1967. In Berlin versammelten sich am Vorabend des 2. Juni rund 2.000
Studierende im Audimax der Freien Universität. Der Exiliraner Bahman
Nirumand, bis heute Autor der taz, sprach über Folter unter dem
Schahregime. Am nächsten Tag, so wurde beschlossen, sollte an zwei Orten
demonstriert werden: am Vormittag vor dem Schöneberger Rathaus, wo sich der
Schah in das Goldene Buch der Stadt eintragen wollte, und am Abend vor der
Deutschen Oper.
In Schöneberg fanden sich aber nicht nur rund 2.000 Schahgegner ein,
sondern auch rund 150 Iraner, die von der Polizei hinter die Absperrungen
gelassen wurden und von dort mit Holzlatten auf die Demonstranten
einschlugen. Die Polizei ließ die sogenannten „Jubelperser“ gewähren, und
ging selbst mit Pferden gegen die Demonstranten vor.
Am Abend waren wiederum 2.000 Demonstranten gegenüber der Deutschen Oper,
als der Schah zusammen mit Albertz und Bundespräsident Heinrich Lübke eine
Aufführung der „Zauberflöte“ besuchte. Farbeier und Mehltüten fliegen,
trafen aber keine Operngänger. Die Polizei setzte gegen die zwischen einen
Bauzaun und Polizeiabsperrungen eingequetschten Demonstranten das ein, was
Polizeipräsident und SPD-Mitglied Erich Duensing die „Leberwursttaktik“
nannte: Man müsse „in die Mitte der Demonstration hineinstechen, damit sie
an den Enden auseinanderplatzt“. So trieb die Polizei mit Schlagstöcken,
Hunden und Wasserwerfereinsatz die Demonstranten in die Seitenstraßen. Nach
20 Uhr verbreitete die Polizei über einen Lautsprecher das Gerücht,
Demonstranten hätten einen Polizisten erstochen.
Der 26-jährige Student Benno Ohnesorg flüchtete zusammen mit einigen
anderen Demonstranten in den Hinterhof der Krumme Straße 66/67. Dort wurden
sie verprügelt, bis der Zivilbeamte Kurras gegen 20.30 Uhr auf Ohnesorg
zutrat und aus nächster Nähe abdrückte. Ohnesorg starb kurze Zeit später,
vermutlich schon auf dem Weg ins Krankenhaus. Zwei Kliniken wiesen ihn ab,
bis ihn schließlich das Krankenhaus Moabit aufnahm. Vor der Autopsie
manipulierten Unbekannte die Einschusswunde.
Die Polizei sprach am 3. Juni von einem „Querschläger“ nach einem
Warnschuss, der Ohnesorg versehentlich getroffen habe. Statt eines
Innehaltens angesichts von Ohnesorgs Tod eskalierte die Stimmung gegen die
außerparlamentarische Linke: Der sozialliberale Senat beschloss ein
vierzehntägiges Demonstrationsverbot. Auch die Springer-Presse hetzte: „Das
Maß ist nun voll, die Geduld der Berliner Bevölkerung erschöpft. Wir sind
es endgültig leid, uns von einer halberwachsenen Minderheit, die meist noch
Gastrecht bei uns genießt, terrorisieren zu lassen“, kommentierte die
Berliner Morgenpost.
Kurras wurde später wegen fahrlässiger Tötung angeklagt, aber vom
Landgericht Berlin freigesprochen. Polizeikollegen bescheinigten ihm, in
Notwehr gehandelt zu haben.
Erst im September 1967 trat Albertz von seinem Amt zurück – elf Tage,
nachdem er sein Bedauern über den Polizeieinsatz geäußert hatte: „Ich war
am schwächsten, als ich am härtesten war, in jener Nacht des 2. Juni, weil
ich objektiv das Falsche tat.“ Sein Nachfolger machte Kurt Neubauer zum
Innensenator – einen harter Hund, der die Konfrontation mit der
außerparlamentarischen Linken weiter vorantrieb. Martin Reeh
2 Jun 2017
## AUTOREN
Martin Reeh
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