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# taz.de -- Sonderzone Theater
> Festival Vom Baakenhöft am Hamburger Hafen startete einst die Deutsche
> Ost-Afrika Linie. Jetzt dockt hier das Festival „Theater der Welt“ an mit
> Themen zu Handel, Flucht und Weltoffenheit
Bild: „Ports“ von der „Geheimagentur“
von Robert Matthies
Ein riesiger neuer Raum für die Kunst ist in den vergangenen Wochen im
zentralen Kakaospeicher des ehemaligen Afrika-Terminals auf der Kaizunge am
Hamburger Baakenhafen entstanden. 9.000 Quadratmeter kann Lemi Ponifasio
mit seinem Musiktheater-Spektakel „Children of Gods“ bespielen, mit dem der
samoanische Regisseur am Donnerstag das Festival „Theater der Welt“
eröffnet. Ein bildgewaltiges Ritual soll es zum Auftakt geben, rund um all
die Kinder, die weltweit von Krieg und Flucht betroffen sind – eine
kollektive Zeremonie, die Hoffnung und Neuanfang feiert.
Einen Neuanfang für Deutschlands größtes Theaterfestival, das alle drei
Jahre in einer anderen Stadt stattfindet, wollen auch dessen Macher*innen
wagen. Zum ersten Mal haben sich ein Stadttheater und ein Spielort der
internationalen freien Szene zusammengetan. Erstmals wird das Programm
nicht von einem externen Kurator, sondern von einem diskussionsfreudigen
Vierer-Team aus der Stadt gestaltet. Dazu gehören neben Thalia-Intendant
Joachim Lux und Kampnagel-Intendantin Amelie Deuflhard auch Sandra Küpper,
die die „Lessingtage“ des Thalia Theaters kuratiert, und András Siebold,
der Künstlerische Leiter des Internationalen Sommerfestivals auf Kampnagel.
## Touristisch vernutzt
Und zum ersten Mal hat sich das Festival ein Thema gesetzt. Strategisch
klug gewählt, um die Politik in der Stadt ins Boot zu holen, aber eben auch
auf den ersten Blick „vielleicht zu naheliegend“, wie Küpper zugibt: Drei
Wochen lang dreht sich alles um den Hafen – um den sich in der Hansestadt
als Handelsplatz und Industriestandort, als Touristenattraktion und
zentrale Achse der Stadtentwicklung ohnehin alles dreht. Dass man damit ein
halbes Jahr nach der Eröffnung der Elbphilharmonie Gefahr läuft, vor allem
als weiteres kulturelles Megaevent fürs Stadtmarketing gesehen und
touristisch „vernutzt“ zu werden, sei eine große Herausforderung, sagen
Küpper und Siebold. Aber gegensteuern könne man eben nur übers Programm.
Dass das dem Kurator*innen-Quartett gut gelungen ist, hat vor allem mit dem
geschickt gewählten Konzept zu tun: „Think global, act local“ – das
Festival aus der Stadt heraus entwickeln, gemeinsam mit lokalen Akteuren
und Kunstorten wie dem Kulturschiff „MS Stubnitz“ und ausgehend von
konkreten Entwicklungen und Problemen. Und daran all die großen globalen
Themen wie Globalisierung und Handel, Krieg, Flucht und Migration,
kulturelle Vielfalt und Weltoffenheit zu knüpfen. Der Hafen als Denkfigur –
als Ort des Aufbruchs und Ankommens, als Umschlagplatz für Waren, Ideen und
Menschen oder als Sinnbild für kulturelle Offenheit – durchzieht so alle 45
Produktionen, von denen rund die Hälfte diesmal eigens für „Theater der
Welt“ entwickelt oder zumindest adaptiert wurde.
Zurückgreifen können sowohl das Thalia Theater als auch Kampnagel dabei
auch auf eigene Erfahrungen. Beide veranstalten seit Jahren große
internationale Festivals, haben Kontakte geknüpft zu lokalen und
internationalen Künstlern, die sich schon lange mit dem Themenfeld
auseinandersetzen. Vor allem, dass man auf die Expertise lokaler Akteure
wie der „Geheimagentur“ zurückgreifen konnte, sei fruchtbar gewesen,
erzählt Siebold.
Seit Jahren setzen sich die Hamburger Geheimagenten mit der Frage
auseinander, wie man mit dem Hafen künstlerisch und aktivistisch umgehen
kann, und sie fragen, in welchem Verhältnis Nutzung und gesellschaftliche
Teilhabe stehen. Sie haben im vergangenen Jahr ein eigenes
Kreuzfahrtunternehmen gegründet, um alternative Nutzungsformen jenseits von
Cargohandel und Tourismus zu erforschen. Denn obwohl Hamburger auf
vielfältige Weise am Hafen beteiligt sind, können sie kaum mitentscheiden,
was dort passiert. Für das ganze Gebiet gelten Sonderrechte; worin der
Zweck des Hafens besteht, was eine „hafengerechte Nutzung“ ist, all das
entscheidet die Hamburg Port Authority (HPA), rückgebunden an die
Bürgerschaft ist sie kaum. Beim „Theater der Welt“ zeigt die
„Geheimagentur“ noch einmal ihr Projekt „Ports“ und lädt zu Workshops …
ums Thema „Recht auf Hafen“.
Aber auch viele der eingeladenen internationalen Produktionen sind in
Auseinandersetzung mit dem Thema Hafen entstanden. So hat etwa die
unabhängige chinesische Performancegruppe „Paper Tiger Theater Studio“ sich
ausgehend von Kafkas Text „Beim Bau der chinesischen Mauer“ nicht nur mit
den gigantischen Industrieprojekten in der Ningbo-Zhoushan-Hafenregion
auseinandergesetzt, sondern auch mit dem umstrittenen Thema Elbvertiefung.
Die Brasilianerin Christiane Jahaty hängt für ihre
Performance-Film-Installation „Moving People“ im Rahmen ihres
internationalen Projekts „Utopia.doc“ Container an einen Kran, in denen sie
Migrant*innen ihre Geschichten vom Grenzenüberschreiten und Ankommen in
Hamburg erzählen lässt. Und das niederländische Schauspiel-Quintett
Wunderbaum geht mit David Foster Wallace’bitterbösem Essay „Schrecklich
amüsant – aber in Zukunft ohne mich“ auf Kreuzfahrt.
Nicht nur als thematische Klammer prägt der Hafen das Festival, sondern
wird auch ganz konkret zum Spielort, an dem unterschiedliche Achsen
zusammenlaufen. Dabei ist auch der Ort des Festivalzentrums „Haven“ rund um
den ehemaligen Speicher des Afrika-Terminals auf dem Baakenhöft geschickt
gewählt: nirgendwo werden Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Hamburger
Hafens so greifbar wie hier.
1900 pachtete die Deutsche Ost-Afrika Linie die südlichen Kaianlagen, auch
die Truppentransporte zur Niederschlagung der antikolonialen Aufstände in
Namibia und Deutsch-Ostafrika legten hier ab. 1969 wurde der westliche
Bereich des Baakenhöfts offiziell zum „Afrika-Terminal“ für den rasant
wachsenden Handel mit dem postkolonialen Afrika. Als in den 1990er Jahren
das Ende der Nutzung durch Hafenbetriebe abzusehen war, wurde das Areal
Teil des Projekts Hafencity. Und im Rahmen der gescheiterten Bewerbung
Hamburgs für die Olympischen Spiele 2012 war das Gebiet in die Planung der
olympischen Sportanlagen eingebunden.
Heute liegt das Baakenhöft am äußersten Rand der bislang gebauten
Hafencity, direkt gegenüber der Hafencity-Universität, mit Blick auf die
Elbphilharmonie. Nicht weit entfernt ist das Oberhafenquartier, ein 67.000
Quadratmeter großer ehemaliger Güterbahnhof, über dessen kulturelle Nutzung
seit Jahren diskutiert wird. Gemeinsam mit der Hafencity entwickelt die
Hamburg Kreativ Gesellschaft dort nun neue Arbeits-, Produktions- und
Präsentationsräume. Und auf der anderen Seite des Baakenhöfts: Brachen und
jede Menge sandige Freiflächen.
Und so versteht sich das Festival diesmal auch als ganz konkrete Einladung,
über das kulturpolitische Potenzial des Gebiets zwischen Elbphilharmonie,
Baakenhöft, Oberhafenquartier und Deichtorhallen nachzudenken. „Das
Festival kommt zu einer Zeit, in der ohnehin stadtpolitisch breit
diskutiert wird, was man in Zukunft mit dem Areal macht“, sagt Siebold.
„Und da ist so ein Festival wie Theater der Welt vielleicht ein Antrieb, in
Zukunft nicht nur profitbringende Bürobauten hinzustellen.“
Zwar hat auch die Hafencity GmbH das kulturelle Potenzial längst erkannt
und Anfang dieses Jahres sogar eine Kuratorenstelle ausgeschrieben, um den
neuen Stadtteil „auch als kulturellen Ort – jenseits der Elbphilharmonie“
zu entwickeln. Das Problem sei aber, sagt Siebold, dass Stadtplaner oft
versuchten, Kultur im Vorhinein zu planen: „Aber wenn man zu viel
kontrollieren und planen will, dann engt das eine Kunstproduktion aber eher
ein. Stattdessen muss man Freiräume für die Kultur schaffen und sagen: Wir
gucken mal, was passiert, wir geben das ab.“ Hoffentlich schauen auch die
Pfeffersäcke in den kommenden dreieinhalb Wochen genau hin.
23 May 2017
## AUTOREN
Robert Matthies
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