# taz.de -- Trümmerblumen aus der Zukunft | |
> PERFORMANCE In „Silmandé“ beschwört das transnationale Kunstprojekt | |
> Hajusom gemeinsam mit dem burkinischen Kunstgartenprojekt „Jardin | |
> Silmandé“ und dem Ensemble Resonanz die posthumane Zukunft | |
Bild: Tanzen auf den Trümmern der Erde in die Zukunft: Auch der tödliche Öls… | |
von Robert Matthies | |
Dass ihr Anliegen an diesem Abend plötzlich so eine dringende Aktualität | |
bekommen sollte, darauf hätten die Performer*innen vom transnationalen | |
Hamburger Kunstkollektiv Hajusom sicher gern verzichtet. Als sie am | |
Donnerstagabend zur Weltpremiere ihrer „Future Performance“ im Rahmen des | |
Festivals „Theater der Welt“ auf die Kampnagel-Bühne kommen, steht | |
US-Präsident Donald Trump in Washington schon in den Startlöchern, um der | |
Welt düstere Zukunftsaussichten zu verkünden: Der zweitgrößte Emittent von | |
Kohlenstoffdioxid steigt aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aus. | |
Tatsächlich wirkt das, was Performerin Nebou N’Diaye zu Beginn von | |
„Silmandé“ verkündet, nun wie ein bitterer Kommentar zur Tagespolitik: �… | |
würde gern erzählen, dass wir in einer demokratischen Weltordnung leben, in | |
der alle Konflikte friedlich und fair gelöst werden, in der wir Menschen | |
das ökologische Desaster abwenden konnten und eine globale Klimapolitik | |
gefunden haben. Aber wir befürchten das Schlimmste. Wir stimmen uns also | |
ein: Das alte Spiel der Macht!“ | |
Als Shakespeares Lady Macbeth beschwört N’Diaye die Mächte des Teufels, | |
dass sie ihr jede Menschlichkeit und alle Skrupel nehmen: um ihre großen | |
Pläne für eine globale Ölförderung und die Maximierung der Profite | |
verwirklichen zu können. Und schon laufen sie an die Rampe, treffen sich | |
zum gruseligen Gipfeltreffen, die Mächtigen, die Geschäftemacher und ihre | |
Schergen: die Klimawandelleugner und die „ökonomischen Killer“, die im | |
Namen großer Unternehmen die Armen in Schulden ersticken oder gleich mit | |
Gewalt aus dem Weg räumen. | |
Eigentümliche Charakterfratzen sind das, die nun für anderthalb Stunden die | |
Bühne bevölkern und dem Abend eine ganz eigene Ästhetik des Kaputten geben. | |
Jeder von ihnen ist unverkennbar etwas zu eigen: ein Blick, ein Tic, eine | |
bestimmte Sprechweise oder Haltung. Zugleich wirken sie eigentümlich hohl. | |
Immerzu skeptisch und aggressiv blickt etwa Inoussa Dabré ins Publikum und | |
umkreist die anderen; linkisch sich anbiedernd, stolpert Elmira Ghafoori | |
umher; mit zersaustem Haar und flatternden Händen saust Dennis Robert herum | |
und lacht immer wieder unvermittelt laut. Und dazwischen schleicht immerzu | |
dieses stumme, insektenhafte Wesen herum. | |
Und tatsächlich: als nur übrig gebliebene Hüllen entpuppen sich diese | |
merkwürdigen Figuren – als Gespenster aus der unweigerlich dem Untergang | |
geweihten Ära des Menschen. Nurmehr ein Friedhof sei das, klärt Performer | |
Hamed Ahmadi in der folgenden Szene auf: „Die Körper sind da, aber nicht | |
die Seelen, es ist ein Totentanz. Sie sind blind, sie erkennen nicht, was | |
wirklich passiert. Was ist ihre Wahrheit? Ihre Macht, ihre Geschäfte.“ | |
In rund 15 lose miteinander verknüpften Szenen beschwört „Silmandé“ – … | |
der Mòoré-Sprache aus Burkina Faso bedeutet das Wort „Strudel“ oder | |
„Wirbelwind“ – dann den in Trümmern liegenden Planeten Erde als großen | |
Garten, auf dem allerlei posthumane Wesen und Gewächse der Zukunft | |
gedeihen. Dreimal müssen sie sich gegen Katastrophen noch bewähren: Erst | |
weht ein großer Sturm silberne Aluminiumteller und Strohhalme über die | |
Bühne, von denen die Performer*innen fast erschlagen werden. Von der Decke | |
ergießt sich Ölschaum, der die ganze Bühne überflutet. Schließlich wird | |
alles verstrahlt. | |
Dazwischen aber sprießen immer wieder kleine Trümmerblumen, die Hoffnung | |
machen: Reza Rafii, ein junger Hajusom-Performer aus Afghanistan, spricht | |
über seine Liebe zu Bäumen. Aboubakar Badi Maiga aus Goa in Mali erzählt | |
vom Sand, der das Dorf seiner Eltern zerstört – und seiner Zukunft in | |
Europa. Und der Musiker Patrick Kabré, Initiator des titelgebenden „Jardin | |
Silmandé“ in Ouagadougou in Burkina Faso, singt über sein Eco-Art-Projekt. | |
Dabei greift „Silmandé“ nicht nur auf die Erfahrungen und Perspektiven der | |
Hajusom-Performer*innen zurück, sondern setzt auf die Kraft der | |
Kooperation: Hamburgs Synthie- und Effektgerätemeister Viktor Marek steuert | |
tolle hybride Musik bei, wunderbare Mikromusiken haben die | |
Feldstraßenbunker-Nachbarn vom Ensemble Resonanz eigens beim Österreicher | |
Wolfgang Mitterer in Auftrag gegeben, und lichtdurchflutete Videos hat der | |
Videokünstler Joseph Tapsoba im Garten Silmandé für das Stück gedreht. | |
Denn auch „Silmandé“ ist – wie jede Hajusom-Produktion – nicht nur eine | |
starke künstlerische Position, sondern auch eine ganz praktische politische | |
Intervention: nicht nur für einen anderen Umgang mit dem Planeten und | |
seinen Ressourcen, sondern vor allem für einen anderen Umgang mit Menschen. | |
Sa, 3. 6., 19 Uhr + So, 4. 6., 19.30 Uhr, Kampnagel | |
3 Jun 2017 | |
## AUTOREN | |
Robert Matthies | |
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