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# taz.de -- Die nascht aus dem Katzenklo
> Jugendtheater Cybermobbing nimmt zu, gerade auch unter Kindern. Klarer
> Fall für das Grips Theater. Das ließ Kirsten Fuchs die Geschichte von
> Netti, die schrecklich gemobbt wird, erzählen:„Alle außer das Einhorn“
Bild: Fever (Amelie Koeder, vorne) postet Gemeinheiten
von Julika Bickel
„Du Hässlichkeit, ich rasier dich hinten“, liest Netti auf ihrem
Handydisplay. Als Schlampe, Hurenkind und Wichskind wird sie in den
sozialen Netzwerken beschimpft. Viele der Beleidigungen machen für die
Zwölfjährige überhaupt keinen Sinn. Besonders beim Ausdruck „Hodenkobold“
fragt sie sich, was das bedeuten soll. „So was bringt einem ja keiner bei
in der Schule“, beschwert sie sich. Kurzerhand findet eine Fantasiestunde
in Beschimpfungskunde statt. Lichter blinken, tanzende Lehrer und Kinder
sagen auf: „Ein Hodenkobold ist ein Kobold, der in einem Hoden wohnt oder
einen überdimensional großen Hoden aufweist oder sich von Hoden ernährt.“
Szenen wie diese sind nicht nur für Jugendliche, sondern auch für
Erwachsene extrem lustig. Das Thema des neuen Gripstheater-Stücks „Alle
außer das Einhorn“, das sich an Menschen ab elf Jahren richtet, ist
allerdings ernst: Cybermobbing. Netti hat ihren Freund Julius, den alle nur
Brillo nennen, einmal online im Klassenchat verteidigt. Deswegen ist sie
jetzt an der Reihe. Vor allem Fever, ein Mädchen aus ihrer Klasse,
veröffentlicht gemeine Posts über sie. Viele machen mit, sogar Julius.
Das Stück hat generell einen sehr klaren Aufbau und gewinnt kontinuierlich
an Fahrt. Das Licht im Saal geht an und die Darsteller fordern die
Zuschauenden auf, beim Mobbing mitzumachen: „Teil das mal!“ Zwischendurch
finden Tanz- und Rapeinlagen zu gutem Techno statt. Das Stück kommt mit
wenigen Bühnenelementen aus: Sitzbälle, Handys, Kostüme. Hinten steht eine
Wand mit kreisrunden LED-Leuchten, die in verschiedenen Farben blinken und
Wörter formen können. Mit Wisch- und Tippbewegungen in die Luft deuten die
Schauspieler ihre Aktionen am Smartphone an.
Überraschend ist, und das im positiven Sinne, wie brutal das Stück wird.
Die Autorin Kirsten Fuchs und der Regisseur Robert Neumann haben den Mut,
die Situation richtig eskalieren zu lassen. Lügen und Hasskommentare
verbreiten sich über Netti bei WhatsApp, Snapchat und Instagram. „Sie
nascht aus dem Katzenklo ihrer Katze die ganz großen Brocken“, steht da zum
Beispiel. „Ich bin so eklig“, veröffentlicht Fever in Nettis Namen. „Ich
bin in meine Lehrerin verliebt, weil ich lesbisch bin.“ Bald sind es auch
fremde Menschen, die Netti demütigen, bloßstellen und sie bedrohen. Die
ganze Geschichte steuert auf das bevorstehende Kostümfest zu, wo sich Netti
als Einhorn verkleiden will. „Das Einhorn kriegt aufs Horn“, steht im
Gruppenchat.
Den Theatermachern gelingt es, nicht zu belehren. Die sozialen Netzwerke
verteufeln sie nicht, sondern zeigen sowohl ihre Risiken als auch Chancen
auf. „Gegen das Internet sein ist wie gegen Städte sein“, rappen die
Schauspieler.
Stark wird das Stück vor allem durch seine ambivalenten Figuren. Fever ist
hinterhältig, abgrundtief böse und falsch. Man erfährt allerdings auch,
dass sie früher selbst gemobbt wurde und ihre Gier nach Aufmerksamkeit
eigentlich ein Kampf gegen ihre eigene Ohnmacht darstellt. Julius ist eine
liebenswürdige, lustige und doch gefährliche Figur: Als tollpatschiger
Außenseiter mit wenig Selbstvertrauen wird er zum Mitläufer.
Besonders witzig sind die überfürsorglichen Eltern: „Hat sie eine
Essstörung? Hatte sie zu viel Zucker? Oder zu wenig? Oder den falschen?
Oder zu spät am Tag?“ Netti will unabhängig von ihren Eltern agieren,
Probleme alleine lösen, aber sie weiß nicht wie und wehrt sich am Anfang
kaum.
In einer Studie des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest aus dem
Jahr 2016 gibt jeder Dritte in der Altersgruppe der 12- bis 19-Jährigen an,
dass in seinem Bekanntenkreis schon einmal jemand im Internet oder per
Handy fertig gemacht wurde. Etwa 500.000 Jugendliche in Deutschland wurden
selbst einmal Opfer von Mobbing im Internet. Im Grunde sind alle mit der
Situation überfordert: Lehrer, Eltern und die Jugendlichen selbst.
Das ist im Stück, das Kirsten Fuchs im Auftrag des Grips schrieb, nicht
anders. Was genau hätten die einzelnen Akteure anders machen können? Es
kostet Überwindung, um Hilfe zu bitten. Letztendlich geht es darum, sich
gegenseitig zuzuhören. Das wird besonders im Streit zwischen den Eltern und
Netti deutlich. Die Mutter: „Aber was sollen wir denn dann machen?“ Der
Vater: „Und meine Tochter?“ Netti: „Mir vertrauen. Und ihr?“ Mutter und
Vater: „Dir vertrauen.“
Wieder im Gripstheater am Hansaplatz 20. + 29. Mai, 18 Uhr.
19 May 2017
## AUTOREN
Julika Bickel
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