# taz.de -- Wann fängt Schwarz zu leuchten an? | |
> Kunst Die American Academy startet ein neues | |
> Aufenthaltsstipendien-Programm. Der Künstler Kerry James Marshall erhielt | |
> als Erster diese „Max Beckmann Distinguished Visitorship“. Sein großes | |
> Thema: Vorurteile | |
Bild: Kerry James Marshall: Untitled (Pink Towel), 2014. Private Collection | |
VON Renata Stih | |
Mit dem „Max Beckmann Distinguished Visitorship“ hat die American Academy | |
am Wannsee eine neue Auszeichnung initiiert, die herausragende | |
Kunstschaffende für zwei Wochen nach Berlin bringt. Der Preis ist | |
wesentlich dem Engagement von Beckmanns Enkelin Mayen Beckmann und den | |
Kunstspenden einiger Berliner KünstlerInnen zu verdanken und wird von der | |
Terra Foundation for American Art in Chicago mitgetragen. | |
Max Beckmann ist ein Vertreter der Moderne und eine ideale Verbindungsfigur | |
im Kontext von Berlin, Deutschland und den USA. Der Künstler, der Anfang | |
des 20. Jahrhunderts in Berlin und Frankfurt große Erfolge feierte und | |
später als für die Nazis „entarteter Künstler“ aus Deutschland nach | |
Amsterdam floh, zog nach dem Krieg in die USA. Dort lehrte er an der Art | |
School der Washington University in St. Louis, wo ihn der Mäzen Norton D. | |
May unterstützte und die größte Beckmann-Sammlung mit Gemälden, Zeichnungen | |
und Drucken zusammentrug, die heute im legendären Saint Louis Art Museum zu | |
bestaunen sind. Später siedelte Beckmann nach New York über, wo er an der | |
Art School des Brooklyn Museum lehrte, bis er 1950 überraschend verstarb. | |
In New York ist er mit einigen seiner wichtigsten Werken in den Sammlungen | |
des Museum of Modern Art vertreten. | |
Erstmals mit dem Max Beckmann Distinguished Visitorship ausgezeichnet wurde | |
nun der afroamerikanische Künstler Kerry James Marshall. Er stellte sich in | |
zwei Gesprächen der Berliner Öffentlichkeit vor, zuerst im lebendigen | |
Austausch mit Professor Karlheinz Lüdeking an der Universität der Künste, | |
unter großer Anteilnahme der Studierenden und zahlreicher anderweitig | |
Interessierter; zwei Tage später im beengten Ambiente eines Berliner | |
Auktionshauses im Gespräch mit dem designierten Intendanten der Volksbühne, | |
Chris Dercon. | |
Kerry James Marshall ist ein Künstler, der packend erzählen kann. Er könne | |
sich noch an den immensen Eindruck erinnern, den Beckmanns Werke während | |
eines Schulausflugs zum Saint Louis Art Museum bei ihm hinterließen. In | |
Marshalls Auffassung von Form und Farbe finden sich dann auch Parallelen zu | |
Beckmanns Werk. | |
## Hinter dem lustigen Schein | |
Marshall arbeitet vielschichtig und multimedial, mit Fotografie und Video, | |
Collagen und Installationen, vornehmlich aber mit Malerei. Auf den ersten | |
Blick sind seine Bilder bunt, erzählerisch und lustig – aber genauer | |
besehen steht dahinter eine Gesellschaftskritik, die den repräsentativen, | |
westlichen Kulturbegriff infrage stellt. Als Maler beschäftigt er sich mit | |
Schwarz und der Farbenvielfalt, die darin steckt; er untersucht, wann | |
Schwarz zu leuchten anfängt und wann die Farbe stumpf wird, wann sie Leere | |
darstellt. Was ist Schwarz, wie entsteht schwarze Farbe, wie definiere ich | |
Schwarz als Farbe? Was bedeutet es, schwarz zu sein? | |
Sein Kernthema: wie Vorurteile gegenüber Schwarzen formuliert werden, was | |
für Vorstellungen Weiße von Schwarzen und Schwarze von sich selbst haben. | |
Die Porträts vom schwarzen Mann, der kaum sichtbar ist, da er schwarz im | |
schwarzen Raum dargestellt ist, die weißen Zähne zeigt und grinst, sind | |
chiffrierte Darstellungen, ironisch vereinfacht. | |
## „Rassengesetze“ | |
Marshall befasst sich mit der Frage, was die Identität der schwarzen | |
Bevölkerung in den USA ausmacht, die er in Darstellungen von | |
Alltagsmomenten besonders deutlich formulieren möchte. Er stellt klassische | |
Bildformen aus der Kunstgeschichte auf den Prüfstand und übersetzt sie in | |
neue Bilder, die wie aus dem Poesiealbum entnommen scheinen: glückliche | |
schwarze Menschen, die wie ein Pendant zur heilen Welt der Weißen in den | |
USA in den 1950er Jahren erscheinen, als Marshall in Alabama geboren wurde. | |
Die Wirklichkeit muss weniger heiter gewesen sein: Es galten da noch die | |
„Rassengesetze“ für Schwarze, die im Bus hinten sitzen mussten, nur | |
bestimmte Parkbänke nutzen durften, in abgetrennten Wohnbezirken hausten, | |
keine beruflichen Aufstiegschancen hatten und vom „American Way of Life“ | |
ausgegrenzt waren. | |
Daher verbirgt sich hinter der naiven Fröhlichkeit der Bilder, wo Familien | |
feiern oder Kinder Fahrrad fahren, Paare sich küssen oder Frauen sich | |
schminken, eine abgrundtiefe Gesellschaftskritik, mit der die Erinnerung an | |
die Geschichte der Schwarzen in Zusammenhang der amerikanischen Geschichte | |
im 20. und 21. Jahrhundert beleuchtet wird. | |
Während der Umraum, in dem sich das abspielt, hell leuchtet und präzise | |
dargestellt ist, sinken die Figuren als schwarze Form weg, wie bei | |
Aufnahmen von Menschen vor einem Fenster im Gegenlicht – sie werden | |
abstrahiert; ihre Identität verschwindet. | |
## Gleiches Recht einfordern | |
Unsichtbarkeit ist ein zentrales Thema in Marshalls Werk, basierend auf der | |
Auseinandersetzung mit Ralph Ellisons’ „Invisible Man“, dessen Protagonist | |
ein namenlos bleibender Mann ist, der sich selbst für unsichtbar hält. | |
Diese Unsichtbarkeit ist keine physische, sondern eine soziale | |
Unsichtbarkeit, denn als Schwarzer wird er von seiner weißen Umwelt im | |
Amerika der Nachkriegszeit nicht wahrgenommen. Marshall sieht dieses Muster | |
bis heute fortwirken – etwa in der Unterrepräsentation schwarzer Kultur in | |
den Institutionen. | |
In den Museen etwa, die er als Kind besuchte, fand Marshall die Geschichte | |
der westlichen Zivilisation und eine Ästhetik des weißen Mannes, die ihn | |
zuerst beeindruckte und begeisterte, später aber in die Frage mündete: „Was | |
hat das mit mir, was hat das mit meiner Geschichte zu tun?“ Er beschloss, | |
dass er eines Tages als gleichberechtigter Künstler inmitten dieser Kunst | |
seinen Platz einfordern würde. Das ist ihm gelungen. Eine Retrospektive | |
seiner Werke reist unter dem Titel „Mastry“ derzeit durch die großen | |
US-amerikanischen Museen. Bis 3. Juli ist sie noch im MOCA in Los Angeles | |
zu sehen. | |
15 May 2017 | |
## AUTOREN | |
Renata Stih | |
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